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# taz.de -- Syrischer Journalist über Assads Sturz: „Endlich ist dieser Spuk…
> Arta FM macht Radio für den Nordosten Syriens. Der Leiter hofft nach dem
> Fall des Regimes auf Pressefreiheit – und sorgt sich um türkische
> Angriffe.
Bild: Siruan H. Hossein mit zwei KollegInnen
taz: Herr Hossein, was bedeutet der Sturz der Assad-Diktatur Ihnen
persönlich?
Siruan H. Hossein: Ein Hauptziel meines Lebens erfüllt sich. Der Grund für
die Flucht meiner Familie vor 34 Jahren war die Assad-Familie. Endlich ist
dieser Spuk vorbei. Das ist die tollste Nachricht seit Langem. Ich glaube,
niemand hat das erwartet, aber ich habe daran geglaubt. Doch die Zeit
danach braucht weiterhin viel Arbeit.
taz: Mit dem Sturz der Diktatur kommt die Hoffnung, dass eine freie
Medienlandschaft in Syrien entstehen kann.
Hossein: Ja, ich hoffe, dass die Syrer aus der Vergangenheit gelernt haben,
[1][dass freie Medien wichtig sind], dass Medien sich der Kontrolle des
Staates entziehen müssen. Das Informationsministerium, das für Medien
zuständig ist, gehört abgeschafft. Wenn die Alternative zu Assad nur ein
Stühlerücken ist, was haben wir dann davon?
taz: Arta FM berichtet aus den kurdisch kontrollierten Gebieten im
Nordosten. Wollen Sie [2][nach dem Sturz Assads] in Syrien expandieren?
Hossein: Wir wollen weiterhin lokal und nicht national arbeiten. Aber wir
haben jetzt eine Hauptstadt, wo wir Zugang haben und willkommen sind.
Hoffentlich. Die Entscheidungen, die in Damaskus getroffen werden,
beeinflussen auch das Leben der Leute in unserem Sendegebiet. Wir werden
auf jeden Fall eine Korrespondentin oder einen Korrespondenten dort haben.
Und wir müssen auch versuchen, dass die Syrer sich nach 54 Jahren
Assad-Diktatur kennenlernen und miteinander reden.
taz: Teile der arabischen Bevölkerung in Nordostsyrien fremdeln mit der
kurdischen Vorherrschaft. Ihr Sender hat mit Al Furitya auch ein arabisches
Programm. Was haben Sie in den letzten Jahren gelernt?
Hossein: Wir haben den Menschen in Rakka zum ersten Mal Programme in ihrem
eigenen arabischen Dialekt angeboten. Das Team besteht aus Frauen und
Männern aus diesen Communitys. Die Sendung wird nicht von jemand aus
Damaskus mit Damaszener Dialekt moderiert, wie oft in Regimezeiten, sondern
von Menschen aus der Region mit ihrem Dialekt. Wir reagieren auf
Bedürfnisse und Belange und spielen Musik, die Menschen in der Region gerne
hören. Deswegen sind wir heute der erfolgreichste Radiosender in ganz
Syrien.
taz: Bei Ihnen arbeiten viele Frauen, besonders beim weiblichen Sender Zin
FM. Wie hat sich die Geschlechtergerechtigkeit verbessert?
Hossein: Ich sage meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern manchmal: Was
für euch heute selbstverständlich ist, war vor zehn Jahren nicht
selbstverständlich. Viele sind groß geworden mit den Werten der
Gleichstellung von Frau und Mann. Junge Frauen können bei uns von
Management bis Technik, Moderation, Reportage und Nachrichten alles lernen,
in einem 100-Prozent-Frauen-Team. Früher war unsere Einstellung: Wir senden
von Frauen für Frauen. Dann haben wir gesagt: Warum nur für Frauen? Nein,
von Frauen für die Gesellschaft. Die Gesellschaft muss die Art, wie Frauen
Journalismus machen, kennenlernen.
taz: Trotz der neuen Errungenschaften wird die in Nordostsyrien herrschende
PYD kritisiert, weil sie politische Freiheiten einschränke. Können Sie
immer frei berichten?
Hossein: Wir haben Grenzen. Alle de-facto-Kräfte in Syrien haben ihre roten
Linien. Überschreitet man die, dann befindet man sich in Lebensgefahr. Es
gibt niemanden, der sagt: Ihr dürft das und das nicht, sondern es ist eine
Art Selbstzensur. Wir wissen, was möglich ist und was nicht.
taz: Was ist denn nicht möglich?
Hossein: In militärischen Sachen zum Beispiel haben wir keine Erfahrung.
Wir würden nie jemanden an die Front schicken, weil es zu gefährlich ist.
Eine andere Sache sind ideologische Fragen, die der PYD wichtig sind: Den
Führer der PKK (Abdullah Öcalan, Anm. d. Red.) stellen wir nicht infrage.
Und warum sollten wir? Das ist nicht unsere Aufgabe als Sender, der für die
täglichen Belange der Menschen zuständig ist.
taz: Nach wie vor bedrohen türkisch gesteuerte SNA-Milizen die Kurden im
Norden, die Türkei bombardiert und fährt Truppen an der Grenze auf.
Fürchten Sie eine erneute Invasion?
Hossein: Ich habe eben mit unserem Büroleiter in Kobane gesprochen. Er
sagt, wenn es Nacht wird, haben die Menschen Angst. Dann sitzen sie in
ihren voll betankten Wagen mit ihren Koffern, decken sich zu und machen
sich bereit für die Flucht. Und wer weiß, [3][ob die Türkei nicht eine
Stadt nach der anderen besetzt]. Dann hätten wir zwei bis drei Millionen
Flüchtlinge. Wohin sollen die gehen? Jetzt, wo es endlich wieder möglich
ist, dass Flüchtlinge nach Syrien zurückkehren, versucht die Türkei,
Menschen aus Syrien zu vertreiben.
taz: Was sollten Nato-Verbündete der Türkei wie Deutschland und die USA
tun?
Hossein: Ich hoffe, dass sie Druck auf die Türkei ausüben und auch mit
Sanktionen drohen, oder die Türkei, in welcher Form auch immer, bestrafen.
taz: Was erwarten Sie von der deutschen Regierung?
Hossein: Die Bundesregierung hat die Zivilgesellschaft und die Medien im
Nordosten Syriens nicht unterstützt. Sie steht weiterhin an der Seite der
Türkei. Sollte die Bundesregierung Interesse daran haben, dass Syrien ein
demokratischer Staat wird und dass die Menschen dort in Frieden leben,
sollte sie nicht nur in eine Richtung schauen und die andere
vernachlässigen. Wir können als deutsch-syrische Partner im neuen Syrien
behilflich sein.
18 Dec 2024
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## AUTOREN
Leon Holly
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