# taz.de -- Experimental-Duo So Sner: Neues aus der traurigen Stadt | |
> Eine Bassklarinettistin und ein Elektroniker sind So Sner. Ihr neues | |
> Album „The Well“ findet eigene Pfade zwischen Komposition und | |
> Improvisation. | |
Bild: Das Duo So Sner | |
Wir hören ein rasches Schlagen, Metall auf Metall oder Glas auf Glas. Was | |
verrät der haarfeine, spitze Nachhall? Ist es doch eine Glocke? Wohl kaum, | |
denn es hämmert bei hoher Schlagzahl unentwegt. Der Takt lässt keine Zeit | |
zum Nachdenken, doch ein suchendes, an analoge Sonartöne erinnerndes | |
Geräusch und ein Knistern legen etwas Wärme über das hämmernde Stakkato. | |
Noch bevor ein Bassgeräusch die Musik grundiert, ertönt dissonantes | |
Pfeifen, ein Saxofon? Es stellt sich als Klarinette heraus. | |
Ob mir So Sner, ein Duo, bestehend aus der österreichischen | |
Bassklarinettistin Susanna Gartmayer und dem Düsseldorfer Elektroniker | |
Stefan Schneider, diese Frage stellen würden? Vielleicht nicht, betiteln | |
sie den beschriebenen Auftakt ihres zweiten Albums doch „That Welcome“ und | |
nicht „Tonstruktur 1“. | |
[1][Inmitten des Läutens, umschwirrt von vielerlei Geräuschen, erfindet die | |
Klarinette in bassiger Ruhe eine nachtschimmernd introvertierte Melodie], | |
will diese aber nicht ausarbeiten und schließt auf gespenstische Weise gar | |
für einige Momente in kreischender Hektik. Ja, die Magie des Assoziativen, | |
ließe sich süffisant lächelnd einwenden. Doch was wäre der Gewinn, die | |
Instrumentals allein als formale Explorationen zu erleben? | |
Auf die Präsenz entsprechender Fragen verweist der Pressetext zum Album | |
durchaus. Dass die Musik „konventionelle Gegensätze wie handgespielt versus | |
programmiert, Komposition versus Improvisation oder analog versus digital“ | |
hinter sich lässt, heißt es da. Es sind Fragen der Moderne, sie kursieren | |
zum Teil seit 100 Jahren. So Sner wissen darum. | |
Vorpreschen als sinnierender Gestus | |
Susanna Gartmayer studierte in Wien am Konservatorium Jazzsaxofon und wirkt | |
seitdem an diversen Schnittstellen experimenteller Musik. [2][Stefan | |
Schneider entwickelte mit Kreidler, To Roccoco Rot und solo als Mapstation | |
vielfältige Ansätze neuer Klangwelten, geboren aus der Explosion | |
elektronischer Musik in den frühen 1980ern]. Bei ihm erscheint Vorpreschen | |
jedoch stets als sinnierender Gestus in einer Suche nach Neuem. | |
Sein Gespür dafür, etwas in eine schwebende Bewegung zu versetzen, greift | |
Susanna Gartmayer auf. In „New Sad City“ ersinnt sie über dem Kreisen aus | |
zart angeschlagenem Gong und schleifenden Geräuschen einen Bolero. Sie gibt | |
den Weg vor, den die Elektronik mit ihren Mitteln alsbald aufgreift, ihn | |
umkreist, bereichernd, doch nicht verfremdend. Es entsteht eine | |
konzentrierte Reise durch Empfindungen und Impressionen. „Lost Mot“, also | |
„Verlorenes Motiv“ heißt eines der Stücke, zuerst mit gesenktem Kopf | |
versonnen wandelnd, erwartet man eher einen verlorenen Pfad – ein düsteres | |
Drama wie aus einem expressionistischen Stummfilm; doch nichts geht | |
verloren, etwas wird abgelöst, einem neuen Gedanken gleich. | |
Das Konzentrierte ist So Sners Musik zu eigen, ihre Pfade zwischen | |
Komposition und Improvisation verlieren sich nirgends in einem Potpourri | |
vertaner Chancen. Es ist eine besondere Qualität des Duos, in seinen | |
dichten Klängen Raum zum Weiterspinnen zu lassen. So erklingt darin die | |
Dynamik musikalischer Kommunikation als traumgleiche Stimmung. In seiner | |
arabischen Rhythmik erinnert „Bus Train Bus“ an jene Musik, die in späteren | |
Postpunk-Tagen in Brüssel entstand, etwa die Alben, die Klarinettist Steven | |
Brown mit dem Elektroniker Benjamin Lew aufnahm und die in der Album-Reihe | |
„Made to Measure“ aufgingen. Diese präsentierte auf dem Höhepunkt der | |
Postmoderne neue Musik, die in ihrer Souveränität den alten Fragen | |
entsagte. Komposition oder Improvisation, formal oder abbildend? Solche | |
Diskurse schienen 1984 als überkommen. Leider war dem offenbar nicht so. | |
Umso befreiender wirkt heute die Transparenz der sonischen Kammerspiele, | |
die So Sner berückend in ein mal nur sanft glimmendes, dann wieder | |
vollmondhelles Licht betten. Musik der Freiheit. | |
12 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Oliver Tepel | |
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