| # taz.de -- Deutschlands Rolle in Tschad und Sudan: Schillernde Annäherung | |
| > Tschad beherbergt über eine Million Geflüchtete aus Sudan. Zugleich heizt | |
| > das Regime den Krieg dort mit an. Nun vertieft Deutschland die | |
| > Partnerschaft. | |
| Bild: Geflüchtete aus Sudan warten am Rande eines Gesundheitszentrums in Adré… | |
| Aus N’Djamena und Adré Lachen. Eine Dreiviertelstunde lang drang kein Ton | |
| durch die schwere, mit Intarsien verzierte Holztür, dann dieses Lachen. Es | |
| hallt bis auf die Gänge des Außenministeriums heraus. Ein paar Sekunden | |
| später fliegt die Tür auf. Sichtlich erheitert kommt die deutsche | |
| Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hindurch. Kurz gefolgt von | |
| Abderaman Koulamallah, Tschads Außenminister. | |
| „Wir hatten einen sehr guten Austausch“, sagt Schulze. „Ich habe meine | |
| Anerkennung ausgesprochen, wie Tschad es schafft, mit so vielen | |
| Flüchtlingen umzugehen.“ Die Ministerin schwärmt von „offenen Türen“, … | |
| „Zugang“ zum Gesundheitssystem, von der Hilfe für Geflüchtete, | |
| selbstständig in Tschad zu leben. „Gerne unterstützen wir das“, sagt | |
| Schulze. „Ich habe für dieses Jahr 57 Millionen Euro zusätzlich hier | |
| zugesagt.“ | |
| Lachen. Wieder. Dieses Mal ist es die Reaktion auf die Frage des | |
| Journalisten aus Deutschland, was Außenminister Koulamallah denn [1][von | |
| der europäischen Migrationspolitik] halte. „Europa hat seine Politik“, sagt | |
| er. „Wir haben unsere.“ | |
| Er wolle, dass Geflüchtete nicht als Last gesehen werden, sondern als eine | |
| wirtschaftliche Chance, was sie ja auch seien. Tschad habe mit über 1,2 | |
| Millionen Quadratkilometern Fläche und nur 16 Millionen Einwohnern genug | |
| Platz. „Ich könnte jetzt philosophieren und sagen, na ja, die Welt gehört | |
| allen menschlichen Wesen“, so Koulamallah. „Aber … so was sagt ein | |
| Außenminister nicht.“ | |
| Es ist Ende November in N’Djamena. Tschads Hauptstadt ist eine ruhige, | |
| heiße Metropole, durch die sich sandige orangerote Straßen winden und der | |
| trübe Fluss Schari, der in diesen Tagen ungewöhnlich viel Wasser führt. | |
| Zwischen der Ministerin eines der reichsten Staaten der Welt und dem | |
| Außenminister einer der ärmsten herrscht offenbar Harmonie. Tschad versorge | |
| Geflüchtete aus Sudan, sagt der Außenminister, und Europa unterstütze das | |
| Land mit Geld dabei – niemand müsse sich auf den gefährlichen Weg über das | |
| Mittelmeer begeben. Win-win. Oder? | |
| Schulze leitet bei ihrem Tschad-Besuch eine Wiederannährung ein. Die | |
| deutsche Ministerin ist auch als Präsidentin der [2][Sahel-Allianz] | |
| gekommen, eines Bündnisses von Geberländern zur Unterstützung der Länder in | |
| der afrikanischen Sahelzone. Die gesamte Region ist schwer von Terror | |
| getroffen und vom Klimawandel. Es gibt extreme Dürren und Überschwemmungen. | |
| Außerdem ist die Region eine kritische Zone für Migration aus Afrika nach | |
| Europa. | |
| „Wir werden die Entwicklungszusammenarbeit, also die langfristige | |
| Zusammenarbeit, ausbauen“, sagt Schulze über ihr Engagement in Tschad. | |
| Europa hat in der Sahelzone in den vergangenen Jahren an Einfluss verloren. | |
