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# taz.de -- Die Wahrheit: Gott kennt kein Gebot
> Die älteste bekannte Steintafel mit den biblischen Zehn Geboten wird
> demnächst bei Sotheby's in New York versteigert. Was würde Moses dazu
> sagen?
Bild: Olle Moses als Erstbesitzer der Tafeln mit den Zehn Geboten
Auf keinen Fall, heißt es in der Pressemitteilung, solle die Phrase „unter
den Hammer kommen“ verwendet werden. Denn unter dem Schlag eines Hammers
könnte das Objekt, das demnächst bei Sotheby’s in New York versteigert
wird, in Hunderte Teile zerspringen wie auf einem Rembrandt-Gemälde: eine
Marmortafel aus spätbyzantinischer Zeit, enthaltend die Zehn Gebote, die
Moses einst auf dem Berg Sinai von Gott persönlich empfangen haben soll.
„Eine original Unterschrift von Gott würde dem Dokument freilich noch mehr
Authentizität verleihen, aber die Beglaubigung durch unseren Hausnotar, die
in zweifacher Ausführung mit Alleskleber am unteren Ende der Tafel
angebracht wurde, ist ja auch was wert“, gibt sich Richard Austin
zuversichtlich.
Der Leiter der Sotheby’s-Abteilung für Bücher und Manuskripte erhofft sich
mehr als zehn Gebote für den Schatz, der 1913 bei Bauarbeiten an der
Südküste des heutigen Israel gefunden wurde und danach dreißig Jahre lang –
kein Witz – als Gehwegplatte benutzt worden war, bevor man seine wahre
Bedeutung erkannte. Der Dekalog, mit den Füßen getreten: ein schönes
Sinnbild für die heutige Gesellschaft.
„Wenn der Höchstbietende die Tafel wieder als Gehwegplatte verwenden will,
kann man ihm das natürlich nicht verbieten, ein entsprechendes Gebot ist
mir jedenfalls nicht bekannt“, räumt Austin ein. „Es ist wirklich eine sehr
stabile und wertig gearbeitete Platte. Und den Text kann man ja eh im
Internet nachlesen.“
## Der Reiz der Kurzprosa
Zwanzig Zeilen Text auf einer 60 Zentimeter hohen und 52 Kilogramm schweren
Tafel, das mag übertrieben opulent wirken. Doch genau das macht für manche,
die bereits Interesse angekündigt haben, den Reiz aus.
„Ein moderner Moralkodex soll auf einen Bierdeckel passen“, sagt eine
anonyme Mitbieterin, „aber wissen Sie, meine Augen sind nicht mehr die
besten. Auf der Marmorplatte steht alles schön deutlich drauf, sodass ich
jederzeit nachprüfen kann, ob ich falsches Zeugnis wider meine Eltern
ablegen darf … also, zumindest theoretisch – ich kann kein Althebräisch
lesen.“
Pikant: Das Gebot „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht
missbrauchen“ fehlt auf dem Schriftstück. „Das ist aber kein gottverdammter
Grund für eine Wertminderung, Himmel, Arsch und Zwirn!“, betont Richard
Austin. Stattdessen finde sich nämlich eine Vorschrift, die nicht in der
Bibel vorkommt und welche vorschreibt, den Herrn am Berg Garizim, dem
zentralen heiligen Ort der Samaritaner, zu verehren. Ein Bonus-Gebot quasi,
ein echtes Schmankerl für Exodus-Nerds!
Für den 18. Dezember ist der Versteigerungstermin angesetzt, „kurz vor
Weihnachten, ideal für alle, die für ihre besonders frommen Liebsten noch
ein ausgefallenes Geschenk suchen“, wie Sotheby’s mitteilt. „Das Wochenen…
wäre uns zwar noch lieber gewesen, aber der Gewerkschaftsführer der
Auktionatoren hat da was auf der Tafel entdeckt, irgendwas mit Sabbat
heilig halten, blabla, und da mussten wir halt den Mittwoch davor nehmen“,
verdreht die Pressesprecherin von Sotheby’s die Augen.
Den genauen Ablauf hat das Auktionshaus bereits geplant. Demnach kommt
zuerst ein Stellvertreter des Chef-Auktionators auf einer Rolltreppe mit
dem zu veräußernden Stück in Händen hinabgefahren und verkündet dem
Publikum im Hauptsaal, dass sein Boss die Versteigerung nicht persönlich
durchführen könne, „um das Volk vor seinem tödlichen Anblick zu bewahren�…
## Als Zugabe Meersalz
Dann beginnt das wilde Bieten um die rund 1.500 Jahre alte Tafel. Man
rechnet mit einem Erlös von zwei Millionen US-Dollar beziehungsweise einer
Bundeslade voller Schekel. Sollte die Summe nicht erreicht werden, möchte
man noch eine Totes-Meer-Schriftrolle drauflegen, „oder wenigstens eine
Packung Totes-Meersalz“.
Nach dem Ende der hoffentlich erfolgreichen Versteigerung, die auf Radio
Horeb übertragen werden soll, gibt es eine After-Auction-Show mit
brennenden Dornbüschen, Tanz um ein goldenes Kalb, Live-Exegese, durch
Nadelöhre springenden Kamelen und schließlich apokalyptischer Flutung der
Auktionshalle – kostenlose Shuttle-Archen werden bereitgestellt.
Eine unheimliche Fußnote wurde indes von den berichtenden Medien
verschwiegen: In den letzten Tagen kam es im Großraum New York zu einer für
die Jahreszeit ungewöhnlichen Stechmückenplage, Frösche fielen vom Himmel,
der Teich im Central Park färbte sich rot und die Erstgeborenen einiger
Bieterinnen und Bieter starben auf rätselhafte Weise.
„Wir möchten uns dazu nicht äußern“, ließ die Sotheby's-Pressesprecherin
wissen. „Unsere Aufgabe ist es lediglich, dafür zu sorgen, dass ein paar
Befreite ihres Nächsten Marmortafel begehren und in Neid und Missgunst um
die Wette bieten, hähä!“
4 Dec 2024
## AUTOREN
Torsten Gaitzsch
## TAGS
Bibel
Versteigerung
Gesetz
Reiche
Raumfahrt
Italien
Wein
Energiewende
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