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# taz.de -- Das Ende von Freundschaften: Ich dachte, wir wären für immer
> Christina und Mathilda waren seit dem 2. Lebensjahr beste Freundinnen.
> Bis Mathilda sagt: Das war's. Christina bleibt zurück – mit Trauer und
> Fragen.
Bild: Sie dachten, die Freundschaft sei für immer
Den [1][Beginn einer Freundschaft] auf einen Zeitpunkt festzulegen, ist
schwer. Doch ihr Ende, das kenne ich genau. Ich kenne das Datum, sogar die
Uhrzeit. Es braucht nur wenige Zeilen des Songs, unseres Songs, und ich bin
wieder dort:
„Weißt du eigentlich, was du bist für mich? Alles andre als normal und
jederzeit loyal, royal“
3. September 2022, 13.26 Uhr. Ich bin auf dem Weg ins Kino, als die
längste Beziehung meines Lebens endet. „Ich will keinen Kontakt mehr,
bitte respektiere das“, schreibt Mathilda* mir auf Whatsapp. Die Nachricht
klingt, als wäre ich ein aufdringlicher Ex, der unangemeldet vor ihrer Tür
steht. Seitdem herrscht Funkstille – zwei Jahre inzwischen.
Zwei Jahre alt war ich, als neben meinen Eltern, in einem Dorf in der Pfalz
eine Familie einzog. „Finnensauna“ taufte mein Großvater das große aus
Holzbalken gebaute Haus. Dort krabbelten wir zum ersten Mal gemeinsam auf
dem Eichenboden – sie und ich, noch kleine Kinder.
## Der Soundtrack unserer Freundschaft
Den genauen Moment, in dem wir beschlossen, beste Freundinnen zu sein, kann
ich nicht mehr festmachen. Vielleicht als wir uns gemeinsam im Bad
einsperrten, um den Nachtisch vor dem Mittagessen zu naschen. Vielleicht,
als wir versuchten, meinen Bruder zum Auszug zu überreden, damit ich sein
Dachzimmer bekommen und wir uns über die Fenster hinweg Nachrichten
zuschicken könnten. Als wir uns gemeinsam durch Dornenhecken kämpften, um
in die Bande meines Grundschulschwarms aufgenommen zu werden, oder als wir
eine ganze Ameisenarmee in meinen Schrank beförderten, in der festen
Überzeugung, mit der Zucht der kleinen Insekten reich zu werden.
Wir erklärten „Wir beide“ von der deutschen Band Juli offiziell zum
Soundtrack unserer Freundschaft – sie schien uns perfekt zu beschreiben.
Lauthals sangen wir mit:
„Du bist mein Fundament, keine, die mich so gut kennt, keine, die mich
sieht wie du, Old Shatterhand und ich Winnetou“
Wahrscheinlicher ist, dass alles schon davor begann. In meinen ersten
Erinnerungen [2][war es Liebe auf den ersten Blick]. Die Laterne zwischen
den Grundstücken wurde zu unserem Treffpunkt und wir unzertrennlich. 83
Prozent meiner Lebenszeit verbrachte ich mit ihr, nur meine Eltern kennen
mich länger.
## Eine Basis fürs Lebensglück
Psycholog:innen sprechen [3][in solchen Fällen von
„Herzensfreundschaften“]. Sie sollen enger sein als Partnerschaften,
dauern oft Jahrzehnte und sind laut Dr. Wolfgang Krüger, Psychotherapeut
und Buchautor aus Berlin, eine Basis für Lebensglück. Besonders bei
Herzensfreundschaften sei ein Schlussmachen, so wie ich es erlebt habe,
sehr selten. „Wenn solche Herzensfreundschaften zerbrechen, ist das eine
Katastrophe“, weiß er. Und so fühlt es sich an. Nach Mathildas Nachricht,
zu deren Zeit wir längst nicht mehr am selben Ort wohnen, wechseln sich Wut
und Trauer tageweise ab.
