# taz.de -- Bundestagswahlen: M für Mitbestimmung und Mitgestaltung | |
> Warum schwenkt alles nach rechts aus, wenn der überwiegende Teil der | |
> Bevölkerung andere Themen für wichtiger hält? Zum Beispiel auch den | |
> Klimaschutz. | |
Bild: Das M steht für Mitbestimmung und Mitgestaltung | |
Es ist wieder Wahlkampf, aber was für einer. Lähmung und Ohnmachtsgefühle | |
machen sich breit. Progressive Menschen fühlen sich vom Parteienangebot | |
nicht mehr repräsentiert. Superreiche Extremisten wie Elon Musk mischen | |
sich in den deutschen Wahlkampf ein. Die AfD treibt mit dem Thema Migration | |
die anderen Parteien vor sich her. Der [1][CDU-Kanzlerkandidat Friedrich | |
Merz] hat den Rechtsextremen ohne Not am Mittwoch ein Eingangstor geöffnet. | |
Aber auch die anderen Parteien sind so dämlich, sich darauf einzulassen und | |
sich in der Abschieberhetorik zu überbieten, die [2][„Populismus-Parade“ | |
am 9. Januar in der NDR-Sendung „extra 3]“ zeigt es. Selbst die Grünen | |
machen mit und reden nicht mehr von ihrem Kernthema Klimaschutz. Das ist | |
keine Strategie, sondern Dummheit. Der Rechtsruck ist zur Selffulfilling | |
Prophecy geworden, weil sich alle Parteien auf Migration konzentrieren. | |
Auch in der [3][taz] heißt es, es gebe keine Mehrheiten für Klimaschutz | |
mehr. Aber die Wahlprognosen für die Parteien verzerren die Wirklichkeit. | |
Seit Jahren steht eine Bevölkerungsmehrheit hinter Klimaschutz, dem Ausbau | |
der Erneuerbaren und der ökosozialen Transformation der Wirtschaft. Oft | |
finden sich klare Mehrheiten in Parteiprogrammen, Koalitionsvereinbarungen | |
und Realpolitik nicht wider. In vielen Punkten sind Bevölkerung und | |
Wirtschaft weiter als die Politik. | |
So befürworten laut einer repräsentativen [4][Umfrage] nicht weniger als 91 | |
Prozent der Befragten einen umwelt- und klimafreundlichen Umbau der | |
Wirtschaft. Auf wachsende Akzeptanz stoßen Tempolimits: 64 Prozent der | |
Befragten sprachen sich laut Umweltbundesamt 2024 [5][für eine Begrenzung | |
auf 130 km/h auf Autobahnen] aus. 79 Prozent wollten bessere Bus- und | |
Bahnverbindungen auf dem Land, 60 Prozent in den Städten, und den | |
[6][Ausbau von Radwegen] unterstützten 2024 laut RWI-Institut immerhin 73 | |
Prozent. | |
## Weder Gleichheit noch Gerechtigkeit | |
Es gibt deutliche Mehrheiten für [7][mehr Grün in den Städten], mehr Schutz | |
vor Extremwetter, für das Verbot von Pestiziden und für die | |
[8][Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln]. Gesundheit | |
und Pflege sind nach einer aktuellen forsa-Umfrage von Januar 2025 [9][für | |
48 Prozent der Befragten sogar die wichtigsten Themen im Wahlkampf], noch | |
vor Wirtschaft und Sicherheit. Viele sind unzufrieden mit dem | |
Fachkräftemangel und der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum. | |
Die [10][Abschaffung der Zweiklassenmedizin] ist ein zentrales Anliegen der | |
Mehrheit laut Umfragen, sogar unter den Privatversicherten. Gleiche | |
Bildungschancen, eine Neuausrichtung der Demokratie, [11][mehr | |
Bürgerbeteiligung] – etwa durch die Einführung von zufällig ausgelosten | |
Bürgerräten und bundesweite Volksentscheide oder auch das Volksveto, also | |
die Möglichkeit, Gesetzentwürfe per Volksentscheid zu stoppen – und | |
Lobbyregister sind einer breiten Mehrheit ein Bedürfnis, ebenso eine | |
Obergrenze von Unternehmensspenden an Parteien. | |
Natürlich würden die meisten dieser Reformen viel Geld kosten: allein der | |
ökosoziale Umbau der Wirtschaft und die Reparatur der maroden | |
Infrastruktur jährlich 60 Milliarden Euro. Aber in Deutschland ist genug | |
Geld da. Warum nicht vor allem diejenigen in die Pflicht nehmen, die bisher | |
am meisten profitiert haben: die Reichen und Überreichen? Auch hier sprach | |
sich 2024 laut forsa eine breite Mehrheit für ein Umsteuern aus: 62 Prozent | |
befürworten eine Vermögensteuer ab einer Million Euro, [12][selbst 55 | |
Prozent der CDU/CSU-Fans waren für eine Vermögensabgabe]. | |
Nur wurde die Vermögensteuer 1997 eingefroren, sodass die Regierung seither | |
nicht mal weiß, wie viel Vermögen die Überreichen angehäuft haben. Auch die | |
Erbschaft- und andere Reichensteuern schrumpften seit den 1990ern immer | |
mehr zusammen. Eine Normalverdienerin muss hierzulande rund 47 Prozent | |
ihres Einkommens [13][für Steuern und Sozialabgaben] ausgeben, ein | |
Milliardär nur 26 Prozent. Gleichheit und Gerechtigkeit sind die größten | |
uneingelösten Versprechen der Demokratie. | |
## Früh investieren spart Geld | |
Fünf [14][Multimilliardäre] besitzen hierzulande so viel wie die ärmere | |
[15][Hälfte der deutschen Bevölkerung zusammen]. Dieser Umstand wird noch | |
ungerechter, wenn man bedenkt, dass 70 Prozent der milliardenschweren | |
