# taz.de -- Habeck wirbt um Fachkräfte in Kenia: Gute Jobs, schlechtes Wetter | |
> Wirtschaftsminister Habeck wirbt in Kenia um Fachkräfte für die deutsche | |
> Wirtschaft. Im Land ist das Interesse vorhanden, doch die Hürden bleiben | |
> hoch. | |
Bild: Robert Habeck in Nairobi mit Auszubildenden bei einem Hersteller für Abf… | |
Nairobi taz | „Wir sind Kenianer. Wir wissen, wie man sich anpasst“, sagt | |
einer der beiden jungen Männer. Der andere grinst und nickt. Sie sind knapp | |
20 und stehen am Montag vor ihrer Ausbildungswerkstatt in einem Vorort von | |
[1][Nairobi], wo sie lernen, wie man schweißt. Sechs Monate dauert der | |
Kurs, die ersten zwei davon am Simulator mit einer Virtual-Reality-Brille. | |
Diesen Teil haben die beiden schon mal geschafft. | |
Wo sie am Ende arbeiten möchten? „In Europa. Da gibt es eine richtige | |
Industrie.“ Vielleicht sogar in Deutschland? „Klar, wenn es die Gelegenheit | |
gibt.“ Ob ihnen die deutsche Sprache keine Angst macht? Und der deutsche | |
Winter? „We are Kenyans“, sagt der eine jetzt eben. „We are used to adapt… | |
Sich anpassen an das, was gerade kommt: In Kenia sei man es gewohnt, sich | |
durchzukämpfen. | |
Toolkit heißt die Organisation, welche die Werkstatt betreibt. Während die | |
beiden angehenden Schweißer über ihre Pläne erzählen, wird ein paar Meter | |
weiter der deutsche Wirtschaftsminister über das Gelände geführt: | |
[2][Robert Habeck] besichtigt die Ausbildungsstätte, die durch deutsche | |
Entwicklungsgelder mitfinanziert wird. | |
20 junge Schweißer*innen, die hier gelernt haben, würden mittlerweile in | |
Frankreich arbeiten, erzählt ihm die Direktorin Jane Muigai Kamphuis. | |
Deutschkurse gebe es in ihrer Einrichtung in Zukunft auch. „Wir haben | |
Fachkräfte zu bieten“, sagt sie. „Wir suchen Menschen, die nach Deutschland | |
kommen“, antwortet Habeck. Dann winkt er den Präsidenten der Berliner IHK | |
herbei, der ihn auf seiner Reise begleitet und in Kenia gern ein | |
Ausbildungsprojekt nach deutschen Standards aufziehen würde: Die beiden | |
sollten mal reden. | |
Wer weiß: Vielleicht wird hier im Kleinen aufgehen, was sich [3][die | |
Ampelregierung in ihrem Koalitionsvertrag] einmal vorgenommen hatte. | |
„Deutschland braucht mehr Arbeitskräfteeinwanderung“, stand darin. Die | |
Bilanz ist drei Jahre später zwiespältig: Für die Anerkennung ausländischer | |
Abschlüsse sind noch immer zig Behörden bis hinunter zu den Landratsämtern | |
zuständig, Wartezeiten sind weiterhin lang. | |
Einige Vorgaben hat die Koalition mit dem neuen | |
[4][Fachkräfteeinwanderungsgesetz] aber tatsächlich gelockert. Mit mehreren | |
Staaten, [5][darunter Kenia], hat Deutschland zudem Migrationsabkommen | |
geschlossen. Einerseits will die Regierung damit Abschiebungen | |
beschleunigen, anderseits die Einwanderung von Menschen fördern, die für | |
deutsche Arbeitgeber nützlich sind. | |
## Das Interesse an Kenia ist groß | |
„Das ist nur der Rahmen. Wir müssen ihn jetzt mit Leben füllen“, sagt | |
Habeck am Dienstag auf einer Wirtschaftskonferenz in Nairobi.Für den grünen | |
Vizekanzler ist es wohl die letzte große Auslandsreise, bevor zu Hause der | |
[6][Wahlkampf in die heiße Phase geht]. Sein zweitägiger Besuch ist eine | |
von vielen deutsch-kenianischen Regierungsbegegnungen der letzten Jahre. | |
Das Interesse an der ostafrikanischen Mittelmacht ist gestiegen – nicht nur | |
wegen der Suche nach Arbeitskräften. [7][Die Bundesregierung will | |
Abhängigkeiten abbauen, die deutsche Wirtschaft bei Lieferketten wie | |
Absatzmärkten vielfältiger machen]. Für den Zugang zu den ostafrikanischen | |
Märkten ist Kenia perfekt gelegen und außenpolitisch steht es dem Westen in | |
vielen Punkten nahe. Russlands Angriff auf die Ukraine etwa hat die | |