| 2020 und 2021 putschten Militärs in Mali, 2022 in Burkina Faso, 2023 dann | |
| auch in Niger, das besonders zentral für die Migrationsbewegungen ist. Die | |
| Militärherrscher wandten sich alle vom sogenannten Westen ab. | |
| Niger kündigte gar ein Migrationsabkommen mit der EU, das jahrelang | |
| verhindert hatte, dass Menschen einfach den Staat Richtung Libyen | |
| durchqueren. Und die drei Sahelstaaten bauten ihre Partnerschaft mit | |
| Russland aus, mit Wladimir Putin, der Antithese europäischer Werte. Schnell | |
| stellte sich die Frage: Auf wen kann Europa in diesem Teil Afrikas noch | |
| setzen? | |
| Im Umgang mit Tschad war vor allem Deutschland lange zurückhaltend, denn | |
| das Land wurde drei Jahrzehnte lang vom ehemaligen Kampfpiloten [3][Idriss | |
| Déby] regiert, Spitzname „Wüstencowboy“. Es war eine brutale Ära. Die | |
| Bundesrepublik legte selbst in der Entwicklungszusammenarbeit Wert darauf, | |
| zu betonen, dass Hilfe vor allem „regierungsfern“ erfolge. 2021 starb Déby, | |
| und Tschads Generäle setzten seinen Sohn Mahamat Déby als neuen Staatschef | |
| ein. | |
| Deutschlands Botschafter im Land, der sich kritisch zu ihm äußerte, wurde | |
| des Landes verwiesen – „persona non grata“. Doch dieses Jahr gab es in | |
| Tschad tatsächlich Präsidentschaftswahlen, Mahamat Déby ist nun der | |
| gewählte Präsident und es gibt auch wieder einen deutschen Botschafter in | |
| N’Djamena. | |
| „Wir sehen, dass der Tschad sich hier auf einen Weg gemacht hat, einen | |
| Transitionspfad“, sagt Schulze. „Die Präsidentschaftswahlen sind gelaufen, | |
| jetzt stehen die Parlamentswahlen an, die eben auch frei, transparent, | |
| inklusiv sein sollen.“ Sie spricht von einer notwendigen Grundlage für eine | |
| „verstärkte bilaterale Zusammenarbeit“. Transition? Freie Wahlen? Ist | |
| Tschad doch ein Partner? Vielleicht sogar ein Staat, der, wie einst Niger, | |
| dabei helfen kann, Migration zu lenken? | |
| Fast 1.000 Kilometer von der Hauptstadt N’Djamena entfernt, nach einem Flug | |
| in einer kleinen Maschine des UN-Welternährungsprogramms und einer | |
| stundenlangen Fahrt über unbefestigte Straßen, erreicht man die Kleinstadt | |
| Adré, fast an der Grenze zu Sudan. Adré hatte einst 40.000 Einwohnerinnen | |
| und Einwohner. Jetzt sind es 240.000. Und jeden Tag kommen neue hinzu. Es | |
| ist fast unmöglich, sich vom Boden aus einen Überblick zu verschaffen. Die | |
| Erde in diesem Teil Tschads ist flach, die vielen kleinen Zelte aus Planen | |
| und Tüchern in den Lagern am Rande von Adré ragen kaum aus der Ebene empor. | |
| Viele sind nicht mehr als ein helles Flirren am Horizont. | |
| Zwei Tage nach ihrem Treffen mit Außenminister Koulamallah erreicht | |
| Ministerin Schulze dieses fragile Gebilde, das längst die Dimensionen einer | |
| Großstadt angenommen hat, in dem es kaum Häuser gibt, kaum Leitungen für | |
| Strom und Wasser, fast keine befestigte Infrastruktur. Schulze sitzt auf | |
| bunten Teppichen in einem der wenigen soliden Lagerzelte. Vor ihr hocken | |
| mehrere Frauen. | |
| Halina Abdela Omar, in einem dunkelbraunen, gemusterten Gewand, ist in sich | |
| zusammengesunken. Sie stammt aus Sudan – wie die meisten der Geflüchteten | |
| hier. „Sie haben meinen Bruder vor meinen eigenen Augen ermordet“, sagt | |
