# taz.de -- „Quiet Quitting“-Debatte: Es heißt soziale Ungleichheit | |
> In Debatten über Arbeitsmoral wird oft ein Konflikt zwischen Alt und Jung | |
> behauptet. Das lenkt davon ab, dass es eigentlich um Reich und Arm geht. | |
Bild: Muss man sich leisten können: in ein Kloster ziehen, um nach dem Sinn de… | |
Sie sagen, [1][die jungen Leute wollten nicht mehr arbeiten]. Und wenn sie | |
doch noch arbeiten, weil sie das Geld halt brauchen oder zumindest eine | |
Antwort auf die Smalltalk-Frage „Was machst du so?“, dann arbeiteten sie | |
zunehmend weniger: lieber Teilzeit als Vollzeit, lieber 30 statt 40 | |
Wochenstunden. | |
Sie definierten sich nicht mehr über ihren Beruf wie einst ihre Eltern. | |
Ihre Maxime: Nur noch das Nötigste erledigen, ja nicht verausgaben, die | |
Freizeit genießen. Diejenigen, die diesen Umstand in Zeitungsartikeln | |
feststellen oder behaupten, in manchen Fällen beklagen, in anderen | |
begrüßen, nennen ihn: [2][Quiet Quitting.] | |
Die jungen Leute, sagen sie, wollten nicht mehr so viel arbeiten, nicht | |
weil sie ignorante Faulenzer:innen seien, wie es manch erregter | |
Kommentar aus der älteren Generation vielleicht doch andeutet. Eher habe | |
sich ihre Arbeitsmoral verändert, weil sie den Sinn des Lebens woanders | |
sähen als in Lohnarbeit; weil sie auch erkannt hätten, dass sie nicht mit | |
den gleichen Aufstiegschancen rechnen können wie einst ihre Eltern. Für die | |
älteren Generationen sei es leichter gewesen, aus eigener Kraft an Eigentum | |
zu kommen, ein Haus zu bauen oder eine Wohnung zu kaufen. Früher sei es | |
halt besser gewesen. | |
## Social Inequality klingt cooler | |
Auch wenn es dem eigenen Unbehagen ein klares Ziel gibt: Die jungen Leute, | |
sie nennen sie auch Millennials (auch nicht mehr die Jüngsten!), sind nicht | |
gleich junge Leute. Und die älteren Leute, sie nennen sie auch Boomer, sind | |
nicht gleich ältere Leute. Die jungen Leute und die alten Leute gibt es | |
genauso wenig wie die Migranten, die Türken, die Hertha-Fans, die | |
Lastenradfahrer:innen. Wenn man nun aber trotzdem so tut, als gäbe es | |
sie, und sich dann Alte und Mittelalte und Junge und Jüngere streiten und | |
diskutieren und aufeinander sauer sind, dann freuen sich die Mächtigen und | |
Wohlhabenden, weil dann keiner über sie spricht. Man nennt das: Ablenkung. | |
Dabei sind junge Leute entweder junge Leute, die erben werden oder deren | |
Eltern sich um andere Formen von Absicherung für sie kümmern konnten, weil | |
sie selbst in der finanziellen Lage dazu waren. Oder sie sind junge Leute, | |
die es nach hartnäckiger Auseinandersetzung mit dem Bafög-Amt geschafft | |
haben, mit staatlicher Hilfe zu studieren, nur um dann zu merken, dass ein | |
[3][Studium allein noch keinen sozialen Aufstieg bedeutet]. Und die dann | |
auch sehen, dass sie das, was die anderen jungen Leute haben, | |
wahrscheinlich niemals haben werden: finanzielle Sicherheit. | |
Während die einen jungen Leute kündigen können, wenn sie gerade eine | |
Sinnkrise durchleben, um dann in ein buddhistisches Kloster zu ziehen und | |
den wahren Sinn des Lebens zu suchen, müssen die anderen auch arbeiten, | |
wenn sie ihre Arbeit als extrem sinnlos erleben. Man nennt das: soziale | |
Ungleichheit. Man könnte es aber auch Social Inequality nennen. Das klingt | |
cooler. | |
16 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
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