Regierung verurteilt. | |
Was allerdings nicht heißt, dass Kenia ein komplett unproblematischer | |
Partner wäre. Präsident William Ruto ließ im Sommer [8][Proteste gegen | |
Steuererhöhungen niederschießen], 60 Menschen starben. Getragen wurden die | |
Proteste von der Generation Z – denjenigen also, die um die | |
Jahrtausendwende geboren wurden und besonders unzufrieden sind. Viele von | |
ihnen sind verhältnismäßig gut ausgebildet, finden aber keine Arbeit im | |
Land. Bei einem Altersschnitt von rund 20 Jahren wird das Problem von Jahr | |
zu Jahr größer. | |
An Migrationspartnerschaften wie der mit Deutschland hat die Regierung | |
daher ein großes Interesse. Zynisch könnte man sagen, dass Präsident Ruto | |
die Unzufriedenen loswerden möchte. Weniger zynisch, dass er ihnen eine | |
Perspektive schaffen will. Entsprechend stapelte er in der kenianischen | |
Öffentlichkeit hoch, als das Abkommen mit Deutschland im September | |
unterschrieben wurde. Er sprach von Jobs für 250.000 Kenianer*innen. Eine | |
überaus ehrgeizige Zahl, auch wenn das Einwanderungskapitel tatsächlich der | |
relevantere Teil des Abkommens ist. Die Maßnahmen, die Abschiebungen aus | |
Deutschland erleichtern sollen, werden in der Praxis nicht groß ins Gewicht | |
fallen. Zum Stichtag 31. Juli lebten in Deutschland nur 818 | |
ausreisepflichtige Kenianer*innen, die meisten mit Duldung. | |
Zur Einwanderung dagegen steht zwar wenig Verpflichtendes im Abkommen, die | |
Absichtserklärungen füllen aber immerhin mehrere Seiten. Allerlei will man | |
prüfen: Deutschkurse auszuweiten, Lehrpläne für Berufsschulen | |
auszutauschen, gemeinsame Konferenzen auszurichten. Im September gab es zum | |
Auftakt eine Jobmesse. Sie war ausgebucht. Unter anderem im IT-Bereich, der | |
Tourismusbranche und der Krankenpflege sehen Expert*innen ein | |
Arbeitskräftepotenzial. | |
Es sind indes noch keine Massen an Kenianer*innen, die nach Deutschland | |
wollen. Das Interesse steigt auf niedrigem Niveau. Laut Auswärtigem Amt, | |
das die Visa-Stelle an der deutschen Botschaft „um rund zwei Dienstposten“ | |
aufgestockt hat, wurden 2023 insgesamt 560 Arbeitsvisa ausgestellt. 2024 | |
waren es bis Ende November 620. Noch sei es zu früh, um daraus eine | |
Bewertung des Abkommens abzuleiten. | |
## Starke Nachfrage nach Deutschkursen | |
Schneller reagiert hat die Nachfrage nach Deutschkursen. „Schon seit dem | |
Besuch von Olaf Scholz im letzten Jahr gehen die Zahlen hoch“, sagt Claudia | |
Schilling vom Goethe-Institut in Nairobi. 2023 hatten die Sprachkurse des | |
Instituts 2.600 Teilnehmer*innen, 2024 gut 3.200. „Und als es kürzlich bei | |
uns einen Workshop der Botschaft zum Visa-Verfahren gab, standen die Leute | |
bis auf die Straße Schlange.“ | |
Schilling verantwortet beim Goethe-Institut die Pre-Departure-Trainings, | |
eine Art berufsbezogene Landeskunde. „Wir zeigen zum Beispiel Schritt für | |
Schritt, wie die Website der Arbeitsagentur aufgebaut ist oder wie man | |
seinen Abschluss anerkennen lässt. Aus dem Stand würden es von hier aus die | |
wenigsten schaffen, einen Job zu finden und die Bürokratie zu meistern.“ | |
Dem Goethe-Institut gehe es darum, kostenlos ein realistisches Bild von | |
Deutschland zu vermitteln. „Wir rechnen auch vor, dass man in Deutschland | |
nicht über Nacht reich wird. Wir sagen den Leuten zum Beispiel, welche | |
Lebenshaltungskosten eine Krankenschwester in München hat“, sagt Schilling. | |
Es ist ein Unterschied zu manchen Angeboten privater Unternehmen, die die | |
Vermittlung von Arbeitsstellen versprechen, dafür vorab eine Gebühr | |
verlangen und auf ihren Internetseiten von Deutschland nur das Beste | |
erzählen. Es sei dort viel besser als in England oder Kanada, heißt es bei | |
