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# taz.de -- Die Wahrheit: Reich und reich gesellt sich fern
> Statussymbole? Angestaubt! Deutschlands Reiche protzen neuerdings mit
> Bußgeldern für Stornierungen in Restaurants und Friseurläden.
Bild: Bling-Bling war gestern für Freunde des gehobenen Luxus
Wahrer Luxus besteht hierzulande im Fernbleiben, seit immer mehr
Einrichtungen Strafgebühren für das Nichterscheinen erheben. Ein Luxus, den
anzuhäufen Familie Theissen aus dem oberbayerischen Miesbach perfektioniert
hat. „Ich habe für zehn Uhr gleich drei Friseurtermine bekommen können“,
freut sich Berta Theissen und deutet auf ihren überdimensionierten
Tagesplaner. „Zwei davon muss ich zwangsläufig absagen. Der Salon
Scherzinger erhebt 40 Euro, wenn man nicht kommt, bei Haar & Mehr werden 60
Euro fällig. Das ist schon mal ein grüner Schein, den ich heute springen
lasse.“
Die Familienmutter fasst sich nachdenklich in die Locken. „Ich bin mit
meiner Frisur eigentlich gerade zufrieden. Vielleicht nehme ich auch den
Termin bei Coiffeurmeister Krahl nicht wahr. 45 Euro Bußgeld. Die anderen
Kundinnen werden Augen machen, wenn sie mich dort nicht sehen!“
Vereinbarte Termine platzen lassen, das schindet Eindruck. Als besonders
mondän und stilvoll gilt es, nicht einmal Rücksprache zu halten mit dem
entsprechenden Dienstleister. Frau Theissens Mann Harry ist enorm gewieft
darin. „Gestern Abend hätten wir in einem Münchner Sterne-Restaurant
speisen können. Das Haus ist ständig ausgebucht, unseren Termin habe ich
vor drei Monaten gekriegt. Kein Wunder, dass 200 Euro pro Tisch in Rechnung
gestellt werden, wenn man ihn sausen lässt. Angerufen habe ich aber auch
nicht. Man soll nicht glauben, wir würden Reue oder Scham deswegen
empfinden.“
In den meisten Gasthäusern mit sogenannter No-show-Policy wird für Fälle
wie diesen die Rechnungsadresse der Reservierenden direkt am Telefon
abgefragt. Manchmal, verrät Harry Theissen, suche er persönlich ein Lokal
auf und überreiche unmittelbar nach der Reservierungsanfrage einen
Blankoscheck: “‚Lösen Sie den einfach ein, falls wir nicht kommen!‘, sage
ich dann für alle Gäste deutlich hörbar. Die anerkennenden Blicke – nicht
mit Gold aufzuwiegen.“
## Gezielter Ausfall
Während sich Otto-Normal-Kunde angesichts des Ausfallgebührentrends denkt:
„Komm ich heut nicht, muss ich borgen“, geht es Besserverdienenden darum,
sich eben nichts dabei denken zu müssen. „Die haben es nicht nötig, groß
abzuwägen, mit Uhrzeiten zu jonglieren oder gar Entschuldigungen
vorschieben zu müssen.“ So beschreibt Ursula Nether ihre Klientel.
Beziehungsweise ihre Nichtklientel. Denn die 46-Jährige hat sich mit ihrem
Rosenheimer „Asia Döner Pizza Stübchen“ einen Namen gemacht, indem sie se…
Ende letzten Jahres sage und schreibe 500 Euro für eine verfallene
Reservierung anmahnt. „Die Verbraucherschutzzentrale prüft derzeit, ob das
unter Wucher fällt“, zuckt die Gastronomin mit den Schultern. „Aber die
müssen sich hinten anstellen, erst will nämlich jemand vom Hygieneamt
vorbeischauen. Ohne Termin, versteht sich.“ Die Imbissstube ist gähnend
leer, die Bücher sind umso voller. Hier nicht zu essen, muss man sich
leisten können, und die lokale Schickeria kann und will es sich leisten.
Selbstredend hat auch die fünfköpfige Familie Theissen schon ein Dinner im
„Stübchen“ anberaumt, „Ende August, da können wir tatsächlich nicht“…
Mutter Berta in Abgleich mit dem Kalender. „Das passt hervorragend, wir
wollen im August Urlaub machen. Wir wissen nur noch nicht, ob wir nicht
nach Malta, nicht ins Engadin oder nicht auf die Andamanen fliegen wollen.“
Die Hotels seien jedenfalls alle gebucht, nun gelte es herauszufinden,
welches die strengste No-show-Regelung hat.
## Trip canceln
„Wichtig sind die Flüge“, betont Harry Theissen. „Zu Ostern wollten wir
einen Business-Class-Trip nach Toronto canceln, nur um zu erfahren, dass
der Flug wegen eines Vulkanausbruchs eh gecancelt wurde. 75 Prozent des
Preises wurden uns erstattet, eine Blamage! Seitdem achten wir auf alles:
keine Stornierungsoption, keine Reiserücktrittversicherung.“
Der Nachwuchs schreibt es sich ins Stammbuch. Esmeralda, 15, strahlt: „Ich
bin Mitglied in mehreren Fitnessstudios und bei privaten Musiklehrern
angemeldet. Das wird neuerdings richtig teuer, wenn ich da nicht hingehe!“
Und seit das Gymnasium der Kinder eine Strafe fürs Zuspätkommen eingeführt
hat, kann auch hier der Wohlstand zur Schau gestellt werden. „Jede
geschwänzte Schulstunde kostet 10 Euro“, weiß Harry junior. „Das sind bei
vier Stunden schon 73 Euro! Darf ich alles von meinem Taschengeld
bezahlen!“
Heute bringt Berta Theissen ihren Zwölfjährigen deshalb erst nach der
Mittagspause im SUV zum Unterricht. „Auf dem Weg könnte ich natürlich bei
meiner Hausärztin vorbeifahren, bin für 13 Uhr zum Gesundheitscheck
bestellt. Aber da wär ich ja schön blöd“, die stolze Miesbacher Mama grinst
– das Terminschwänzen schlägt in dieser Praxis mit 50 Euro zu Buche. „Ha,
mein linker Arm kribbelt schon … bestimmt aus Vorfreude! Man gönnt sich ja
sonst nichts!“
1 Jul 2025
## AUTOREN
Torsten Gaitzsch
## TAGS
Reiche
Luxus
Gebühren
Raumfahrt
Bibel
Italien
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