| sie. Mit „sie“ meint Omar die Paramilitärs der Rapid Support Forces (RSF). | |
| Die liefern sich seit eineinhalb Jahren einen brutalen Machtkampf mit | |
| Sudans Armee. Eine Konfrontation, unter der vor allem die Zivilbevölkerung | |
| leidet, insbesondere in Darfur, das an Tschad grenzt. Im November 2023 | |
| zogen bewaffnete arabische Reiter der RSF durch Omars Ort Ardamata. „Sie | |
| töten nur Schwarze“, sagt die 32-Jährige. Dabei faltet sie ihre Hände, so | |
| als würde sie versuchen, sich selbst Halt zu geben. | |
| Den RSF, deren Vorgängerorganisation Janjaweed schon 2003 für einen Genozid | |
| in Darfur verantwortlich zeichnete, werden von Menschenrechtsorganisationen | |
| und UN heute wieder „ethnische Säuberungen“ vorgeworfen. Die Miliz setzt | |
| auch Hunger als Waffe ein. Humanitäre Helfer bezeichnen Sudan als die | |
| vielleicht größte humanitäre Krise der Welt. „24 Millionen Menschenleben | |
| stehen auf dem Spiel“, so vor wenigen Wochen Jan Egeland, | |
| Ex-UN-Untergeneralsekretär und heute Chef des Norwegischen | |
| Flüchtlingsrates. „Wir erleben einen unerbittlichen Countdown hin zu | |
| Hungersnot, Verzweiflung und dem Zusammenbruch einer gesamten | |
| Zivilisation.“ | |
| ## 12 Millionen Menschen in Sudan auf der Flucht | |
| Halina Abdela Omar und die anderen in Adré machen nur einen Bruchteil der | |
| davon betroffenen Personen aus. 12 Millionen Menschen in Sudan, ein Viertel | |
| der Bevölkerung, sind auf der Flucht, etwas über 3 Millionen haben Sudan | |
| verlassen. Knapp 1,1 Millionen von ihnen sind in Tschad gelandet. | |
| Eine Rückkehr Omars und anderer Geflüchteter ist nicht absehbar. Und | |
| Hunderttausende sind es, die bereits vor Jahrzehnten aus Darfur flohen. | |
| Flüchtlingslager haben sich in Tschad in Städte verwandelt. Das Nachbarland | |
| hat sich zum Zuhause vieler Sudanes:innen entwickelt. Allerdings | |
| rechnen Migrationsexperten damit, dass sich das ändern kann, wenn die | |
| wachsende Zahl an Sudanes:innen in Tschad keine Perspektiven mehr hat. | |
| Und mit denen ist es dort so eine Sache. Das Land hat kaum genug, um die | |
| eigene Bevölkerung zu versorgen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag 2023 | |
| bei 13 Milliarden Euro. Das entspricht etwa dem BIP-Wert der Stadt Kiel. | |
| Mehr als 30 Prozent der Bevölkerung Tschads lebt in extremer Armut. Nur in | |
| Jemen und Somalia leiden laut Welthungerhilfe anteilig noch mehr Menschen | |
| unter Mangelernährung. | |
| Die Gründe dafür, dass die Regierung Tschads trotzdem hilft, sind | |
| vielschichtig. Die Grenze zwischen Tschad und Sudan wurden einst von den | |
| Kolonialmächten durch die Landschaft gezogen. Westlich und östlich davon | |
| leben dieselben Volksgruppen, mitunter dieselben Familien. Es ist eine | |
| Solidarität unter Brüdern und Schwestern, Cousins und Cousinen. | |
| Hinzu kommt, dass die Regierung Tschads in den Menschen aus Sudan | |
| tatsächlich auch potenzielle Fachkräfte sieht. Jene wirtschaftliche Chance, | |
| von der Außenminister Koulamallah spricht. Denn der Großteil der Menschen | |
| in Sudan kann lesen und schreiben. In Tschad trifft das nur auf jeden und | |
| jede Dritte zu. Auch Halina Abdela Omar gehört dazu: „Ich würde gern | |
