# taz.de -- Die Wahrheit: Mein kleines grünes Kraftwerk | |
> Die heimische Energieerzeugung explodiert zwischen Meisenknödeln und | |
> Geranien: Balkonkraftwerke sprießen all über all, vielleicht auch bald | |
> atomare. | |
„Respekt, wer’s selber macht“: Das ist nicht nur der Slogan einer | |
Baumarktkette, sondern seit Neuestem auch die Parole des für Energie | |
zuständigen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Robert | |
Habeck, dessen Chef, hat das zwar prompt eine Klage wegen | |
Urheberrechtsverletzung eingebracht, doch die Freude des Ministers ist | |
ansonsten momentan kaum zu schmälern. | |
Die jüngsten Zahlen der Bundesnetzagentur sprechen eine deutliche Sprache. | |
Rund 400.000 sogenannte steckerfertige Solaranlagen sind derzeit in | |
Betrieb, heißt: 400.000 deutsche Haushalte erzeugen Energie auf dem eigenen | |
Balkon. Buchstäblich dürfte das aber eine Dunkelziffer sein. Etliche dieser | |
Anlagen sind nicht registriert und jederzeit kann es Nachmeldungen geben – | |
das Modem der Bundesnetzagentur wird mit Sonnenenergie betrieben, und Ende | |
März gab es ein paar stark bewölkte Tage. | |
Woher kommt sie, die plötzliche Lust am Balkonkraftwerk? „Das ist doch | |
sonnenklar“, strahlt Berthold Rust, Vorsitzender des Vereins Private | |
Photovoltaik. „Die Leute wollen unabhängig sein – von Putin, von RWE, der | |
Atomlobby und anderen Saubanden. Und dabei bares Geld sparen.“ Welche | |
Summen pro Kopf dank Selbstversorgung gutgemacht werden können, weiß wohl | |
nur der Bundesverband Solarwirtschaft, doch der war für eine Stellungnahme | |
nicht zu erreichen. Vom Anrufbeantworter ertönte als Entschuldigung die | |
Nachricht: „Weil wir uns mit den drei Buchstaben BSW abkürzen, rufen seit | |
einer Weile nur noch Vollidiotenfans von Wagenknecht an, mit denen wir | |
nicht sprechen möchten.“ | |
So oder so sieht der Verein Private Photovoltaik (scherzhafte | |
Eigenbezeichnung: „Club Voltaire“) für die Zukunft schwarz, im positiven | |
Sinne. In sämtlichen Bundesländern erblickt man inzwischen | |
Mehrfamilienhäuser, deren Fassaden durchgehend im Schwarz der DIY-Paneele | |
glänzen. Da verwundert es nicht, dass die nächste typisch deutsche Debatte | |
bereits an Fahrt aufnimmt. | |
„Mit viel Mühe ist es uns in den letzten Jahren gelungen, die | |
Schottergarten- und Gabionen-Dichte im Land zu senken, da steigt uns der | |
kleinbürgerliche Spießer mit der nächsten ästhetischen Plage aufs Dach!“, | |
klagt der Architekturexperte und selbsternannte „Kultvermieter“ Cornelius | |
Oettle. Und zwar nicht nur verbal: „Mehr als drei Sonnenkollektoren pro | |
Etage lasse ich in meinen Stuttgarter Mietshäusern ab sofort nicht mehr | |
zu“, teilt Oettle in seinem neuesten Podcast mit. | |
„Welche, das sollen die Mietparteien unter sich auskaspern. Jeder neu | |
hinzukommende Steckersolargerätnutzer wird von mir wegen optischer | |
Unzumutbarkeit vor den Kadi gezerrt. Vermieten reimt sich nicht umsonst mit | |
verbieten. Apropos umsonst: Den Lichtschmarotzern werde ich freilich | |
gehörig die Miete erhöhen müssen, deren Konten platzen ja sonst aus allen | |
Nähten!“ | |
Doch, trotz vehementer Kritik: der teutonische Innovationsgeist, wie ihn | |
etwa Christian „Überstunde“ Lindner schätzt, kennt keine Grenzen. Auf | |
Privatgrundstücken wachsen seit geraumer Zeit sogar veritable | |
Windkraftanlagen, beispielsweise auf der Terrasse von Annegret Hartung. „An | |
