# taz.de -- Betreiber von Flüchtlingsunterkünften: Preis geht vor Qualität | |
> Berlin hat sich bei der Auswahl der Betreiber von Flüchtlingsunterkünften | |
> vom Prinzip der Konzeptvergabe verabschiedet. Kritik kommt von der | |
> Linken. | |
Bild: Containerunterkünfte für Geflüchtete auf dem Tempelhofer Feld | |
Berlin taz | Geht man nach der Qualität eines Produkts oder nimmt man das | |
Günstigste? Was sich manche Bürgerinnen täglich beim Einkauf fragen, spielt | |
bisweilen auch bei Verwaltungen eine Rolle – und kann hier sogar | |
lebenswichtig sein. Bei der Entscheidung, wer ein Flüchtlingsheim betreiben | |
darf, wurde daher einige Jahre lang mehr auf die Qualität als auf den Preis | |
geschaut. | |
Damit ist es nun vorbei. Der Präsident des Landesamts für | |
Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), Mark Seibert, hat im Lauf dieses Jahres | |
verfügt, dass bei der Auswahl von Betreibern für Heime nur noch nach dem | |
Preis geschaut wird. Das geht aus einer bisher unveröffentlichten Antwort | |
des Senats auf eine schriftliche Anfrage der Linken-Abgeordneten Elif Eralp | |
hervor, die der taz exklusiv vorliegt. | |
„Der Grund für die befristete Maßnahme ist der hohe personelle Aufwand, den | |
Konzeptvergaben – beispielsweise nach dem Schema 30 Prozent Preis, 70 | |
Prozent Qualität – mit sich bringen“, heißt es darin zur Begründung. Vor | |
[1][dem Hintergrund der „angespannten Personalsituation“ im LAF] sei es | |
daher besser, eine Weile „reine Preisvergaben anzuwenden“, als in Bereichen | |
der Daseinsvorsorge nicht mehr hinterherzukommen, schreibt Aziz Bozkurt, | |
Staatssekretär von Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe (beide SPD). | |
## Mögliche Benachteiligung sozialer Träger | |
Die Linken-Abgeordnete Eralp kritisiert, eine solche „Preisvergabe“ | |
benachteilige soziale Träger, da diese auf die Qualität ihrer Arbeit | |
fokussierten und weniger auf den Preis – anders als viele | |
Privatunternehmen. „[2][Eine humane Unterbringung], die natürlich bei | |
sozialen Trägern besser sichergestellt ist, und gute Arbeitsbedingungen | |
sollten wesentlich sein bei der Auftragsvergabe und nicht, wer am | |
billigsten unterbringt“, sagt Eralp am Montag der taz. | |
Freie Träger hätten sich daher zu Recht beim Senat darüber beschwert, dass | |
sie bei reinen Preisvergaben benachteiligt würden, da sie, anders eben als | |
viele Konzerne, hohe Standards und Tarifverträge haben, so die | |
migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus | |
weiter. | |
Elke Breitenbach, linke Vor-Vorgängerin von Integrationssenatorin | |
Kiziltepe, hatte das Konzeptverfahren bei der Vergabe von | |
Flüchtlingsunterkünften eingeführt. Hintergrund waren wiederkehrende | |
Probleme mit Privatunternehmen, die die Betreuung von Flüchtlingen zum | |
lukrativen Geschäft gemacht hatten. | |
Seit der Konzeptvergabe wurde verlangt, dass Betreiber unter anderem | |
ausführliche Angaben zum Personal, seiner Qualifizierung, der sozialen | |
Betreuung in den Heimen und der Bezahlung der Mitarbeiter machen. Das wurde | |
bei der Vergabe mit bis zu 70 Prozent bewertet, der Preis spielte nur noch | |
bis 30 Prozent eine Rolle. | |
## Der Fall Serco | |
Doch auch bei der Anwendung dieses Prinzips kam es offenkundig zu | |
Fehlentscheidungen. So sprach das LAF Anfang dieses Jahres [3][gegenüber | |
der Firma Serco], die in Berlin drei Flüchtlingsheime betrieb, eine | |
außerordentliche Kündigung aus. Grund soll Abrechnungsbetrug gewesen sein, | |
das LAF sprach von „vertragswidrigem Verhalten“. | |
Das Unternehmen, das zu einem der weltweit größten Rüstungskonzerne gehört | |
und über die Tochterfirmen EHC und ORS in Deutschland 120 Flüchtlingsheime | |
betreibt, hatte wohl über mehrere Wochen die Unterbringungskosten für einen | |
Mann abgerechnet, der verstorben war. Der Tod dieses Mannes war darüber | |
hinaus offenbar über Wochen unbemerkt geblieben. [4][So berichteten es | |
damals Elif Eralp, ebenso die „Tagesschau“ und die Sendung „Monitor“]. … | |
Fall zeige, sagt Eralp, wohin es führen könne, wenn Betreiber mit zu wenig | |
Personal ausgewählt werden. | |
Die Verwaltung erklärt dagegen, auch mit der Betonung auf das Kriterium der | |
Wirtschaftlichkeit würden bisher fast immer gemeinwohlorientierte Betreiber | |
ausgewählt. Es habe seither acht Vergaben gegeben, dabei habe sieben Mal | |
ein gemeinnütziges Unternehmen das wirtschaftlichste Angebot abgegeben. | |
Bei fünf Zuschlägen im Jahr 2024 nach Konzeptvergaben „wurde in allen fünf | |
Fällen der Zuschlag auf ein gemeinnütziges Unternehmen erteilt“. Davor war | |
es laut Integrationsverwaltung anders: „In 2022 und 2023 setzten sich im | |
Verhältnis häufiger nicht-gemeinnützige Unternehmen durch, auch weil diese | |
in den Qualitätskriterien regelmäßig mit ‚gut‘ oder ‚sehr gut‘ bewer… | |
worden sind“, heißt es in der Antwort. | |
Zur Frage, ob Serco gegen die außerordentliche Kündigung im Frühjahr | |
rechtlich vorgegangen ist, hüllt sich die Verwaltung von Kiziltepe in | |
Schweigen. Die Antwort legt jedoch die Vermutung nahe, dass man sich mit | |
dem Konzern weiterhin in einem Rechtsstreit befindet. „Zu laufenden | |
Verfahren nimmt der Senat keine Stellung, um die eigene Rechtsposition | |
nicht zu gefährden“, heißt es. | |
18 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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