| # taz.de -- Tschad hat genug von Frankreichs Militär: Rauswurf nach über 100 … | |
| > Frankreich muss sein Militär aus Tschad abziehen. Die Epoche der | |
| > Interventionen geht zu Ende. Und Emmanuel Macron wünscht sich | |
| > Dankbarkeit. | |
| Bild: Bier im „Haus der Kämpfer“: Barbesuch neben dem zentralen Markt von … | |
| Berlin taz | Tief in der Sahara spielt sich in diesen Wochen Weltgeschichte | |
| ab. Frankreichs Militär verlässt Tschad. Die älteste Präsenz europäischer | |
| Kampftruppen in Afrika geht damit zu Ende. | |
| Am 28. November 2024 kündigte Tschads Präsident Mahamat Déby die geltenden | |
| Militärabkommen mit Frankreich auf. Die Regierungen der Sahelstaaten Mali, | |
| Burkina Faso und Niger hatten das bereits getan. Mit Tschad kommt nun das | |
| erste der Länder hinzu, aus denen Frankreich nach der Entlassung seiner | |
| Afrika-Kolonien in die Unabhängigkeit 1960 nie abgezogen war. Weitere | |
| werden folgen. Es ist eine Zeitenwende: Mit Tschad [1][verliert Frankreich | |
| seine letzte verbliebene autonome Interventionskapazität in Afrika]. | |
| Erst vor zehn Jahren kämpften noch über 5.000 französische Soldaten in der | |
| gesamten Sahelzone. 2013 hatten sie in Mali islamistische Rebellen | |
| zurückgedrängt. Es folgte die regionale Sahel-Antiterroroperation Barkhane, | |
| stationiert in Tschads Hauptstadt N’Djamena, wo Frankreich bislang | |
| permanent Kampfjets stehen hatte. | |
| Die Sahelpartner wollen nicht mehr, Barkhane ist abgewickelt, und am 10. | |
| Dezember 2024 flogen die Mirage-Kampfjets aus N’Djamena nach Hause, gefolgt | |
| von zunächst 120 französischen Soldaten. Am zweiten Weihnachtsfeiertag | |
| übergab Frankreich seine Militärbasis Faya-Largeau im Norden Tschads. | |
| Abéché im Osten folgt demnächst. In N’Djamena werden jetzt eifrig | |
| Frachtflugzeuge beladen. Bis zum 31. Januar soll alles vorbei sein – nach | |
| über 100 Jahren. | |
| ## Noch vor wenigen Monaten undenkbar | |
| Zwar zog Frankreich sich bereits aus der Sahelregion zurück. Aber ein | |
| Totalabzug aus dem Land, das seit den 1970er Jahren die Drehscheibe für | |
| Frankreichs Afrika-Interventionen von Libyen bis Ruanda war? Noch vor | |
| wenigen Monaten galt das als undenkbar. | |
| Entstanden ist Tschad am Höhepunkt der französischen Eroberungskriege in | |
| der Sahara im Jahr 1900. Als 1962 Algerien nach langem Befreiungskrieg von | |
| Frankreich unabhängig wurde, war Tschad der ideale Auffangort französischer | |
| Machtprojektion. Denn Tschads Unabhängigkeit 1960 war nur ein | |
| Verwaltungsakt, keine Befreiung. Die Armee bestand aus abkommandierten | |
| tschadischen Soldaten der französischen Streitkräfte, ausgestattet mit | |
| Handfeuerwaffen. Die wahre Macht blieb in Paris. „Wenn Frankreich nicht in | |
| Tschad wäre, gäbe es dann ein unabhängiges Tschad?“, brachte einst | |
| Frankreichs Präsident François Mitterrand den zentralen Widerspruch des | |
| Neokolonialismus auf den Punkt. | |
| Ende der 1970er Jahre versank Tschad in einem Krieg, der dem im heutigen | |
| Sudan gleicht. Armeechef Hissène Habré putschte gegen Präsident Goukouni | |
| Weddeye. Weddeye holte Hilfe von Libyens Revolutionsführer Gaddafi, Habré | |
| von Frankreich. Tschad zerfiel, die Luftwaffenbasis Faya-Largeau mit der | |
| größten Landebahn der Sahara war mal in libyscher, mal in französischer | |
| Hand. Schon 1983 war von 200.000 Toten die Rede, bei damals rund 4,5 | |
| Millionen Einwohnern. Habré obsiegte per Schreckensherrschaft, mit bis zu | |
| 40.000 Ermordeten in der Haft, wie nach seinem Sturz durch seinen eigenen | |
| Armeechef Idriss Déby 1990 enthüllt wurde. | |