Habe ich etwas falsch gemacht? Oder hat sie mir Unrecht getan? Wie kann sie
mich aus ihrem Leben verbannen – einfach so? Ich fühle mich, als sei ein
Teil von mir weggebrochen, ausgelöscht. Und ich stelle mir eine Frage, die
ich immer noch zu beantworten versuche: Wer bin ich, ohne sie?
In den ersten Tagen nach dem Bruch weise ich jede Verantwortung von mir.
Ich? Eine schlechte Freundin? Lächerlich! Wie ein trotziges Kind antworte
ich lange nicht auf ihre Nachricht. Aber die Zweifel an den Gedanken, die
ich mir selbst als Überzeugungen verkaufe, bleiben.
„Freundschaften zerbrechen nicht plötzlich“, erklärt Dr. Krüger.
Entfremdung, die immer vor einer Trennung steht, werde oft nur von einer
Seite wahrgenommen. Um einzusehen, dass auch wir keine Ausnahme bilden,
habe ich lange gebraucht. Oft habe ich darüber nachgedacht, alte Chats
gelesen. Versucht, mir zu erklären, wie sich abgezeichnet hat, was für mich
so plötzlich kam. Wann hat es angefangen, schiefzugehen? War ich ihr keine
gute Freundin mehr, in dieser letzten Zeit?
## Unser Kontakt wird weniger
Im Jahr 2020 feiern wir unser Abitur. Zum ersten Mal steht fest, dass wir
unsere eigenen Wege gehen müssen. Ich ziehe in eine neue Stadt, Mathilda
bleibt zurück.
Ich bin beschäftigt mit mir, dem neuen Studium, neuen Freunden, einem neuen
Leben – einem Leben, in dem sie keinen Platz hat. Wenn ich meine Eltern
besuche, treffen wir uns. Ab und an schreiben wir Nachrichten auf Whatsapp.
Unser Kontakt wird weniger in dieser Zeit, aber ich denke mir nichts dabei.
Schließlich hatten wir ein unausgesprochenes Versprechen: Unsere
Freundschaft würde für immer halten. Dass das, was schon immer war, sich
einmal ändern könnte, daran denke ich nicht:
„Immer werden wir so bleiben, lachen über schlechte Zeiten, deine Schmerzen
sind auch meine, Jahr für Jahr“
Was den Umgang mit einem Freundschafts-Aus zusätzlich schwer macht, ist
laut Dr. Krüger das fehlende gesellschaftliche Verständnis für diese
Trauer: während es nach einer Trennung für die meisten selbstverständlich
ist, dass der oder die Verlassene am Boden zerstört ist, ist das nach dem
Ende zwischen zwei Freund:innen weniger üblich: „Freundschaftskummer gibt
es nicht“, so der Psychotherapeut. Filme, Magazine und Bücher behandeln das
Ende von platonischen Beziehungen – Freundschafts-Breakups – kaum.
„Menschen trauern um Freundschaften wie um romantische Beziehungen“,
erzählt er. Trotzdem würde das Thema weder in der Forschung noch
gesellschaftlich genug besprochen. Auch ich fühle mich mit meiner Trauer
allein. Ich fühle mich von niemandem verstanden.
## Ich träume von ihr
„Die Penthousewohnung in meinem Herzen gehört immer dir“, schreiben
Mathilda und ich uns gegenseitig zum Geburtstag. Es war unsere Art zu
sagen: egal was passiert, du und ich, das bleibt für immer. Dass wir dieses
Versprechen nicht eingelöst haben, ist das, was mich bis heute beschäftigt.
Dass etwas weggefallen ist, von dem ich dachte, es könne nie vergehen. Doch
vielleicht war genau diese Selbstverständlichkeit das, was unsere
Freundschaft letztendlich zerbrach.
Immer wieder kommt in mir das Bedürfnis hoch, mit ihr zu sprechen.
