# taz.de -- Syriens Rebellenchef Mohamed al-Jolani: In Syrien euphorisch als Be… | |
> Mohamed al-Jolani hat die HTS-Rebellen zum Sieg über Baschar al-Assad | |
> geführt. Wer ist der Mann, der vom Islamisten zum Hoffnungsträger | |
> geworden ist? | |
Bild: Hoffnungsträger? Rebellenchef Mohamed al-Jolani in einer Videobotschaft … | |
Beirut taz | Der Schlüssel des Erfolgs der [1][Rebellenallianz HTS] ist die | |
Metamorphose ihres Anführers. Ahmed al-Sharaa, bisher unter dem Kampfnamen | |
Abu Mohamed al-Jolani bekannt, wurde in Hama und anderen eroberten Orten | |
von den jubelnden Massen wie ein Befreier gefeiert. Obwohl der 42-Jährige | |
vom Assad-Regime und den USA als Terrorist gesucht wurde und in den letzten | |
Jahren mehrere Mordanschläge überlebte, gibt er sich volksnah. Bei seinen | |
öffentlichen Auftritten wurde er nur von wenigen Leibwächtern begleitet. | |
Doch von der Euphorie um ihn herum lässt sich al-Sharaa bisher nicht | |
anstecken. | |
Man werde der vom Assad-Regime hinterlassen Willkür Gesetz und Ordnung | |
entgegensetzen, so Ahmed al-Sharaa. In den ersten Live-Übertragungen des | |
syrischen Fernsehens am Sonntagmorgen gab er seinen Kämpfern drei konkrete | |
Anweisungen: „Schießt auf niemanden, der die Waffen niederlegt. Betretet | |
keine Häuser, verfolgt niemanden, der flieht.“ | |
In einem dem US-Nachrichtensender CNN in [2][Aleppo] gegebenen Interview | |
versprach der HTS-Anführer Kurden, Regimeanhängern und Christen die | |
gleichen Rechte wie sunnitischen Syrern. Nachdem Baschar al-Assad in der | |
Nacht auf Sonntag mit einer Iljuschin-Maschine das Land verlassen hatte, | |
versprach al-Sharaa, die staatlichen Institutionen in Damaskus vorläufig | |
dem seit drei Monaten amtierenden Premierminister Mohammad Ghazi al-Jalali | |
zu überlassen. | |
Doch nicht alle sind von dem zivilen Antlitz der seit 2011 kämpfenden | |
Rebellenbewegung überzeugt. Nachdem die HTS-Einheiten von Ahmed al-Sharaa | |
Aleppo erobert hatten, verließen ethnische Minderheiten in langen | |
Autokonvois aus Angst vor den radikalen Elementen in den Reihen der | |
Rebellen die Stadt. Denn der Name Abu Mohamed al-Jolani war lange Zeit auch | |
in dem von ihm kontrollierten Idlib gefürchtet. | |
## Haft im berüchtigten Abu-Ghrib-Gefängnis | |
2003 kämpfte er für al-Qaida im Irak, die damals von Musa Zarqawi geführt | |
wurde. Bis 2013 war al Nusra mit dem „Islamischen Staat“ verbündet. Nach | |
seiner Verhaftung 2006 landete al Sharaa im berüchtigten | |
Abu-Ghrib-Gefängnis. In Syrien gründete er mit Beginn des Aufstandes gegen | |
Baschar al-Assad 2011 die Nusra-Front, eine islamistische Gruppe mit | |
Al-Qaida-Ideologie, die sie 2016 offiziell ablegte. Doch bis vor Kurzem | |
setzten die Al-Nusra-Kämpfer und ihre Nachfolger mit Gewalt strenge | |
Scharia-Regeln durch. | |
In Idlib, der über Jahre letzten Enklave der Regimegegner, wird die | |
Blitzoffensive der HTS daher mit Hoffnung und Bangen gesehen. Der Ingenieur | |
Mohamed, seinen Nachnamen will er nicht veröffentlicht sehen, war einer von | |
Sharaas Opfern. Er berichtet der taz am Telefon von den Monaten, die er in | |
Idlib in einem der vielen Gefängnisse saß, die von den Islamisten betrieben | |
wurden. „Damals zwangen sie Männer dazu, Bärte zu tragen, Musik war | |
verboten. Wir lebten nach Scharia-Gesetzen.“ Erst in den letzten beiden | |
Jahren weichte die HTS-Führung die Regeln auf. | |
Mohamed glaubt jedoch, dass der Wandel al-Sharaas authentisch ist. „Ich | |
begrüße den Sieg über die Regierungsarmee, das Assad-Regime musste endlich | |
fallen. Die Zukunft wird zeigen, ob der Wandel von al-Jolani zu al-Sharaa | |
echt ist.“ | |
In Idlib und im befreiten Aleppo gibt es immerhin Anlass zu Hoffnung. Die | |
Verwaltungsstruktur in Idlib arbeitet relativ autonom, nach der Eroberung | |
von Aleppo forderte al-Sharaa auch regimetreue Beamte auf, an ihren | |
Arbeitsplatz zurückzukehren. Schon nach wenigen Tagen waren nur wenige | |
bewaffnete Milizionäre auf den Straßen zu sehen. Racheaktionen an | |
politischen Gegnern sind bisher tatsächlich die Ausnahme. | |
Als Kämpfer der Syrischen Nationalarmee (SNA), einer von der Türkei | |
finanzierten Anti-Kurden-Miliz, die Enthauptung eines 15-Jährigen | |
