# taz.de -- Selenskyjs Staatsbesuch in Polen: Annäherung im Wolhynien-Streit | |
> Die fehlende Aufarbeitung der Morde der ukrainischen Aufstandsarmee an | |
> Polen stehen zwischen Kyjiw und Warschau. Selenskyj signalisiert | |
> Kooperationsbereitschaft. | |
Bild: Während der Enthüllung eines Denkmals für die Toten in Wolhynien in Po… | |
Luzk taz | Zum dritten Mal seit Beginn des russischen Großangriffs vor drei | |
Jahren war der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zu einem | |
offiziellen Besuch in Warschau. Im Zentrum der Gespräche mit Premier Donald | |
Tusk und seinem Amtskollegen, Staatspräsident Andrzej Duda, stand – die | |
Geschichte. | |
Und es zeichnete sich eine Sensation ab: Der ukrainische Präsident verließ | |
Warschau mit der Versicherung, dass historische Fragen die europäische | |
Integration der Ukraine nicht behindern würden. Für Kyjiw war es wichtig, | |
dies aus Warschau zu hören, [1][das seit dem 1. Januar die | |
EU-Ratspräsidentschaft innehat]. | |
Polnische Politiker haben „Wolhynien 1943“ zu einem Thema im | |
Präsidentschaftswahlkampf gemacht. Während Historiker in der Ukraine die | |
Ereignisse als „wolhynische Tragödie“ bezeichnen, [2][sprechen einige ihrer | |
polnischen Kollegen vom „Wolhynien-Massaker“] und führten 2018 die | |
strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Leugnung der „Verbrechen | |
ukrainischer Nationalisten“ ein. | |
Im Jahr 1943 war es in Galizien, Wolhynien und den Gebieten westlich der | |
Flüsse Bug und San zu ethnischen Konflikten gekommen, in deren Folge | |
Zehntausende Polen und Ukrainer ums Leben kamen. Historiker beider Länder | |
streiten seitdem über die Anzahl der Toten, sprechen von 35.000 bis 100.000 | |
polnischen und 15.000 bis 25.000 ukrainischen Opfern. | |
In den vergangenen Jahren sind der Vandalismus an ukrainischen Denkmälern | |
in Polen und das Verbot von Exhumierungsarbeiten in der Ukraine zum Problem | |
geworden. Genau das nutzen rechtsextreme Politiker in Polen. | |
## Wolhynien als Thema im polnischen Wahlkampf | |
Anfang 2025 sprach sich der PiS-nahe polnische Präsidentschaftskandidat und | |
[3][Direktor des Instituts für Nationales Gedenken, Karol Nawrocki], | |
aufgrund des ukrainischen Konflikts mit Warschau um die | |
Wolhynien-Tragödie gegen einen ukrainischen EU- und Nato-Beitritt aus. | |
„Ich sehe die Ukraine weder in der EU noch in der Nato. Ein Staat, der | |
nicht die Verantwortung für ein brutales Verbrechen an 120.000 seiner | |
Nachbarn übernehmen kann, kann kein Mitglied internationaler Bündnisse | |
sein“, sagte der konservative Nawrocki gegenüber dem TV-Sender Polsat. Die | |
Opferzahl von 1943 ist nicht nachgewiesen. Für die PiS sind diese | |
historischen Fragen in den Beziehungen zur Ukraine ein wichtiges | |
Wahlkampfthema. | |
Doch dann setzten sich die Politiker an den Verhandlungstisch. Mit Erfolg: | |
Wenige Tage vor Selenskyjs Warschau-Besuch gestattete die Ukraine erstmals, | |
die Leichen der 1943/44 getöteten Polen zu exhumieren. Tusk begrüßte dies | |
als Durchbruch in den bilateralen Beziehungen. | |
Warschau und Kyjiw tauschen Listen mit Orten aus, an denen ab April im | |
Gebiet Ternopil nach den sterblichen Überresten der Opfer gesucht werden | |
soll. Danach sollen die Opfer umgebettet werden. „Ich werde nicht zulassen, | |
dass diese dramatische Geschichte für politische Machtspiele in Polen | |
missbraucht wird“, betont Tusk. | |
## Ukraines EU-Beitritt im Interesse der polnischen Sicherheit | |
Der polnische Premier sicherte der Ukraine Unterstützung auf ihrem Weg in | |
die EU zu und rügte die PiS dafür, dass sie „Bedingungen für die politische | |
Unterstützung der Ukraine“ stellten. | |
„Eine ukrainische EU-Mitgliedschaft liegt im Sicherheitsinteresse Polen. | |
Wer das nicht versteht, ist entweder ein Dummkopf oder ein Verräter“, sagte | |
Tusk. | |
In der Ukraine wurden die Vereinbarungen zur Geschichte mit Optimismus | |
aufgenommen. „Die Krise in den zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen der | |
Ukraine und Polen ist gelöst“, sagte der Oppositionsabgeordnete Mykola | |
Kniazhytskyij. | |
[4][Er und Außenminister Andrij Sybiha] raten gleichzeitig, auf | |
Entscheidungen und Maßnahmen der polnischen Seite zu warten, um unter | |
anderem ukrainische Denkmäler für die Kämpfer der ukrainischen | |
Aufstandsarmee UPA im Nachbarland Polen zu restaurieren. „Auch wir fordern | |
eine würdige Ehrung des ukrainischen Gedenkens auf dem Territorium Polens“, | |
sagte Außenminister Sybiha | |
Aus dem Russischen [5][Gaby Coldewey] | |
16 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Polens-EU-Ratspraesidentschaft/!6060302 | |
[2] /Genozid-Resolution-in-Polens-Parlament/!5321550 | |
[3] /Praesidentschaftswahl-in-Polen/!6057177 | |
[4] /-Nachrichten-im-Ukraine-Krieg-/!6034770 | |
[5] /!s=Coldewey/ | |
## AUTOREN | |
Juri Konkewitsch | |
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