einem Anbieter. Auf die Deutsche Bahn sei Verlass und beim Arzt bekomme man | |
immer schnell einen Termin. Ob tatsächlich alle dieser Unternehmen Kontakte | |
zu deutschen Arbeitgebern haben, ist fraglich. „Fraud!“, heißt es in den | |
Online-Bewertungen einer Firma. Betrug. | |
Wie soll das Abkommen aber richtig in Gang kommen, wenn praktische Hürden | |
für die Interessenten hoch bleiben und auf Vermittler nicht immer Verlass | |
ist? „Wenn man einfach von Kenia nach Deutschland kommt, aus dem Flugzeug | |
aussteigt und sagt: ‚Hi, hier bin ich!‘ – dann ist man verloren“, sagt … | |
Habeck während seiner Visite bei der Schweißer-Ausbildung. | |
Was ihm vorschwebt: Mehr deutsche Unternehmen sollen es selbst richten und | |
vor Ort investieren. In eigenen Ausbildungszentren könnten sie Azubis | |
auswählen, schulen und ihnen dann Arbeit in Deutschland anbieten. In etwa | |
das also, was auch der Berliner IHK-Präsident und manche andere | |
Unternehmer*innen aus Habecks Delegation vorhaben. | |
Doch selbst wenn Projekte dieser Art in größerer Zahl zustande kommen | |
sollten: Ein anderes Problem bleibt und könnte den Run auf deutsche | |
Arbeitsplätze weiter verhindern. [9][Der Rechtsruck in Deutschland] wird | |
auch in Kenia wahrgenommen. „Speziell in den östlichen Bundesländern nehmen | |
Ressentiments gegen Migration zu“, hieß es im September im Standard, einer | |
der größten Zeitungen des Landes. Auch von rechter Hetze gegen das | |
Migrationsabkommen war im Artikel zu lesen. Die Zahl von 250.000 | |
Arbeitsplätzen, die Kenias Präsident in die Welt gesetzt hatte, griff die | |
AfD sofort auf. „Ampelregierung will arbeitslose Jugend Kenias nach | |
Deutschland holen“, schrieb sie in einer Mitteilung. Das | |
Bundesinnenministerium dementierte hart und betonte in einem Statement: | |
Alle Bewerber müssten die strengen gesetzlichen Vorgaben erfüllen. Die | |
Bundesregierung selbst vermeidet es, eine konkrete Zahl als Ziel zu nennen. | |
## „Eigentlich bräuchte es eine Willkommensbotschaft“ | |
„Eigentlich bräuchte es eine starke Willkommensbotschaft: Die Leute müssen | |
denken, dass sie hier gebraucht werden und wirklich gewollt sind. Getrieben | |
von der rechten Opposition, hat die Bundesregierung aber das gegenteilige | |
Signal gesendet“, sagt der Migrationsforscher Marcus Engler mit Blick auf | |
die Migrationspolitik der Ampel insgesamt. Die [10][Restriktionen der | |
Koalition in der Asylpolitik], inklusive der Abschiebevereinbarungen in den | |
Migrationsabkommen, seien kontraproduktiv. „Wir beobachten eine | |
Diskursverschiebung in der Migrationsdebatte insgesamt. Bei Menschen in den | |
Herkunftsländern kommt an: Vielleicht sind wir doch nicht so erwünscht. Wer | |
eine Rechtsverschiebung in der Asylpolitik forciert und mit Ressentiments | |
spielt, erschwert dadurch auch die Arbeitsmigration, trotz aller | |
rechtlicher Liberalisierung in diesem Bereich.“ | |
Der Rassismus in Deutschland: In Kenia spielt das bei Habeck, der in seiner | |
Partei die Verschärfungen der Ampel durchgedrückt hat, nur einmal am Rande | |
eine Rolle. Am Dienstag spricht er mit kenianischen Auszubildenden von | |
Krones, einem deutschen Maschinenbauer, der bei Nairobi eine Niederlassung | |
betreibt. „Wir müssen eine offene Gesellschaft sein“, sagt er während des | |
Gesprächs, mehr an die mitreisenden deutschen Journalist*innen | |
gerichtet als an die jungen Techniker*innen. Die Migration könne in | |
Deutschland Probleme lösen. | |
An die Azubis gerichtet hat er dann nur eine Warnung. Er wohnt in | |
Flensburg, wo auch Krones ein Werk unterhält. Sie sollen gerne dorthin | |
wechseln, appelliert Habeck. Das Wetter dort sei aber echt schlecht. | |
3 Dec 2024 | |
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