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# taz.de -- Nach Recherchen zum Klaasohm-Fest: Ab jetzt Party ohne Prügel
> Künftig wird beim Borkumer Fest auf das Schlagen von Frauen verzichtet.
> Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen einen Täter und gegen die
> Polizei.
Bild: Wie lustig: Ein Klaasohm haut mit einem Kuhhorn einer jungen Frau auf den…
Er gilt als höchster Feiertag auf Borkum: Seit über einem Jahrhundert wird
[1][das Klaasohm-Fest am 5. Dezember] gefeiert. An diesem Tag verkleiden
sich sieben Männer als winterliche Fabelwesen, geschmückt mit Tierpelzen
und Möwenfedern. Ihr Ziel: Frauen mit Kuhhörnern auf den Po hauen. Abends
versammeln sich Tausende in der Innenstadt, kehren in Kneipen ein und
treffen sich nach der Frauenjagd an der Litfaßsäule im Ortskern. [2][Auf
Borkums Straßen] verkleiden sich junge Frauen mit dicken Pullis und
Rufhörnern, um unter den Männern nicht aufzufallen, und begeben sich
waghalsig in die Katz-und-Maus-Jagd. Borkumer*innen, die auf dem Festland
wohnen, kehren extra für Klaasohm in die alte Heimat zurück. Ansonsten
blieben sie dabei gerne unter sich.
Doch in diesem Jahr wird das Fest etwas anders ausfallen. [3][Nach
NDR-Recherchen] und bundesweiter Empörung gelobt der veranstaltende Verein,
Borkumer Jungens (VBJ), die Gewalt gegen Frauen nun zu unterlassen. „Wir
als Gemeinschaft haben uns klar dazu entschieden, diesen Aspekt der
Tradition hinter uns zu lassen.“ Man wolle sich nun auf das festlegen, was
das Fest wirklich ausmacht: „den Zusammenhalt der Insulanerinnen und
Insulaner“, teilte der Verein mit.
Angeblich hätte es bereits vor zwei Jahren erste Bestrebungen gegeben, das
Schlagen mit dem Kuhhorn zu unterlassen, räumt der Verein Tage nach der
Veröffentlichung des „Panorama“-Films ein. Doch offenbar konnte der Verein
das Schlagverbot in den vergangenen Jahren nicht durchsetzen.
## Juristische Konsequenzen
Jetzt hat das Ganze auch juristische Konsequenzen. Die Staatsanwaltschaft
Aurich teilte der taz auf Anfrage mit, nun in einem „Verfahren gegen
unbekannte Täterschaft im Zusammenhang mit dem VBJ wegen des Verdachts der
gefährlichen Körperverletzung“ zu ermitteln. Eigentlich müssen Behörden u…
Beamte des Polizeidienstes Straftaten ermitteln, dafür braucht es auch
keine Anzeigen von mutmaßlichen Opfern. Die Polizei Borkum muss von Amts
wegen ermitteln, weil das Schlagen mit dem Kuhhorn als Traditionspraxis der
Polizeistation auf der Insel wohl bekannt ist. Falls die Polizei nicht
ermittelt, stellt es nach Paragraf 258 StGB eine Strafvereitelung – nach
Paragraf 258 a gar eine Strafvereitelung im Amt – dar. Die Freiheitsstrafe
dafür beläuft sich auf sechs Monate bis zu fünf Jahre.
Da die Schläge mit dem Kuhhorn starke Verletzungen verursachen können, kann
diese Praxis als gefährliche Körperverletzung gesehen werden, die erst nach
10 Jahren verjährt. Die Polizei auf Borkum muss also alle Klaasohm-Feste
der vergangenen Jahrzehnte aufarbeiten, was für die kleine Inselpolizei,
die der Polizei Leer/Emden unterstellt ist, eine Mammutaufgabe wird. Ein
Verfahren gegen den Bürgermeister, Jürgen Akkermann (parteilos), ebenfalls
wegen Strafvereitelung im Amt, werde noch geprüft. Es ist der Versuch einer
Aufklärung dieser historisch gewachsenen Gewalt gegen Frauen.