veröffentlichten, kündigte er die Bestrafung der mit HTS verbündeten | |
Kämpfer an. Anekdoten über ihn haben den Ruf der HTS in den letzten Jahren | |
geprägt. Als SNA-Einheiten in Afrin einen Kurden umbrachten, drohte er mit | |
einem Einmarsch, sollten seine Verbündeten die Täter nicht den Familien des | |
Opfers ausliefern. | |
Al-Sharaas Eltern sind Flüchtlinge und stammen aus dem kleinen Dorf Jubyen | |
im Bezirk al-Qunaitra auf den von Israel besetzten Golanhöhen. Wie seine | |
vier Brüder und seine Schwester wurde er in Riad in Saudi-Arabien geboren | |
und hat mindestens die ersten acht Jahre seines Lebens dort verbracht. | |
Daher spricht er Arabisch mit Golfakzent. Seine Familie zog später in den | |
Bezirk al-Mazzeh in Damaskus, in dem einer seiner Brüder als Arzt | |
arbeitete. In der gutbürgerlichen Gegend ließen sich viele Kommandeure der | |
iranischen Revolutionsgarden und Hisbollah-Funktionäre nieder. Daher fielen | |
hier in den letzten Jahren immer wieder israelische Bomben. | |
Die durch das Assad-Regime unterstützte illegale Übernahme von Häusern in | |
al-Mazzeh war einer der Gründe für Jolanis Widerstand, und sie sind auch | |
ein Vorbote der kommenden gesellschaftlichen Konflikte nach dem Sturz von | |
Assad. | |
## „Offene Rechnungen“ | |
„Die derzeitige Euphorie sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in | |
Syrien nach Assad viele offene Rechnungen geben wird“, sagt Lawand Kiki vom | |
Syria Reporting Center, das Kriegsverbrechen in dem seit 2011 andauernden | |
Bürgerkrieg dokumentiert. „Daher wollte die HTS-Allianz Damaskus nicht ohne | |
geregelte Machtübernahme erobern. Zahlenmäßig waren die Rebellen der 4. | |
Division von Assads Armee sogar unterlegen. Die Ordnung könne nur durch | |
funktionierende Lokalräte aufrechterhalten werden, ist aus al-Sharaas | |
Umfeld zu hören. Es scheint, als habe man aus den Fehlern der letzten Jahre | |
gelernt.“ | |
Doch die Metamorphose von der kompromisslosen al-Nusra zur | |
kompromissbereiten HTS-Bewegung war steinig. Im Frühjahr gingen in Idlib | |
Bürger gegen die Lebensumstände auf die Straße, radikale Gruppen lehnen | |
seinen Kuschelkurs mit internationalen Nichtregierungsorganisationen ab, | |
wurden aber rigoros ausgebootet. Ausländische Kämpfer verbannte er in | |
spezielle Einheiten, sie tauchten während der Kämpfe in den letzten Tage | |
nicht öffentlich auf. Ahmad al-Sharaa überlebte mehrere Mordversuche. In | |
einem der taz vorliegendem Dokument bezeichnet der syrische Flügel des | |
„Islamischen Staates“ ihn als Ungläubigen und Feind. In dem Dokument wird | |
ihm vorgeworfen, aus Kasachstan stammende IS-Kämpfer an der Ausreise nach | |
Europa gehindert zu haben. | |
Dennoch hat das US State Department ein Kopfgeld von 10 Millionen Dollar | |
auf ihn ausgesetzt. Denn seine [3][Al-Nusra-Front] kämpfte auch gegen | |
kurdische YPG-Einheiten, die Partner der USA im Kampf gegen den IS sind. | |
In den kommenden Tagen wird Ahmed al-Sharaa wohl in das Haus seiner Familie | |
nahe der Akram-Moschee in al-Mazzeh zurückkehren – als Held. | |
Damit endet ein mehr als ein Jahrzehnt andauernder Kampf, der Millionen von | |
Syrern zu Flüchtlingen gemacht hat. Das war der HTS-Anführer schon am Tag | |
seiner Geburt. Anstatt einer syrischen Identitätsnummer erhielt er wie alle | |
von den Golanhöhen vertriebenen Syrer die Zahlenkombination 5/35, der Code | |
für „Nazeh“, eine vom Regime benutzte abwertende Bezeichnung für „intern | |
vertriebene Personen.“ | |
Syrien-Experte Lawand Kiki sieht in der Metamorphose des Rebellenanführers | |
eine einmalige Chance für das Bürgerkriegsland. „Von einem Extremisten, der | |
Musik und jegliche westliche Werte verbot, zu jemanden, der für Versöhnung | |
mit dem Gegner wirbt. Auch wenn viele Syrer Zweifel haben, Ahmed al-Sharaa | |
ist wohl derzeit die einzige Hoffnung, dass die unzähligen Gräueltaten des | |
Regimes nicht direkt in eine neue unkontrollierbare Welle der Gewalt | |
übergehen.“ | |
Hinweis d. Red.: In einer früheren Version des Artikels befanden sich | |
Fehler, die jetzt korrigiert wurden. | |
8 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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