# taz.de -- Probesitzen zum Welttoilettentag: Mal müssen müssen alle mal | |
> In der Berliner Heinrich-Böll-Bibliothek geht es derzeit nicht nur um | |
> Bücher, sondern auch ums Natürlichste der Welt: den Toilettengang. | |
Bild: Das Örtchen, wie man hingeht, wenn man muss | |
Die Keramik besuchen, für kleine Königstiger gehen, die Nase pudern, die | |
Notdurft verrichten: Für den Toilettengang hat die deutsche Sprache eine | |
Vielzahl von Ausdrücken in petto, viele davon einigermaßen verdruckst. | |
„Wozu die Scham? Es betrifft jeden – jeden Tag“, sagt Annette Wagner | |
inbrünstig. | |
Annette Wagner ist Wissenschaftsjournalistin und Initiatorin des | |
Pop-up-Projekts „Ach du Scheiße!“, das anlässlich des Welttoilettentags in | |
der Heinrich-Böll-Bibliothek in Berlin-Pankow gastiert. Bis Ende November | |
ist so hier noch zwischen Romanen, Comics und Krimis allerlei | |
Toilettenkulturelles zu finden: Poduschen, Bettpfannen, Schlappen, | |
Bidetbrausen. | |
Neben der Ausstellung hat sich Annette Wagner einiges an Programm | |
vorgenommen. Mit Literatur („Kochen für den Arsch“), einem Bilderbuchkino | |
(„Oh, wer sitzt denn da auf dem Klo“) und Mitmachaktionen („Bring dein | |
Lieblingsklopapier mit“) will Wagner den Bibliotheksbesucher:innen | |
ein eigentlich – pardon – furztrockenes, aber bedeutsames Thema | |
näherbringen: das Nachhaltigkeitsziel [1][Nummer sechs] der Vereinten | |
Nationen – der Zugang zu sauberem Wasser und Sanitäreinrichtungen. | |
Denn während Menschen im globalen Norden in Zeiten von Wasser- und | |
Ressourcenknappheit gemütlich auf dem Wasserklosett thronen, haben 3,5 | |
Milliarden Menschen keinen Zugang zu sicheren Toiletten. Ohne „Ökokeule“, | |
stattdessen mit einer angemessenen Menge Fäkalhumor, möchte „Ach du | |
Scheiße!“ aufklären. | |
## Zeitung zum Testen | |
Im Erdgeschoss der Bibliothek hat Annette Wagner eine Teststation | |
aufgebaut. In kleinen Eimern überprüft sie hier verschiedenes | |
toilettentaugliches Papier auf seine Wasserlöslichkeit: Recyclingpapier, | |
Feuchttücher, extra weiches Klopapier und eine Zeitung – es ist nicht die | |
taz. | |
Auch eine Bibliotheksbesucherin, die zufällig ein Luxustoilettenpapier vom | |
Einkauf unter dem Arm trägt, stiftet eine Rolle für das | |
Klopapierexperiment. Neugierig steckt sie erst die Nase in die aufgereihten | |
Eimer, hat es dann aber doch zu eilig, um den Ausgang des Experiments | |
abzuwarten. | |
Mit einer Schöpfkelle und einem Schneebesen inspiziert Wagner die mehr und | |
weniger aufgelösten Papierrückstände. Keine Überraschung für die Expertin: | |
Die parfümierten Feuchttücher haben sich gar nicht aufgelöst – obwohl sie | |
laut Verpackung für die Toilette geeignet sein sollen. Doch auch das | |
Recyclingpapier unterwältigt etwas mit flockiger Konsistenz – im Gegensatz | |
zum fast vollständig aufgelösten Luxustoilettenpapier. | |
Toll für Bäume und Umwelt ist das Papier natürlich trotzdem nicht, zumal | |
Deutschland – kein Applaus bitte – Vizeweltmeister im Klopapierverbrauch | |
ist: 134 Rollen landen pro Person jährlich in der Toilette. Nur die | |
US-Amerikaner:innen, die sogar zu prüde sind, die Toilette toilet zu | |
nennen und stattdessen restroom sagen, übertrumpfen das noch. | |
## Spülen mit Spänen | |
Der Toilettengang sorgt aber nicht nur für mehr oder weniger aufgelöste | |
Papierreste, sondern schluckt auch je nach Modell 9 bis 14 Liter Wasser. | |
Einen Gegenentwurf zum wasserintensiven Spülklo präsentiert Wagner in Form | |
einer zusammensteckbaren Komposttoilette. „Gespült“ wird hier mit Spänen | |
statt Wasser – für Wagner ein wichtiger Schritt zu einer Wende im Umgang | |
mit Wasser. | |
Und noch eine Wende wünscht sie sich: dass Urin und Kot nicht mehr als | |
Unrat abgetan werden, sondern als Ressource, als wahlweise flüssiges oder | |
braunes Gold. Aus Urin könne man [2][hervorragenden Dünger] machen, aus Kot | |
sogar Strom. „Stell dir mal vor: den eigenen Strom scheißen“, sagt Wagner | |
sichtlich begeistert. | |
Doch diese Idee hat derzeit noch einen entscheidenden Haken: Die deutsche | |
Rechtslage verbietet bisher den Gebrauch menschlicher Exkremente – wohl | |
eher aus Tabu- als aus wissenschaftlichen Gründen. Doch solange | |
Bürger:innen und auch Politiker:innen ein Gespräch über den | |
Toilettengang peinlich berührt vermeiden, tourt Annette Wagner einfach | |
weiter mit ihren Toilettenutensilien durch deutsche Bibliotheken und reißt | |
ein paar Witze gegen die Scham. | |
25 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://unric.org/de/17ziele/sdg-6/ | |
[2] /Duenger-aus-menschlichen-Exkrementen/!6043644 | |
## AUTOREN | |
Katharina Wulff | |
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