| # taz.de -- Theaterstück „Bernarda Albas Haus“: Von der Mutter eingesperrt | |
| > Ein erschütternder, provokanter Abend über Geschlechterrollen und Gewalt: | |
| > „Bernarda Albas Haus“ am Hamburger Schauspielhaus. | |
| Bild: Alles kann nicht mal ein Gitter verhindern: Adela (Linn Reusse) und Begeh… | |
| Das wird kein netter Abend in „Bernarda Albas Haus“: Unheil grummelnd kommt | |
| die Musik daher, [1][aggressives Männergelächter] weht vorüber. „Wenn du | |
| weinen willst, kriech unter dein Bett und steck dir die Faust in den Mund. | |
| Wisch dir die Tränen ab“, sagt Mutter Bernarda – 1. Szene, 1. Satz – zu | |
| einer Tochter, da haben sie gerade den Vater beerdigt. Eine Folge: Acht | |
| Jahre lang darf keine Frau das Haus verlassen. | |
| Ihren fünf Kindern sucht die Matriarchin (Julia Wieninger) die Gefühle | |
| auszutreiben, sie von der Außenwelt abzuschotten und dabei eine Fassade | |
| absoluter Tugendhaftigkeit aufrechtzuerhalten. Dafür ist die Bühne so | |
| beeindruckend wie bedrückend hergerichtet: Sie zeigt den Querschnitt durch | |
| zwei Etagen eines Hauses und liefert in dialogischer Polyphonie vielfältige | |
| Einblicke in die Parallelhandlungen, mit denen Küche, Esszimmer, Hof und | |
| Gefängniszellen-Klausen eindrucksvoll simultan bespielt werden. | |
| Die demente Großmutter (Bettina Stucky) hat sich längst in eine eigene Welt | |
| geflüchtet und die Töchter wissen gar nicht, wohin mit ihrer Lebenslust: | |
| Sie verzehren sich nach den abwesenden Männern, posieren hinter den | |
| verschlossenen Türen dieses Treibhauses der Frustration in Unterwäsche vorm | |
| Spiegel, rasieren die Beine, rauchen, masturbieren, binden die Brust ab, | |
| daddeln mit dem Handy, tanzen. Was Bernarda auf ihren Kontrollgängen sofort | |
| verbietet. | |
| Aber wenn ein Mann am Haus vorbeispaziert, stürmen die jungen Frauen an die | |
| Fenster. Top-Projektionskörper ihres Begehrens und ihrer Fluchtträume ist | |
| Peter (Joël Schnabel): In [2][Federico Garcia Lorcas] Ursprungstext von | |
| 1936 eine Fantasiegestalt, wird daraus in Hamburg ein immer wieder aus dem | |
| Dunklen herbeischleichender Archetypus Mann von raubtierhafter Eleganz. | |
| Die autoritäre Herrschaft Bernardas wird gerne als Abrechnung mit dem | |
| rigiden Katholizismus gelesen und als Kritik an der aufziehenden | |
| faschistischen Franco-Diktatur; aber auch als hoffnungsvoller Verweis auf | |
| das notwendige Scheitern jeden Totalitarismus. Die umgangssprachlich | |
| aktualisierte, präzisierend komprimierte Neufassung von [3][Alice Birch] | |
| (2024) ist dagegen eher eine gruppenpsychologische Untersuchung von | |
| Zwangssituationen, betont das Wechselspiel von Unterdrückung und | |
| Ungehorsam. | |
| Die jungen Frauen wollen nicht nur nähen, bügeln, kochen, sie fordern | |
| Freiheit – was Bernarda mit dem Argument verweigert, sie müsse ja | |
| unnachgiebig für ihrer aller Sicherheit kämpfen. Die ineinander | |
| collagierte, sich überschneidende Konversation kommt daher beim Stichwort | |
| „Angst“ zusammen. Und da wird Regisseurin Katie Mitchell deutlich: Was bei | |
| Lorca nur angedeutet war, hier herrscht daran kein Zweifel: Bernardas | |
| Ehemann hat Tochter Angustias missbraucht, auch Bernarda selbst ist wohl | |
| Opfer ehemännlicher Gewalt. | |
| Draußen marodiert zudem [4][eine machistische Trump-Gesellschaft] und | |
| verlustiert sich in Massenvergewaltigungen. Einmal stürmt der männliche | |
| Pöbel das Haus und will eine Schutz suchende Frau lynchen, die ihr | |
| unehelich Geborenes aus Scham getötet hat. Bei Lorca stimmt die archaisch | |
| strenge Bernarda in die mörderische Hetze ein, bei Mitchell bietet sie ihr | |
| die vielleicht einzig mögliche Flucht an: den Selbstmord. | |
| Winingers Bernarda schlägt und verbrüht ihre Kinder, wenn sie nicht | |
| gehorchen, zeigt in einsamen Momenten aber auch ihre eigene Unsicherheit, | |
| ein Aufflackern von Zweifeln und wie sie leidet unter gesellschaftlichem | |
| Druck und Gewalterfahrungen. Als die jüngste Tochter Adela, eine impulsive | |
| Rebellin, lustvollen Sex mit Peter hat, der eigentlich Angustias heiraten | |
| soll, versucht Bernarda ihn zu erschießen. Adela sieht ihre Zukunft an | |
| Peters Seite getötet, begeht Selbstmord. Allgemeines Entsetzen. So endet | |
| das Stück bei Lorca und Birch. | |
| Mitchell setzt aber noch Tragik obendrauf: Da es anscheinend keinen Schutz | |
| vor Mannsbildern gibt, dafür aber das Verlangen nach ihnen, und es ferner | |
| niemandem hilft, wenn Frauen das System patriarchaler Machtausübung | |
| kopieren, gibt Bernarda Pillen [5][zum kollektiven Selbstmord] an die | |
| Töchter aus. Erschütternd ist diese Radikalisierung der Ohnmacht – aber | |
| auch ein provokanter Weckruf: Sich selbst abzuschaffen anstelle des | |
| Machismo, darf nicht die Lösung sein. | |
| 7 Dec 2024 | |
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