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# taz.de -- 10 Jahre nach Anschlag auf Charlie Hebdo: Sehr witzig!?
> Was jemand als lustig empfindet, ist eine subjektive Angelegenheit,
> abhängig von vielen Faktoren. Und der Humorbegriff verändert sich mit den
> Zeiten.
Auf dem Grabstein des Satirikers Carl Julius Weber in Baden-Württemberg
prangen in verschlungener Schrift die Worte: „Denkmal zur Liebe und
Dankbarkeit, gewidmet dem geliebten Bruder Carl Julius Weber, vormalig
Gräfl. Erbach Hof- und Regierungsrath, der hier in ländlicher Einsamkeit
seine thätige Laufbahn beschloss, am 19. Juli 1832, 66 Jahre alt, von
seiner Schwester Henriette Krämer“. Humor besaß diese Henriette anscheinend
nicht. Denn Weber hatte sich eigentlich zu Lebzeiten eine andere Inschrift
ausgesucht: „Hier ruhen meine Gebeine. Ich wollt, es wären deine.“
Geschichten wie diese sind der Beweis dafür, dass Humor eine subjektive
Angelegenheit ist, ebenso wie die Umstände, unter denen er angewandt werden
darf. Die Grenzen des als erlaubt Empfundenen scheinen sich dabei ständig
zu verschieben. Für Frau Krämer war die Trauer über den Tod des „geliebten
Bruders“ wichtiger als die Ehrung seines Schalks. Einen Witz über des
Witzbolds Tod fand sie pietätlos, oder auch: einfach nicht lustig.
Humor und die Frage, wer und worüber man lachen darf, gleicht einem
komplexen, individuellen, verwirrenden Netz aus Epoche, Alter, Charakter,
Bildung, Stellung, Glaube, Umgebung, Sitten, Geschlecht und
Auffassungsgabe. Gesellschaftlich war vor allem die Folge des Humors, das
Lachen, lange Zeit verpönt: Umberto Eco beschrieb in seinem Roman [1][„Der
Name der Rose“] eine Mordserie in einem Kloster des 14. Jahrhunderts. Der
ermittelnde Franziskanermönch stellt fest, dass der Täter, ein greiser
Bibliothekar, eine Schrift des Aristoteles zu schützen suchte, indem er
jeden umbringt, der damit in Berührung kommt. Im inkriminierten Buch ging
es um die Komödie. Doch Lachen und Humor waren „des Teufels“ – somit mac…
sich der belesene Christenmann lieber zum Mörder, als innerhalb seiner
Klostermauern Humor zu dulden.
Nicht nur für Kirchendiener galt es auch noch in der frühen Neuzeit als
unfein, sich über etwas zu amüsieren. Der Universalgelehrte Erasmus von
Rotterdam setzte 1583 im altertümlichen Rechtschreibdiktus fest: „Ists auch
zimlich / uberlaut und unmessig lachen / also / das sich der ganze leyb
erschüttelt? Antwort: Solches keinem alter wol anstehet / ich geschweig der
jugendt“. Lautes Lachen ziemte sich also nicht. Arme Teens, muss man
angesichts der in gewissen Lebensabschnitten besonders ausgeprägten
Albernheit da wohl konstatieren. Vielleicht ziehen sich Pubertist:innen
auch darum gern auf das weniger „leyb erschüttelnde“ Kichern zurück.
Das Ziel eines Witzes verändert sich ebenso. Im Witze-Bestseller des 16.
Jahrhunderts, dem „Schwankroman“ über Till Eulenspiegel, werden immer
wieder Geschichten kolportiert, die mit stinkenden Ausscheidungen zu tun
haben, und meist von Eulenspiegel gegenüber höhergestellten Menschen
angewandt wurden, die ihn drangsalieren wollten. Über Mist lachen Menschen
eben gern – auch beim Slapstick, der den Körper miteinbezieht, geht es oft
um Missgeschicke mit Dreck. Der sich in der misslichen Lage befindende
Mensch wird dabei zum Unglücksraben – der Zuschauende dagegen wiehert
schadenfroh und überschreitet mühelos die Grenze zur Gemeinheit.
Denn obwohl sich Eulenspiegels Jokes meist gegen Obrigkeiten richten, ist
Schadenfreude keine tadellose Unterart des Humors: Die Psychologie
verbindet diese Empfindung mit dem Gefühl von Neid. Laut einer
wissenschaftlichen Studie von 2012 empfinden wir „Schadenfreude besonders
gegenüber Mitgliedern von statushohen Gruppen […].Wenn wir uns also mit
Personen oder Gruppen vergleichen, die besser dastehen als wir, führt dies
oft zu Neid – einem Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit und dem Bedürfnis,
das zu haben, was der/die andere hat. Die beneideten Personen werden
oftmals als kompetent und unsympathisch wahrgenommen. Schadenfreude kommt
dann ins Spiel, wenn wir uns über das Unglück solcher Personen freuen, auf
die wir im Grunde neidisch sind.“
Schadenfreude schließt Empathie aus – jemandem gegenüber schadenfroh zu
sein, der einem nicht leidtut, fällt leicht.