| Idriss Déby regierte danach 31 Jahre lang, mehrmals retteten ihn | |
| französische Einsätze vor Rebellen. Aber er baute eine starke Armee auf. | |
| Als er 2021 starb, kürten seine Generäle seinen Sohn zum Nachfolger. Der | |
| französische Präsident Emmanuel Macron kam zur Inthronisierung. Jetzt wirft | |
| [2][der junge Mahamat Déby] die alte Schutzmacht hinaus. Auch Senegal und | |
| die Elfenbeinküste wollen Frankreichs Militär nicht mehr. Bleiben noch | |
| Gabun – und Dschibuti, das militärisch zum Nahost-Krisengürtel zählt. | |
| ## Überraschung für Außenminister | |
| Tschads Rauswurf im November kam umso verletzender, als einen Tag zuvor | |
| Frankreichs Außenminister zu Besuch gewesen war und man ihn nicht | |
| informiert hatte. Auf dem Tisch von Präsident Macron lag da bereits ein | |
| Konzept zum Teilabzug aus Afrika. Abgesehen von den 1.500 Soldaten in | |
| Dschibuti sollten von den restlichen 2.300 noch 600 bleiben: in Tschad 300 | |
| statt 1.000, in der Elfenbeinküste 100 statt 600, in Senegal und Gabun je | |
| 100 statt je 350. Mit den betroffenen Regierungen waren diese Pläne nicht | |
| abgesprochen – eine klassische französische Überheblichkeit in Afrika. | |
| Bei den afrikanischen Partnern ist Selbstachtung und Patriotismus angesagt. | |
| „Tchad hourra, France barra“ – Hurra Tschad, Frankreich raus! – stand a… | |
| Plakaten, als am 5. Dezember in Abéché Tausende beim amtlich organisierten | |
| Aufmarsch auf die Straße gingen. In Faya-Largeau hatte es zuvor Unmut | |
| gegeben, als ein französischer Militärarzt einen tschadischen Soldaten | |
| erschoss – angeblich zur Abwehr eines Messerangriffs, aber die Einschüsse | |
| waren im Rücken. Der Arzt beging in der Untersuchungshaft Suizid. Er sei | |
| nach seinem Mali-Einsatz traumatisiert, hieß es. | |
| Tschad dürfte noch traumatisierter sein, nicht nur wegen der verheerenden | |
| Kriege. Schon die französische Eroberung war ein Terrorfeldzug gewesen. In | |
| Abéché, Hauptstadt des alten Sultanats Ouaddai, brach Frankreich 1917 den | |
| einheimischen Widerstand, indem es nach einem Aufstand die jungen Männer | |
| hinrichtete und ihre Köpfe am Straßenrand zur Schau stellte. | |
| In der Wüstenoase Faya hatte Frankreich 1913 die mächtige | |
| Senussi-Bruderschaft bezwungen, aus der später Libyens Königshaus | |
| hervorging. Diese zwei Symbolstätten kolonialer Unterdrückung wurden später | |
| zwei große Militärbasen, Frankreichs „Augen und Ohren“ Richtung Sudan und | |
| Libyen. Und aus N’Djamena heraus spielte Frankreich den „Gendarmen | |
| Afrikas“. | |
| ## In der Epoche geirrt | |
| Nun endet dieses Kapitel. Frankreichs Abzug findet ohne mediale Begleitung | |
| statt, ohne politische Debatten. In Militärblogs, wo sich Veteranen | |
| französischer Auslandseinsätze austauschen, wird das bitter kommentiert. | |
| Jetzt verkommen unsere Einrichtungen, aber irgendwann werden die Tschader | |
| doch wieder die Hand aufhalten, lautet der Tenor. [3][Koloniale | |
| Überheblichkeit] lebt also weiter – auch bei Emmanuel Macron. Beim | |
| Neujahrsempfang der französischen Botschafter in Paris am 5. Januar warf er | |
| den afrikanischen Ländern vor, „sie haben vergessen, uns Danke zu sagen“. | |
| Mahamat Déby konterte: „Ich glaube, er hat sich in der Epoche geirrt.“ | |
| Macron und Déby, 47 und 40 Jahre alt, sind die ersten Präsidenten ihrer | |
| Länder, die nach der Kolonialzeit geboren wurden. Jetzt gehen sie getrennte | |
| Wege – ein Sinnbild für Europa und Afrika, die nie zu einer | |
| gleichberechtigten Beziehung gefunden haben. | |
| 11 Jan 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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