| studieren und Lehrerin werden“, sagt sie. | |
| Ministerin Svenja Schulze sitzt wenig später auf der Rückbank eines weißen | |
| Jeeps des UN-Welternährungsprogramms. Das Fahrzeug ruckelt über eine | |
| unbefestigte Piste zwischen Adré und dem nächsten Flughafen. „Wir gucken | |
| darauf, wie können die Menschen wieder in die Lage versetzt werden, sich | |
| selber zu helfen“, sagt die Politikerin. Sie spricht über die sogenannte | |
| Haguina-Initiative, die im Mittelpunkt ihres Besuchs im Tschad steht: | |
| Tschads Regierung verpachtet 100.000 Hektar Land für bis zu 15 Jahre | |
| kostenlos an Geflüchtete aus Sudan und Teile der tschadischen Bevölkerung, | |
| jeweils einen Hektar pro Familie. | |
| Es handelt sich überwiegend um unfruchtbares Land – Land aber, das | |
| Potenzial hat, entwickelt zu werden. Dabei werden die Sudanesen und | |
| Tschader vom UN-Welternährungsprogramm unterstützt, das wiederum von | |
| Deutschland Geld bekommt. Auf diese Weise schaffen sich die Menschen selbst | |
| eine Perspektive, so zumindest die Idee. | |
| Der weiße Jeep rumpelt durch eines der unzähligen Schlaglöcher. Schulze | |
| schaukelt von links nach rechts. Auf die Frage, ob es Priorität für sie | |
| habe, dass die Menschen hier in Tschad bleiben, statt nach Europa | |
| aufzubrechen, antwortet sie: „Das ist erst mal im Interesse der Flüchtlinge | |
| hier. Sie wollen hier bleiben.“ Schulze fügt hinzu: „Natürlich haben wir … | |
| Deutschland auch was davon.“ Geflüchtete aus Sudan im großen Stil nach | |
| Europa zu holen ist nicht geplant. | |
| Während der Jeep in das nächste Schlagloch kracht, fängt Schulze an, über | |
| die geflüchteten Frauen zu sprechen, die sie während ihrer Reise getroffen | |
| hat. „Sie hatten gehört, dass es in Deutschland Onlinekurse gibt“, erklärt | |
| sie. „Wenn das Netz funktioniert, würden sie gern lernen. Das machen wir, | |
| das ist ein offenes Angebot.“ Ein Stück Land und ein Fernstudium für Halina | |
| Abdela Omar? | |
| Dass die Ministerin und Präsidentin der Sahelallianz mit zusätzlichen | |
| Millionen kommt, ist auf jeden Fall ein Signal – auch an andere EU-Staaten. | |
| Tschad war lange kein „Donor Darling“, also nicht unbedingt gesegnet mit | |
| viel Hilfe aus dem Ausland. Zudem stehen in Europa alle Zeichen auf | |
| Sparsamkeit in der Entwicklungszusammenarbeit. Deutschland kürzt seine | |
| Mittel von 2024 auf 2025 voraussichtlich um knapp 1 Milliarde Euro, | |
| Frankreich um 1,3 Milliarden, die Niederlande bis 2027 um 2,4 Milliarden. | |
| Schweden und Finnland wollen Mittel der Entwicklungszusammenarbeit für | |
| Abschiebungen umwidmen. Statt Perspektiven zu bieten, geht es darum, die | |
| Menschen loszuwerden. Vor diesem Hintergrund wirkt die vertiefte | |
| Partnerschaft mit Tschad schillernd. | |
| Victor Zolossou hat da auch so seine Zweifel. Der junge Mann sitzt am Ende | |
| einer Seitenstraße im 6. Bezirk von N’Djamena im Erdgeschoss eines | |
| mehrstöckigen Hauses mit dicken Mauern und kargem Innenhof. Den | |
| Transitionspfad, den Tschad laut Ministerin Schulze beschritten hat, kennt | |
| er nur allzu gut. Der Mann trägt Dreitagebart, ein schwarzes Longsleeve, | |
| eine weiße Hose. Dazu einen braunen Lederslipper am linken Fuß. Sein | |
| rechtes Bein fehlt. | |