Vermögen nicht erarbeitet, [16][sondern vererbt wurden]. „Wer dem Volk | |
anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz | |
ein“, so geißelte der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle 2010 nicht | |
Superreiche, sondern Menschen, die von Sozialhilfe lebten. | |
Rechte Parteien, rechte Medien und Lobbyorganisationen tun medial derzeit | |
alles, um die Schuld für erlebte Ungerechtigkeit weg von den Reichsten und | |
hin zu den Ärmsten zu schieben, den Bürgergeldempfangenden und | |
Geflüchteten. Leider ziemlich erfolgreich. Investierte der Staat heute | |
massiv in Klimaschutz, Gesundheit, Bildung, Infrastruktur und | |
Frauenrechte, würde es in einigen Jahren billiger, solidarischer, gesünder | |
und hoffnungsvoller. | |
Ein harter Sparkurs in der Gegenwart führt dagegen zu hohen und | |
unproduktiven Reparaturkosten, Dauersubventionen und mehr Katastrophen | |
aufgrund mangelnder Klimaanpassung. Würden Superreiche endlich wieder | |
besteuert, könnten die Ärmeren von der ökosozialen Wende profitieren – was | |
die Akzeptanz des notwendigen Umbaus enorm steigern würde. Mit dem | |
[17][Buch „Earth for All“] hat der Club of Rome und sein deutscher Ableger, | |
das Wuppertal Institut, einen Kompass für einen gerechten Umbau geliefert. | |
Das wissenschaftliche Autorenteam zeigt, dass eine Wende bei Armut und | |
Ungerechtigkeit die Voraussetzung ist, dass die nötigen tiefgreifenden | |
Veränderungen stattfinden können. Beispiel Wärmeenergie: Werden die am | |
schlechtesten isolierten Wohnungen zuerst saniert, hat das die größten | |
Vorteile fürs Klima und aus sozialer Sicht. Der Energieverbrauch sinkt, | |
die nächste Nebenkostenabrechnung verliert ihren Schrecken. Auch für den | |
Staat wird es beim Wohngeld billiger. | |
Eine Förderung der „Öffis“ kommt ebenfalls insbesondere den Ärmeren zugu… | |
und spart Treibhausgase, reduziert schlechte Luft und Krankheitskosten. | |
Und mit einer einzigen Krankenkasse für alle würden die allermeisten | |
Menschen besser versorgt und explodierende Kosten gedämpft. Damit die | |
ökosoziale Wende stattfinden kann, hält der Club of Rome eine Zutat für | |
unerlässlich: die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Empowerment. | |
Mitbestimmung und Mitgestaltung sollten grundlegend sein für jede | |
Demokratie. Es ist ein Fehler, dass immer nur Parteienlisten zur Abstimmung | |
stehen. Würde man über Themen wie Klimaschutz, Bildungszugang oder | |
Pestizidverbote abstimmen können, würden ganz andere Mehrheiten sichtbar. | |
Und die Menschen würden sich mit Sicherheit mehr gehört fühlen. Wir sollten | |
viel stärker zeigen, dass wir die übergroße Mehrheit sind, die eine | |
Brandmauer gegen rechts im Bund und allen Städten einfordert. | |
Demos bieten dazu Gelegenheit. Wir erwarten von der kommenden Regierung | |
weder einen Schmusekurs mit Rechtsradikalen und Superreichen noch die | |
Ignoranz existenzieller Themen. Das M könnte ein gemeinsames Zeichen sein. | |
Mit einem M auf der Kleidung, auf Demos, auf Veranstaltungen könnten wir | |
einen ökosozialen Umbau von Wirtschaft und Demokratie einfordern. M würde | |
auch für „Milliardäre besteuern“ stehen, für „Moneten her!“ oder für | |
„Marginalisiert die AfD!“. | |
2 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Merz-bricht-Tabu/!6062249 | |
[2] https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL25kci5kZS8wMmRmMmVmNi1iMTAwLTQ5N… | |
[3] /CO-Preis-wenig-akzeptiert/!6028408 | |
[4] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/umweltbewusstsein-in-deutschla… | |
[5] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/258757/umfrage/umfrage-zum-t… | |
[6] https://www.rwi-essen.de/presse/wissenschaftskommunikation/pressemitteilung… | |
[7] https://innofact-marktforschung.de/bgl-studie-gruen-in-die-stadt-menschen-i… | |
[8] https://www.rnd.de/wirtschaft/umfrage-zu-gentechnik-mehr-als-90-prozent-der… | |
[9] https://www.aok.de/pp/bv/pm/meinungen-zur-gesundheitspolitik/ | |
[10] https://www.ndr.de/ndrfragt/Umfrage-Mehrheit-wuerde-private-Krankenversich… | |
[11] https://demokratie.buergerrat.de/dokumentation/umfrage/umfrage-highlights/ | |
[12] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-07/forsa-umfrage-mehrheit-fue… | |
[13] https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/reichtum-wieder-besteuern/ | |
[14] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/162320/umfrage/die-reichste… | |
[15] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/faktencheck-vermoe… | |
[16] https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-06/vermoegen-milliardaere-steuern-ungl… | |
[17] https://www.oekom.de/buch/earth-for-all-9783962383879 | |
## AUTOREN | |
Annette Jensen | |
Ute Scheub | |
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