Das war bei Eulenspiegel schon so – und doch ist Humor ein Kind seiner
Zeit. Er hat sich mit der digitalen Revolution entsprechend verändert. Die
internationale Gleichzeitigkeit der Gags und ihre globale digitale Sprache
sorgten dafür, dass sich heutige Generationen auf Social-media-Kanälen über
Katzen- oder Baby-Memes beömmeln, für die man zwar immer noch kulturelle
Referenzen braucht, bei denen sich die Originalität und der politische
Gehalt jedoch zuweilen in Grenzen halten. Bei Memes besteht die
Herausforderung darin, das Bild neu zu kontextualisieren.
Zudem werden die Peers empfindlicher. Schwer beleidigend sind die kurzen
Gags selten, es lauert wenig Provokation in Memes. Mit der recht vagen
„Coolness“, die früher mit Humor verbunden wurde, haben sie ebenfalls nicht
viel zu tun. Vielleicht, weil mit Hinblick auf eine gerechtere, weniger
verletzende und beleidigende Welt weniger fiese Spitzen erwünscht sind.
Auch die vormals oft sexistischen, rassistischen und diffamierenden
kulturellen Hintergründe der Witze werden nicht mehr einfach hingenommen.
Stattdessen analysiert man den Witz, und der Aufschrei ist mitunter – und
zu Recht – groß.
## Satire und Weltanschauungen
Gewalt rechtfertigt das nicht. Das monströse und tödliche Attentat aufgrund
der bei [2][Charlie Hebdo] wiederholt nachgedruckten Mohammed-Karikaturen
hat, wie auch schon ähnliche Attentate zuvor, bewusst verletzende Humor-
oder Ironieversuche auf eine andere, beängstigende Ebene gehoben.
In der Was-darf-Satire-Debatte, siehe der Böhmermann-Erdoğan-Eklat, stießen
und stoßen immer wieder unterschiedliche, scheinbar unvereinbare
Weltanschauungen zusammen. Auf der einen Seite die meist aus der
atheistischen, agnostischen oder säkularen Ecke kommenden
Humorverteidiger:innen, die das Recht einfordern, sich über alles lustig
machen zu dürfen, und auf die wichtige Funktion des Humors und der Satire
als notwendiges und relevantes Mittel zur Kritik pochen.
Auf der anderen Seite Menschen, deren Glauben so stark mit ihrer Identität
verbunden ist, dass sie eine Karikatur nicht nur als rassistischen Angriff
verstehen (die sie ja durchaus sein kann), sondern darüber hinaus mit
Gewalt reagieren und aus Rache morden. Dabei geht es dann weder um Glauben
noch um Satire: Extremist:innen geht es nur um Extremismus. Was von den
Humorist:innen als „Kritik“ losgeschickt wurde, kam bei den Betroffenen
als „Verachtung“ an – und evozierte Taten, die immer unverhältnismäßig
sind.
Zumindest in ihrer Struktur ähnelt die Debatte der Diskussion um die
Sprachsensibilisierung, in der sich Menschen darüber beschweren, „nichts
mehr sagen“ zu dürfen. Die Frage sollte aber sein: Wieso wollen sie denn
überhaupt etwas sagen, das jemand anderen beleidigt? Steckt in diesem
Wunsch, und damit auch in dieser Art von Humor, nicht doch mangelnde
Sensibilität, die verhindert, sich in den anderen einzufühlen?
„Wer spricht“, war dabei schon immer elementar. Im „Großen Hausbuch des
Humors“, einem 1976 erschienenen Sammelband, finden sich unter der Rubrik
„Andere Sitten“ jede Menge von Weißen stammende Witze über den
afrikanischen Kontinent mit entsprechendem Vokabular, aufgebaut auf
Klischees. Der gleiche Band zeigt auch eine Karikatur der frühen
feministischen Comiczeichnerin Marie Marcks, auf der vier verhärmte,
ältere Frauen eine Demo abhalten und ein Plakat hochhalten, auf dem steht:
„Wir sind keine Sexualobjekte!“ Während die rassistischen Witze
mittlerweile zu einem Einstampfen des Buchs führen würden, könnte man beim
Marcks-Comic argumentieren: Als Betroffene:r darf man den Witz durchaus
machen. Oder doch lieber nicht – denn wieso sollte man?
## Schlechte Witze
Und dann gibt es auch noch Witze, die weder rassistisch noch sexistisch,
noch islamfeindlich, noch antisemitisch, sondern einfach nur schlecht sind.
Dass überhaupt jemals jemand über die meist im Walzertakt stolpernden,
halbgereimten Songs und klammen Sketche der sogenannten
Unterhaltungssendung [3][„Zum Blauen Bock“] lachen konnte, die von 1957 bis
1987 im Hessischen Rundfunk lief, ist nur ein paar Jahrzehnte später schwer
vorstellbar.
In einer Ausgabe von 1979 schildert der Gastgeber und Sänger Heinz Schenk
eine Begegnung mit dem Moderator Rudi Carrell. Schenk habe ihm von seiner
neuen Schallplatte erzählt, Carrell habe ihn daraufhin gefragt: „Singst du
eigentlich gern?“ – „Ja“ – „Warum lernst du es dann nicht?“. Tät…
das Publikum prustet, wohl auch aus Mangel an Erfahrung mit höherem
Witzniveau. Hätte Schenk damals Webers großartigen Grabspruch zitiert – er
hätte wohl auch den vergeigt.
7 Jan 2025
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Name_der_Rose
[2] https://charliehebdo.fr
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Zum_Blauen_Bock
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
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Humor
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Satire
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