| ## Die Hoffnung hielt nicht lange | |
| Victor Zolossou kam 1999 auf die Welt. Sein Vater war Bauer, seine Mutter | |
| Hausfrau. Er selbst war gut in der Schule, wollte Psychologe werden. Doch | |
| ihm fehlte das Geld für die Ausbildung. Also wurde er Friseur, machte einen | |
| eigenen Salon auf. Zolossou wuchs unter der Herrschaft Idriss Débys auf, | |
| jenes Despoten, der in Tschad 31 Jahre lang herrschte. Ein Regime, in dem | |
| nur die Eliten Chancen haben – so hat Zolossou es zumindest gesehen. Als | |
| Déby im Jahr 2021 starb, keimte bei Victor Zolossou Hoffnung auf. Doch sie | |
| hielt nicht lange. | |
| Der neue Präsident Mahamat Déby, Sohn des alten Herrschers, kündigte damals | |
| an, in eineinhalb Jahren zurückzutreten und die Macht an eine zivile | |
| Regierung zu übergeben. Als diese Frist am 20. Oktober 2022 ergebnislos | |
| verstrichen war, ging Zolossou mit Tausenden anderen Tschaderinnen und | |
| Tschadern auf die Straßen, um zu protestieren. „Wir waren im 9. | |
| Arrondissement, als wir auf schwer bewaffnete Sicherheitskräfte trafen“, | |
| sagt Zolossou. „Sie haben einfach in die Menge geschossen.“ | |
| Zolossou deutet mit dem Finger auf die Außenseite seines verbliebenen | |
| Beines, dann auf die Innenseite. Er versucht, zu demonstrieren, was mit dem | |
| Bein passiert ist, das er verloren hat. „Die Kugel ist durchgeschlagen“ | |
| sagt er. Zolossou wurde ohnmächtig. Als er wieder aufwachte, lag er im | |
| Krankenhaus. „Da konnte ich mein Bein schon nicht mehr bewegen“, erinnert | |
| er sich. Als ein Arzt kam, um das Bein zu amputieren, lehnte Zolossou sich | |
| noch dagegen auf. | |
| Der junge Mann, der es liebte, Fußball zu spielen, protestierte, bis der | |
| Arzt ihm erklärte, dass er sonst sterben würde. Er trennte ihm das Bein | |
| kurz unter dem Knie ab, doch das reichte nicht. „Beim zweiten Mal hatte ich | |
| gar nicht mehr die Kraft, um zu widersprechen“, erinnert sich Zolossou. | |
| Dieses Mal wurde direkt unter der Hüfte amputiert. Seither ist Zolossou ein | |
| Pflegefall, kann seine Frau, seine Tochter und seinen Sohn nicht mehr | |
| versorgen. | |
| ## Noch brutalere Herrschaft des neuen Regimes | |
| Laut der Oppositionsbewegung „Les Transformateurs“ gab es an jenem 20. | |
| Oktober 2022 nicht nur Verletzte wie Zolossou. 300 Menschen wurden getötet. | |
| Im Schari-Fluss, der sich durch N’Djamena schlängelt, trieben Leichen. | |
| Weitere 600 Menschen landeten im Wüstengefängnis Koro Toro im Norden des | |
| Landes. Schon auf dem Weg dorthin starben Menschen, ihre Leichen wurden von | |
| den Lastwagen geworfen. Déby junior setzte die eiserne Herrschaft seines | |
| Vaters fort – sogar noch brutaler, so sagen einige Beobachter. | |
| Für Mai 2024 setzte der Junior dann jene Wahlen an, die für Schulze Anlass | |
| für eine Stärkung der Zusammenarbeit sind. Kurz zuvor erschossen Débys | |
| Sicherheitskräfte mit Yaya Dillo aber noch einen der wichtigsten | |
| Oppositionellen des Landes. Déby gewann den fragwürdigen Urnengang. Selbst | |
| danach gab es weiter gewaltsame Tode. Débys Anhänger zogen durch die | |
| Straßen N’Djamenas und gaben „Freudenschüsse“ ab, mehrere Menschen star… | |
| Die Opposition spricht von Einschüchterung. | |
