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# taz.de -- Solidarität am Arbeitsplatz: Zu viel Strebsamkeit ist unkollegial
> Unsere Kolumnistin findet es gut, dass weniger Überstunden gemacht
> werden. Workaholics sind ihrer Meinung nach unsolidarisch.
Bild: Unsolidarisch und unkollegial: Durch heimliche Überstunden entsteht eine…
[1][Quiet Quitting] bedeutet, dass Arbeitnehmer*innen nur noch das
leisten, was im Vertrag steht. Nicht mehr und nicht weniger. Ich muss
zugeben, ich habe dieses Konzept unterschätzt. Als der Begriff 2022
erstmals aufkam, dachte ich: Das soll Widerstand sein? Heute denke ich: Ist
vielleicht gar kein schlechter Anfang – wenn man bedenkt, wo wir bezüglich
Arbeitszeitmanagement stehen.
Die Leistungsgesellschaft hat uns fest im Griff. Daran können auch
#worklifebalance und all die Bemühungen um eine 4-Tage-Woche nichts ändern.
Als ich noch in Vollzeit angestellt war, notierte ich akribisch meine
Überstunden. Doch als ich sie einreichen wollte, wies mich eine Kollegin
vorsichtig darauf hin, dass das eigentlich niemand tue.
Dabei war ich nicht die Einzige, [2][die Überstunden machte] – aber
offenbar die Einzige, die sie wieder abfeiern wollte. Mittlerweile arbeite
ich nicht mehr Vollzeit. Dafür führe ich Diskussionen mit Freund*innen,
wenn ich sie dabei erwische, wie sie in ihrer Freizeit arbeiten. Bei so was
könnte ich ausrasten.
Insbesondere, wenn das auch noch mit [3][„Liebe zur Arbeit“] verteidigt
wird. Weil es zeigt, wie subtil Unternehmen ihre Angestellten ausbeuten –
und weil ich es unerträglich finde, wenn Menschen freiwillig ihre Freizeit
opfern und Überstunden unter den Tisch fallen lassen. Wenn das Liebe ist,
dann ist die Beziehung toxisch.
Hinter meinem Unmut steckt mehr als anekdotische Evidenz. „Viele
Arbeitsplätze in deutschen Unternehmen sind mittlerweile so designt, dass
die Aufgaben in 40 Stunden kaum zu schaffen sind“, schreibt [4][Teresa
Bücker] in ihrem Buch „Alle Zeit“. Die Arbeitsintensität, also die
Aufgabenmenge pro Zeiteinheit, steigt. Laut [5][DGB-Jahresbericht] 2024
fühlten sich 52 Prozent der befragten Arbeitnehmer*innen sehr häufig
oder oft Zeitdruck ausgesetzt und jede*r Dritte empfand „in hohem bis sehr
hohem Maß“, dass die Arbeitsintensität im Vergleich zum Vorjahr zugenommen
hat.
## Nein, das ist keine Privatsache
Zwar [6][sinkt die Gesamtzahl] der Überstunden von deutschen
Arbeitnehmer*innen seit der Coronapandemie kontinuierlich – trotzdem
arbeiteten Beschäftigte hierzulande im Jahr 2023 immer noch etwa [7][1,3
Milliarden Stunden] zu viel. Mehr als die Hälfte der Zeit unbezahlt. Liegt
die Schuld also allein bei den Unternehmen? Das finde ich zu einfach.
Denn auch übertrieben Strebsame sind in der Verantwortung: Workaholics,
denen eine Vollzeitstelle immer noch nicht genug ist, die nach Feierabend
ungefragt weiterarbeiten und frühmorgens bereits E-Mails beantworten.
Die immer Ja und Amen zu jeder neuen Aufgabe sagen und am Wochenende
schuften, damit sie montags beweisen können, dass sie alles und noch viel
mehr geschafft haben. Die Urlaubstage verfallen lassen, weil ihnen Freizeit
nichts bedeutet und die selbst beim Joggen erreichbar sind.
Und nein, das ist keine Privatsache. Wer heimlich Überstunden macht, trägt
dazu bei, dass sich die Arbeitsbedingungen für alle verschlechtern. Es ist
unsolidarisch und unkollegial. Weil dadurch eine unrealistische
Leistungserwartung entsteht. Unternehmen können die Arbeitsintensität
schließlich nur dann weiter steigern, wenn Beschäftigte Kapazitäten
vorgaukeln, die es gar nicht gibt. Beschäftigte, die andere Kolleg*innen
zu Unrecht unproduktiver erscheinen lassen.
Außerdem, und wenigstens das sollte auch auf politischer Ebene interessant
sein, nehmen sie anderen Menschen Arbeit weg. Aus den 2023 geleisteten
Überstunden könnten ganze 835.000 Vollzeitjobs geschaffen werden.
13 Dec 2024
## LINKS
[1] /Quiet-Quitting-Debatte/!5919086
[2] /Mehrarbeit-in-Berlin/!5967179
[3] /Studie-ueber-Arbeitssucht/!5924689
[4] /Teresa-Buecker-ueber-Arbeit-und-Freizeit/!5935548
[5] https://index-gute-arbeit.dgb.de/++co++9cfc53b8-9b7d-11ef-ab66-6977410ee4dd
[6] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/arbeitsmarkt/ueberstunden-deutschland-…
[7] /Arbeitszeitgesetz-in-Niedersachsen/!5825367
## AUTOREN
Katharina Happel
## TAGS
Solidarität
Überstunden
Arbeit
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Steueroasen
Asylpolitik
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