dieser Stelle hat mein Mann immer gerne im Liegestuhl gefläzt. Seit seinem | |
Tod – er wurde ironischerweise von einer herabstürzenden Solarzelle | |
erschlagen – nutze ich den Platz hierfür“, sagt die 70-Jährige und deutet | |
stolz auf einen 30 Meter hohen Koloss, der über einen das komplette | |
Wohnzimmer ausfüllenden Generator ihr Haus mit Energie versorgt. | |
## Zugvögel zwischen den Rotorblättern | |
„Kleinwindenergieanlagen waren gestern, heute müssen wir groß denken“, | |
erklärt Frau Hartung. „Meine Nachbarn dürfen sich übrigens gerne mit | |
anklemmen. Als Entschädigung dafür, dass regelmäßig Zugvögel zwischen die | |
Rotorblätter fliegen und in Scheiben auf ihren Weber-Grills landen.“ | |
Noch einen Schritt weiter geht Ingmar Hoffmeister aus Verden an der Aller. | |
Der 17-jährige Schulabbrecher betreibt auf seinem Balkon eine | |
Biogas-Anlage. „Ich hatte mich für das Bundeswehr-Vorkommando in Litauen | |
beworben, aber die wollten mich nicht, weil ich wegen fahrlässiger | |
Körperverletzung und Verletzung der Aufsichtspflicht vorbestraft bin“, | |
resümiert Ingmar näselnd – er trägt dauerhaft eine Klammer auf der Nase. | |
„Da habe ich intensiv über russisches Gas, Kälte und, auf Deutsch gesagt, | |
die ganze Scheiße nachgedacht. Tja, und auf demselben Balkon, auf dem ich | |
damals meinen neugeborenen Sohn über Nacht vergessen habe, lasse ich jetzt | |
Speisereste, Fäkalien und anderen organischen Abfall vergären.“ | |
Dafür bekam Hoffmeister vor kurzem sogar die Goldene Mistgabel des | |
Niedersächsischen Bauernverbandes. „Alle haben sie mir ins Gesicht gelacht, | |
jetzt lacht keiner mehr, also zumindest nicht mehr mir ins Gesicht. Weil | |
sich niemand mehr meinem Haus nähern mag, wegen dem Gestank.“ Die Stadt | |
Verden an der Aller überlegt nun sogar, wie man die kinetische Energie, die | |
bei Faulgas-Explosionen freigesetzt wird, für die örtliche Stromversorgung | |
nutzen könnte. | |
## Die Tretmühlen-Prämie kommt | |
Und welche Überlegungen stellt der Bund an, um Balkonkraftwerke aller Art | |
noch attraktiver zu machen? Eine „Tretmühlen-Prämie“ muss nur noch durch | |
den Bundesrat, danach gibt es steuerliche Vergünstigungen für Familien, die | |
auf dem heimischen Balkon ein Laufrad aufstellen und das am wenigsten zur | |
Volkswirtschaft beitragende Familienmitglied durch pure Muskelkraft Energie | |
erzeugen lassen. | |
„Die gute alte Göpelkunst wird ein Comeback erleben“, schwärmt | |
Staatssekretär Philipp Nimmermann. Auch Wasserkraft soll gefördert werden: | |
In hochwassergefährdeten Gebieten Lebende werden ermutigt, Schöpfräder | |
neben ihren Grundstücken zu installieren, „damit die nächste | |
Flutkatastrophe zur Chance wird“, wie es in einem Positionspapier heißt. | |
„Tränen allein treiben keine Turbinen an.“ | |
Außerdem arbeitet Habecks Ministerium Gerüchten zufolge an einer | |
Gesetzesnovelle, durch die Beschränkungen bezüglich des Umgangs von | |
Privatpersonen mit radioaktivem Material gelockert werden sollen. Im Sinne | |
der upgedateten EU-Einstufung von Atomkraft als „grüne Energie“ begrüßt … | |
Robert Habeck wohl, wenn auch zähneknirschend, dass künftig in deutschen | |
Blumenkästen zwischen Geranien und Chilischoten steckerfertige Mini-Meiler | |
brüten. | |
13 Apr 2024 | |
## AUTOREN | |
Torsten Gaitzsch | |
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