Akkermann warnt nun davor, „nicht die ganze Insel unter Generalverdacht zu
stellen“, und legt mit dem Borkumer Stadtrat für den heutigen Klaasohm-Tag
ein Sicherheitskonzept vor. Tatsächlich hatten „Strg_f“ und „Panorama“
mehrfach versucht, mit dem Bürgermeister und dem VBJ über Klaasohm zu
sprechen. Die Polizei wolle nun eine „Nulltoleranzlinie“ gegen den Klaasohm
fahren. Vom Verein sollen Ordnerinnen eingesetzt und auch Schutzräume für
Frauen eingerichtet werden.
## Hämatome vom Steiß bis zum Knie
Auf dem Festland hat man weniger Verständnis für Borkums höchsten Feiertag.
Inzwischen meldete sich Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens
(SPD) zu Wort: „Die Berichterstattung über das Klaasohm-Fest auf Borkum
zeigt, dass längst nicht alle betroffenen Frauen mit diesem gewalttätigen
Brauch einverstanden waren und es ihnen dennoch nicht leichtgefallen ist,
das auch so zu artikulieren“, sagte sie der dpa. Es sei „folgerichtig und
überfällig, dass die Veranstalter angekündigt haben, diesen Teil des Festes
abschaffen zu wollen“. Bürgermeister Akkermann beteuert in einem Interview
mit der Ostfriesen.tv-Redaktion, dass das Schlagen „nie den Hauptteil der
Tradition“ ausgemacht habe.
Mittlerweile gibt es viel Widerspruch gegen die Aussage des Bürgermeisters,
[4][vor allem von Borkumerinnen.] „Ich hatte vom Steißbein bis zur
Kniekehle alles voller Hämatome“, berichtet eine Borkumerin in der
NDR-Reportage anonym über ihre erste Begegnung mit dem Klaasohm-Fest.
Frauen, die vom Klaasohm erwischt werden, fühlen sich hinterher
alleingelassen. „Die lassen hinterher einen einfach so stehen und fragen
nicht einmal, wie es dir geht“, sagt eine andere Borkumerin. Auch ein
ehemaliger Klaasohm kommt in der Reportage zu Wort. Bei der Frauenjagd
komme es immer zu Zwang. Und wenn sich eine Frau zu sehr wehrt, „muss halt
ein Mann mehr festhalten. Man kann sich dem nicht entziehen“, sagt er.
Das Klaasohm-Fest wird organisiert von dem gemeinnützigen Verein Borkumer
Jungens e. V. 1830. Aus ihren Reihen von unverheirateten Männern werden die
Klaasohme ausgesucht. Klaasohm kann werden, wer mindestens zehn Jahre auf
Borkum lebt.
Woher diese brutale Tradition kommt, lässt sich heute nicht mehr eindeutig
klären. Auf Borkum erzählt man sich, dass das Klaasohm-Fest eine alte
Walfängertradition sei. Der Legende nach waren die Männer über Monate auf
Walfang weit von zu Hause und mussten bei ihrer Rückkehr feststellen, dass
die Frauen auf Borkum nun das Sagen hatten. Um sie wieder zurück ins Glied
zu prügeln, wurde Klaasohm geschaffen.
Bei all der medialen Aufmerksamkeit ist davon auszugehen, dass das
Klaasohm-Fest in diesem Jahr tatsächlich weniger gewalttätig wird. Doch es
ist nicht die einzige Wintertradition, die auf Gewalt gegen Frauen baut.
Ein weiteres Beispiel ist das Sunneeklaas-Fest auf der niederländischen
Insel Ameland. Dort ziehen Männer vermummt durch die Straßen, während für
Frauen wiederum eine Art Ausgangssperre gilt.
Yasemin Fusco ist freie Journalistin und hat „Strg_f“ und „Panorama“ bei
den Recherchen für die Reportage „Das Schweigen der Insel – Wenn Borkum
Klaasohm feiert“ unterstützt. Als Borkumerin ist sie mit Klaasohm
aufgewachsen.
Hinweis: In einer vorherigen Version stand, dass das Schlagen mit dem
Kuhhorn als „schwere Körperverletzung“ gesehen werden kann. Es muss
allerdings „gefährliche Körperverletzung“ heißen. Wir bitten diesen Fehl…
zu entschuldigen.
5 Dec 2024
## LINKS
[1] /Misogynes-Brauchtum-Klaasohm/!6053810
[2] /Milchbuden-auf-Borkum/!5572899
[3] https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama_die_reporter/Das-Schweigen-…
[4] https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/borkum-wie-eine-frau-den-…
## AUTOREN
Yasemin Fusco
## TAGS
Brauchtum
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