Besonders über Dinge, die sie besser versteht als alle anderen. Manchmal
schreibe ich deshalb noch Nachrichten in einen alten Chat, der längst nur
noch aus grünen Sprechblasen besteht. Ich schicke ihr Gedanken, Gedichte,
Screenshots von Posts, die mich an sie erinnern. Graue Haken bestätigen,
dass die Verbindung von ihrer Seite aus endgültig gekappt ist. Ob sie
meinen Kontakt blockiert oder ihre Nummer geändert hat, weiß ich nicht.
Aber meine Nachrichten kommen längst nicht mehr bei ihr an.
Auch wenn schon lange nicht mehr in der Realität – in meinen Träumen sehe
ich Mathilda noch regelmäßig. Besonders eine Erinnerung wiederholt sich:
Ich fahre neben ihr her auf meinem Fahrrad. Wir lachen, albern herum,
werden dabei immer schneller. Wir sind acht, vielleicht neun Jahre alt. Ich
rufe: „Du musst bremsen!“ Schwungvoll fährt sie gegen eine Mauer. Auf dem
Boden Blut, ein abgebrochener Schneidezahn. Ich wache auf, greife zu meinem
Handy auf der Matratze neben mir und scrolle durch neu eingegangene
Nachrichten: nichts.
Ich muss loslassen, sage ich mir immer wieder. Erinnerungen löschen, mich
mit dem Ende abfinden. Aufhören, zu warten. Im Internet lese ich den Tipp,
einen letzten Abschiedsbrief zu schreiben. Ich überlege, mich ihr ein
letztes Mal anzuvertrauen. Ihr mein Unverständnis, meine Trauer und meine
Wut zu schildern. Aber ihr auch davon zu erzählen, wie sehr ich sie
vermisse und wie oft ich an unsere gemeinsame Zeit zurückdenke. Doch
entgegen meiner Erwartung rät mir Dr. Krüger davon ab: „Oft leben enge
Freundschaften nach vielen Jahren wieder auf“, erzählt der Psychotherapeut.
Einen Abschiedsbrief schreiben könne man, aber abschicken solle man ihn
nicht. Zumindest, wenn man noch an der Freundschaft hängt und offen dafür
ist, sie weiterzuführen. Dann solle man die Tür nicht endgültig schließen,
rät er mir. Es ist eine naive Hoffnung, an die ich mich dennoch klammere.
Immer wieder erwische ich mich dabei, wie ich ihn singe, den Refrain von
unserem Song:
„Immer werden wir so bleiben, jung und frei und schön, wir beide stehen auf
der guten Seite, Jahr für Jahr“
Seit unserer Trennung fällt es mir schwer, nach Hause zu fahren. Besonders
an Feiertagen, wenn ich weiß, dass auch sie bei ihrer Familie ist und uns
nur wenige Meter voneinander trennen. Zufällig getroffen habe ich Mathilda
seitdem aber nicht mehr. Natürlich habe ich auch schon darüber nachgedacht,
einfach an der Laterne vorbei zu ihrer Haustür zu laufen. Zu klingeln. Aber
ich traue mich nicht, seit zwei Jahren. Zu groß ist die Angst, die von ihr
gesetzte Grenze zu überschreiten. Abgewiesen zu werden.
Dieses Jahr vergesse ich ihren Geburtstag zum ersten Mal. Zwei Tage später
schreibe ich: „Alles Gute zum Geburtstag. Die Penthousewohnung in meinem
Herzen gehört immer dir.“
*Name geändert
2 Jan 2025
## LINKS
[1] /Nicht-nur-Schweden-haben-keine-Freunde/!6005109
[2] /Die-Bedeutung-von-Freundschaften/!5752527
[3] /Lieber-Freundschaft-als-Beziehung/!5968018
## AUTOREN
Christina Koppenhöfer
## TAGS
Freundschaft
Trennung
Psychologie
Gefühle
Das Leben einer Frau
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Schlagloch
wochentaz
Kolumne Bei aller Liebe
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