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# taz.de -- Biopic „Leben ist jetzt“: Ständig auf Volldampf
> „Leben ist jetzt – Die Real Life Guys“ erzählt frei von Zwischentönen…
> Geschichte der Youtuber*innen Elisabeth, Philipp und Johannes
> Mickenbecker.
Bild: Zwei Brüder, die im Namen des Herrn unterwegs sind, und Spaß haben: Sze…
War das wirklich so? Die Frage stellt sich immer dann, wenn in einem
Spielfilm eine „wahre Geschichte“ erzählt wird. In den meisten Filmen muss
man da den Filmemacher*innen vertrauen, und oft wird dieses Vertrauen
dann enttäuscht. Aber es gibt Fälle, bei denen allgemein bekannt und
nachprüfbar ist, ob ein Film das „reale Leben“ nacherzählt.
Bei „Leben ist jetzt – Die Real Life Guys“ [1][ist solch ein
Realitäts-Check sehr einfach], denn die Geschichte der Zwillingsbrüder
Philipp und Johannes Mickenbecker wurde schon vor diesem Film in anderen
visuellen Medien mit höherem Realitätsanspruch erzählt.
So gibt es etwa auf Youtube den [2][Kanal „The Real Life Guys“], den die
Zwillinge zusammen mit ihrer Schwester Elisabeth gründeten, und der mit
1,87 Millionen Abonnent*innen immer noch sehr erfolgreich ist.
Die Geschichte der Familie wurde dann so dramatisch, dass zuerst eine
[3][Fernsehdokumentation der ARD] und dann ein Dokumentarfilm mit dem Titel
„Philipp Mickenbecker – Real Life“ gedreht wurde, der 2023 in die Kinos
kam. In „Leben ist jetzt …“ wird die Geschichte nun noch ausführlicher u…
von Anfang an nachgespielt.
## Extreme Abenteuerlust
Die drei Geschwister Mickenbecker stammten aus einer christlich
orientierten Familie und sie zeichnete eine extreme Lebens- und
Abenteuerlust aus. Die Zwillinge begaben sich gern in Extremsituationen,
für die sie selbst Geräte und Fahrzeuge bastelten. Ihre Aktionen filmten
sie dann und luden sie auf ihren Youtube-Kanal hoch.
So tauchten sie in einem selbstgebauten Badewannen-U-Boot, eine andere
Badewanne brachten sie zum Fliegen und aus den Artikeln in einem Baumarkt
bastelten sie eine zehn Meter hohe Achterbahn. [4][Mit 18 Jahren
verunglückte Elisabeth] tödlich bei einem Flugzeugabsturz. Philipp
erkrankte an Lymphdrüsenkrebs und starb im Jahr 2021.
Die Geschichte ist also in den verschiedenen Medien gut dokumentiert. Das
verpflichtet eine Nacherzählung im Spielfilm zu Authentizität. Auf vielen
Ebenen gelingt dies auch. So gibt es etwa kaum Brüche zwischen den
nachgestellten Aktionen und den Youtube-Bildern.
Mit den Zwillingen Richard und Anton Fuchs wurden zwei Hauptdarsteller
gefunden, die einander nicht nur genauso ähnlich sehen wie Philipp und
Johannes Mickenbecker. Sie strahlen auch eine ähnliche [5][Lebensenergie
aus wie die zwei]. Johannes Mickenbecker war bei den Dreharbeiten dabei und
auch dies ist wohl auch ein Grund für die beeindruckend
wirklichkeitsgetreue Bildebene.
Gedreht wurde im Jahr 2023 unter anderem an der niedersächsischen
Nordseeküste in Wilhelmshaven, Wangerland, Jever, Horumersiel und Schillig.
Regie führte die junge Filmemacherin Maria-Anna Westholzer, die 2021 mit
der Kriminalkomödie „Heute stirbt hier Kainer“ in der ARD debütiere. Das
Drehbuch schrieb die Bremer Autorin Lydna Bartnik, die zuvor für die Daily
Soap „Rote Rosen“ gearbeitet hatte.
## Produktionsfirma holt neuen Regisseur
Doch nach den Dreharbeiten waren die Produktionsfirma und Mickenbecker
nicht mit dem Resultat zufrieden. Sie engagierten deshalb mit Stefan
Westerwelle einen routinierteren Regisseur. Westerwelle war dann für
Nachdrehs und die Postproduktion verantwortlich.
Man sieht oder besser: man hört es dem Film auch an, dass an ihm zwei
unterschiedliche Persönlichkeiten im Regiestuhl gearbeitet haben: Viele
Dialoge wurden in der Postproduktion mit anderen Texten nachsynchronisiert.
So entsteht ein ungewollter Verfremdungseffekt: Mal sagen die Lippen der
Darsteller*innen auf der Leinwand genau das, was man hört, aber dann
sind einzelne Worte und oft auch ganze Sätze extrem asynchron.
Auffällig ist auch, dass der realen Geschichte eine effektive, aber eben
kaum noch plausible Dramaturgie eingezogen wurde. Viele Vorkommnisse wurden
so aus der tatsächlichen Chronologie gerissen, dass es im Film zu möglichst
dramatischen Sequenzen kommt.
## Das dicke Ende kommt noch
Es gibt zum Beispiel gleich zwei Parallelmontagen, bei denen mit extremen
Stimmungskontrasten gearbeitet wird: Johannes macht seine ersten sexuellen
Erfahrungen in exakt dem filmischen Zeitraum, in dem Philipp darüber
unterrichtet wird, dass seine Krankheit nach der Chemotherapie wieder
ausgebrochen ist.
In einer anderen Szene feiern die Brüder mit ihrem Team ausgelassen die
erste Million Klicks auf Youtube, während das Ultraleichtflugzeug, in dem
Schwester Elisabeth sitzt, abstürzt. Verdichtung ist auch subtiler möglich.
Aber von der Produktionsfirma und vom Verleih Paramount, der den Film
jüngst in den Multiplexkinos anspielen ließ, war das offensichtlich nicht
erwünscht.
Stattdessen wurde er auf die Sehgewohnheiten des jugendlichen Publikums
zugeschnitten. Dank rasanter Schnittfolge, plakativer Bildsprache und
ununterbrochen knallender Musik läuft der Film ständig auf Volldampf.
Zwischentöne zwischen manisch und tragisch gibt’s keine.
Zum Schluss hin erlebt der todkranke Philipp eine religiöse Erweckung.
[6][Er und der Film werden immer christlicher,] man kann auch sagen:
missionarischer. Dies wirkt mit pathetischen Bildern von isländischen
Eislandschaften eher wie ein thematischer Bruch in einem Film, der nicht
nur im Titel das hedonistische „Carpe diem“ propagiert.
29 Jan 2025
## LINKS
[1] /Virtual-Reality/!5366394
[2] https://www.youtube.com/channel/UCn0ITRHWS64_zRz5WWeQBkQ
[3] /Dokumentation-Real-Life-Guy/!5738222
[4] https://www.instagram.com/the_real_life_guys/p/Bgg0HGHBFJR/
[5] https://www.deutschlandfunk.de/rechtsextremismus-die-identitaere-versuchung…
[6] /Christliche-Ideologie-im-Internet/!5981335
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Film
Youtube
Glaube
Krankheit
Biographie
katholisch
Evangelikale
NDR
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