| # taz.de -- Neues Angebot für „Systemsprenger“: Zuflucht für Kinder, die … | |
| > Sogenannte Systemsprenger fallen immer wieder durchs System. Eine neue | |
| > Kriseneinrichtung in Berlin bietet ihnen ein Zuhause – komme was da | |
| > wolle. | |
| Bild: Vom System hängengelassen: Extrem verhaltensauffällige Kinder finden in… | |
| Berlin taz | Die ersten beiden „[1][Systemsprenger]“ kamen am Dienstag. | |
| Darunter ein zehnjähriger, schwer verhaltensauffälliger Junge. Kinder wie | |
| er, die als nicht integrierbar gelten und daher aus anderen | |
| Kriseneinrichtungen rausfliegen oder dort gar nicht erst aufgenommen | |
| werden, finden im „Lichtpfad“ in der Urbanstraße in Berlin-Kreuzberg eine | |
| Zuflucht. „Es ist ein sicherer Rückzugsort für junge Menschen in akuten | |
| Krisen“, sagt Jugendstadtrat Max Kindler (CDU) bei der Eröffnung am | |
| Montagnachmittag. | |
| Maximal sechs Kinder im Alter von 8 bis 13 Jahren können hier untergebracht | |
| werden. Die Räume sind hell und mit freundlichen Farben gestrichen. Es gibt | |
| Einzel- und Doppelzimmer, in denen sich neben einem kleinen Bett noch eine | |
| Kommode, ein Schrank und ein kleiner Schreibtisch befinden. Das Besondere: | |
| Der „Lichtpfad“ hat eine Aufnahmeverpflichtung. Das heißt, die Einrichtung | |
| muss Kinder in Not rund um die Uhr aufnehmen – sofern nicht alle Plätze | |
| belegt sind. Und sie können bleiben, egal, was passiert. | |
| Das ist im völlig [2][überlasteten Berliner Jugendhilfesystem] nicht | |
| selbstverständlich. Rund 9.000 Plätze in Jugendeinrichtungen gibt es in der | |
| Hauptstadt. Immer wieder werden besonders schwierige Kinder von den | |
| Einrichtungen abgelehnt oder rausgeschmissen, weil die Kapazitäten für eine | |
| angemessene Betreuung fehlen. | |
| Also kommen sie in die Obhut des Kindernotdienstes. Der ist aber eigentlich | |
| nur für einen kurzen Aufenthalt gedacht, bis eine Unterbringung gefunden | |
| wird. Die Folge: Ein hoffnungslos überlasteter Kindernotdienst und Kinder, | |
| die nicht die Hilfe bekommen, die sie brauchen. Mitte vergangenen Jahres | |
| kam es wegen Überbelegung und Personalmangel in Einrichtungen des Kinder- | |
| und Jugendnotdienstes sogar zu [3][einem Aufnahmestopp]. Wer bereits einen | |
| Platz in einer stationären Einrichtung hatte und etwa aus disziplinarischen | |
| Gründen entlassen wurde, wurde nicht mehr aufgenommen. | |
| ## Ein bundesweit einmaliges Konzept | |
| Das betrifft insbesondere die sogenannten Systemsprenger, die die Gruppen | |
| in den Jugendhilfeeinrichtungen „sprengen“ und daher immer wieder | |
| rausgeschmissen werden. Mit Projekten wie dem „Lichtpfad“ soll der | |
| „Drehtüreffekt“ verhindert werden, also dass Kinder zwischen Einrichtungen | |
| der Jugendhilfe und dem Kindernotdienst hin und her pendeln. „Die Kinder | |
| kommen nirgendwo richtig an und finden keinen Halt. Diesen Kreislauf müssen | |
| wir durchbrechen“, sagt Jugendstaatssekretär Falko Liecke (CDU) bei der | |
| Eröffnung. | |
| Insgesamt fünf Millionen Euro stellt die Senatsjugendverwaltung für den | |
| Aufbau solcher Einrichtungen für die Jahre 2024 und 2025 zur Verfügung. Der | |
| „Lichtpfad“ ist die erste dieser Art – und mit seiner Aufnahmeverpflichtu… | |
| bundesweit einmalig. | |
| Mit dem Geld kann der Träger Ostkreuz City unter anderem einen guten | |
| Personalschlüssel finanzieren: 9,5 Vollzeitstellen für 6 Kinder, die rund | |
| um die Uhr betreut werden. Darunter Erzieher*innen, | |
| Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen. Die bekommen zusätzlich | |
| noch traumapädagogische Schulungen. Denn viele der Kinder kommen aus | |
| [4][extrem gewalttätigen Verhältnissen] und oder haben sexuelle Gewalt | |
| erlebt und sind daher selbst gewalttätig, hochsexualisiert oder auch | |
| suizidgefährdet. | |
| Damit umzugehen ist nicht leicht. Der Geschäftsführer von Ostkreuz City, | |
| Joachim Röhmhild, hat trotz berlinweitem Personalmangel zwar ausreichend | |
| Mitarbeiter*innen gefunden – das heißt aber nicht, dass diese auch | |
| bleiben. „Ich rechne damit, dass die Hälfte im ersten Jahr wieder aufhört�… | |
| sagt Röhmhild. | |
| Die Sozialarbeiterinnen Sofie Kietzke und Anna Donath freuen sich trotz der | |
| schwierigen Aufgabe, dass es nun losgeht. „Der nötige Respekt ist schon | |
| dabei, aber auch viel Vorfreude und Neugier“, sagt Donath. Ihre Kollegin | |
| Kietzke sagt, sie blühe in Krisensituationen erst richtig auf. Gut findet | |
| sie auch die Altersgruppe 8 bis 13: „Da hat man die Möglichkeit, noch etwas | |
| zu erreichen.“ | |
| ## Jugendhilfesystem ist am Limit | |
| Maximal sechs Monate sollen die „Systemsprenger“ im „Lichtpfad“ bleiben. | |
| „Der Auftrag ist, die Krisensituation zu beruhigen und Perspektiven zu | |
| finden“, sagt Röhmhild. Also: Sicherheit vermitteln, Stabilisierung und | |
| Empowerment, um dann eine langfristige Unterbringung zu ermöglichen. | |
| Bislang gibt es dieses Angebot nur in Friedrichshain-Kreuzberg. Kinder aus | |
| anderen Bezirken kann der „Lichtpfad“ zwar aufnehmen – die Verpflichtung | |
| dazu gilt für sie aber nicht. Staatssekretär Liecke hofft, dass andere | |
| Bezirke nachziehen. Mit Pankow und Lichtenberg liefen Verhandlungen, ein | |
| Träger sei auch schon gefunden, so Liecke. | |
| Bis dahin bleibt die Einrichtung in Kreuzberg ein Tropfen auf dem heißen | |
| Stein. Den Bedarf in ganz Berlin kann sie mit ihren sechs Plätzen nicht | |
| decken. Denn seit Corona gibt es immer mehr junge Menschen mit psychischen | |
| Krisen. Laut Studien leidet mittlerweile mehr als [5][ein Fünftel aller | |
| Kinder und Jugendlichen] unter psychischen Störungen. | |
| Mit entsprechenden Konsequenzen: „Das ganze Jugendhilfesystem ist an seine | |
| Grenzen gekommen“, sagt Joachim Röhmhild. Die Lage sei „dramatisch“: „… | |
| gibt nicht genug Plätze, Sozialarbeiter, Erzieher.“ Genug Potenzial also, | |
| um das System zu sprengen. | |
| 7 Jan 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marie Frank | |
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