| Nicht nur die Transition wirkt zwiespältig, sondern auch der Umgang Tschads | |
| mit dem Konflikt im Sudan. Die New York Times dokumentierte im September | |
| 2023, wie Tschads Regime den Krieg in Sudan mit anheizt. Tschad lässt | |
| demnach zu, dass die Vereinigten Arabischen Emirate Waffen durch das Land | |
| an die RSF in Darfur liefern. In einem weiteren Bericht ein Jahr später | |
| dokumentierte die Zeitung dann noch, dass Tschads Regierung es auch duldet, | |
| dass die Emirate von einer Drohnenbasis in Tschad aus Einsätze in Sudan | |
| fliegen, um die RSF mit Informationen zu versorgen. | |
| Für Kritiker des Déby-Regimes ist der Grund für diese Politik, die kaum mit | |
| der großzügigen Aufnahme Geflüchteter zusammenpasst, offensichtlich: Die | |
| finanzstarken Emirate haben Déby junior kurz nach dem Ausbruch des Krieges | |
| im Sudan ein Darlehen von 1,5 Milliarden US-Dollar genehmigt. Das | |
| entspricht fast dem gesamten Staatshaushalt. | |
| Opportunismus scheint das Gebot der Stunde des Regimes zu sein. Nicht nur | |
| deswegen ist fraglich, wie verlässlich Tschad als Partner ist. Frankreich | |
| hat, anders als Deutschland, die Déby-Dynastie immer gestützt, es unterhält | |
| in Tschad seit der Kolonialzeit eine ständige Militärpräsenz und hat immer | |
| wieder militärisch eingegriffen, auch zum Schutz von Idriss Déby. Als | |
| dessen Sohn Mahamat Déby 2021 an Tschads Verfassung vorbei zum neuen | |
| Präsidenten ausgerufen wurde, kam sogar Emmanuel Macron zur Amtseinführung. | |
| Wenige Tage nach dem Besuch Schulzes hat Tschads Regierung aber Frankreich | |
| aufgefordert, seine rund 1.000 Soldaten aus Tschad abzuziehen. Tschad wolle | |
| damit echte und vollständige Souveränität erreichen, heißt es in der | |
| offiziellen Mitteilung. Ein Schritt, der einigen Beobachtern zufolge | |
| innenpolitischem Kalkül folgt, da Ende Dezember Parlamentswahlen anstehen. | |
| Auch in Tschads Bevölkerung wachsen antifranzösische Ressentiments, die | |
| einstige Kolonialmacht ist verhasst. | |
| Vor der schweren, mit Intarsien verzierten Holztür des Außenministeriums in | |
| N’Djamena, durch die eben noch ein Lachen drang, erwähnt Svenja Schulze | |
| derweil weder die Toten des 20. Oktober noch Tschads Waffenlieferungen an | |
| die RSF. Tschads Außenminister Koulamallah, auf die Waffenlieferungen über | |
| tschadischen Boden angesprochen, schwört auf Gott: „Ich kenne keinen Staat, | |
| der Waffen liefert.“ | |
| Und dann fängt Koulamallah doch an zu philosophieren, obwohl er das als | |
| Außenminister doch gar nicht gerne macht. „Sudan braucht keine Waffen, er | |
| braucht Freiheit und Demokratie.“ Worte, die für Menschen wie Victor | |
| Zolossou wie Hohn klingen müssen. | |
| Von Isso Ehrich ist aktuell im Quadriga Verlag erschienen: „[4][Putsch.] | |
| Der Aufstand gegen Europas Kolonialismus in Afrika“ (270 S., 25 Euro) | |
| 5 Dec 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/517146/eu-migr… | |
| [2] https://www.bmz.de/de/aktuelles/aktuelle-meldungen/ministerin-schulze-ueber… | |
| [3] https://www.britannica.com/biography/Idriss-Deby | |
| [4] https://bastei-luebbe.de/Buecher/Sachbuecher/Putsch/9783869951485 | |
| ## AUTOREN | |
| Issio Ehrich | |
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