# taz.de -- Aufarbeitung der NSU-Mordserie: Bundestagsbeschluss auf der Kippe | |
> SPD und Grüne wollen im Kabinett den Bau eines NSU-Dokumentationszentrum | |
> beschließen. Für einen Beschluss im Bundestag kommt das wohl zu spät. | |
Bild: In Chemnitz entsteht ein vorübergehendes NSU-Dokumentationszentrum | |
Berlin taz | Es war ein Versprechen der Ampelregierung, festgeschrieben vor | |
drei Jahren im Koalitionsvertrag: Man werde die Aufklärung des NSU-Terrors | |
„energisch vorantreiben“, dafür auch ein [1][Dokumentationszentrum] | |
schaffen. Tatsächlich soll am Mittwoch im Rest-Kabinett aus SPD und Grünen | |
nun ein Gesetzentwurf für ein solches Zentrum verabschiedet werden. Für | |
einen darauf folgenden Beschluss im Bundestag aber kommt dies wohl wegen | |
der geplatzten Bundesregierung zu spät. | |
Der „[2][Nationalsozialistische Untergrund]“ hatte von 1999 bis 2011 zehn | |
Menschen ermordet und drei Sprengstoffanschläge verübt. Die Gruppe konnte | |
über Jahre unerkannt agieren, ein rechtsextremes Motiv sahen | |
Ermittlungsbehörden nicht, stattdessen wurden Opferfamilien verdächtigt. | |
Für diese ist bis heute ungeklärt, warum die Sicherheitsbehörden so | |
versagten und ob es weitere Terrorhelfer gab. | |
Mit ihrem Gesetzentwurf wollen SPD und Grüne die Einrichtung eines | |
NSU-Dokumentationszentrums zumindest noch auf den Weg bringen. Der | |
NSU-Terror sei mit Blick „auf die Fehler und Versäumnisse des Staates und | |
der Gesellschaft“ eine „Zäsur“, heißt es im Gesetzentwurf. Dies habe in… | |
Bevölkerung „Vertrauen erschüttert“. Bis heute gebe es bundesweit keinen | |
Erinnerungsort, der sich explizit mit dem NSU-Terror beschäftige. Auch sei | |
generell die Geschichte des deutschen Rechtsterrorismus nach 1945 „nach wie | |
vor nicht im kollektiven Gedächtnis verankert“. Diese „strukturelle Lücke | |
in der Erinnerungslandschaft“ solle das Dokumentationszentrum schließen. | |
Mit dem Gesetz soll eine Stiftung für das Zentrum geschaffen werden. Dieses | |
soll bis 2027 in Berlin entstehen, mit einer Dauerausstellung und einem | |
Archiv, explizit auch mit Fokus auf die Opfer. Für den Bundeshaushalt 2025 | |
waren 2 Millionen Euro für das Projekt vorgesehen, für die Jahre ab 2026 | |
dann 12 bis 15 Millionen Euro. Dazu kommen ab 2027 jährlich 15 Millionen | |
Euro für Personal und die Dauerausstellung. Daneben soll sich das Zentrum | |
auch als „Verbund“ verstehen und bundesweit weitere Orte und Initiativen | |
mit einbeziehen, die sich mit dem Thema beschäftigen. So entsteht derzeit | |
bereits in Chemnitz [3][ein vorübergehendes NSU-Dokumentationszentrum]. | |
## Erst im August legte Faeser Gesetzentwurf vor | |
Allein: Um das Gesetz noch im Bundestag zu verabschieden, kommt der | |
Kabinettsbeschluss wohl zu spät. Denn es dauerte bis zu diesem August, | |
[4][bis Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ihren Gesetzentwurf für | |
das Zentrum vorlegte]. Zuvor hatte ihr Ministerium Gutachten und eine | |
[5][Machbarkeitsstudie] eingeholt, auch Treffen mit Opferangehörigen | |
organisiert. Strittig war zudem der Standort des Zentrums, da Chemnitz eine | |
weitere Option war, die von den Angehörigen aber abgelehnt wurde. | |
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte der taz, er begrüße den bevorstehenden | |
Kabinettsbeschluss sehr. Auch er spricht beim NSU-Terror von einer „Zäsur“. | |
„Nach der furchtbaren Verbrechensserie des NSU-Trios leisten wir mit diesem | |
Vorhaben einen wichtigen Beitrag zum Gedenken an die Opfer sowie zur | |
Bearbeitung des Komplexes im Rahmen historisch-politischer Bildung.“ | |
Geht es nach Wiese, könnte das Gesetz auch noch in den letzten Sitzungen | |
des Bundestags vor der Neuwahl verabschiedet werden. „Das hängt nun von den | |
demokratischen Mehrheiten in diesem Haus ab“, so Wiese. Es liefen dazu und | |
zu anderen Vorhaben Gespräche mit der Union. Dort allerdings hatte man | |
zuletzt bekräftigt, höchstens noch „einige unaufschiebbare Vorhaben“ der | |
Regierung zu unterstützen. | |
Die Grünen-Abgeordnete Misbah Khan zeigte sich enttäuscht. „Es ist ein | |
trauriges Spiegelbild der bitteren Realität der NSU-Aufarbeitung, dass | |
dieses Gesetz durch die vorgezogenen Neuwahlen und die unklaren | |
Mehrheitsverhältnisse auf der Kippe steht“, sagte sie der taz. Khan und die | |
Grünen setzen sich seit Langem für das Dokumentationszentrum ein. | |
## Opferangehörige begrüßen den Beschluss | |
Barbara John, Ombudsfrau der Opferfamilien, sagte, die Hinterbliebenen | |
begrüßten den Kabinettsbeschluss zum Dokumentationszentrum. Sie hofften auf | |
einen zügigen Beschluss im Bundestag – wenn nicht in dieser Legislatur, | |
dann in der nächsten. „Auch 24 Jahre nach dem NSU-Mord an Enver Şimşek | |
bleibt es zentral, vor jeder Form des Rechtsterrors zu warnen und diesen | |
aufzuarbeiten“, so John. | |
Genauso wichtig sei es, für die Angehörigen, ihre physischen und | |
psychischen Folgen nach den Terrortaten im Blick zu behalten. „Die Familien | |
mussten jahrelang nach den Morden gegen die Diskriminierung durch die | |
Opfer-Täter-Umkehr der staatlichen Sicherheitsbehörden kämpfen und auch mit | |
der fehlenden Anerkennung als Terroropfer“, so John. „Auch da muss weiter | |
gehandelt werden.“ | |
26 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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