# taz.de -- Schlagzeugerin Sun-Mi Hong: Wie ein fließender, seidiger Stoff | |
> Schlagzeug spielen als Mädchen? Die Südkoreanerin Sun-Mi Hong musste | |
> Widerstände überwinden. Beim Jazzfest stellte sie ihr BIDA Orchestra vor. | |
Bild: Sun-Mi Hong bei einem Auftritt mit ihrem Quintett im Berliner A Trane i… | |
Es ist bereits dunkel in Seoul, als die südkoreanische Schlagzeugerin und | |
Komponistin Sun-Mi Hong zum Zoom-Interview in der Küche ihres | |
Airbnb-Studios sitzt. Sie kommt gerade von den Proben mit ihrem Quintett, | |
mit dem sie in einem Pop-Up-Space einige Konzerte spielen wird, bevor sie | |
zurück nach Amsterdam fliegt. Sieben Stunden Zeitverschiebung. Dort lebt | |
sie seit 2012 und spielt im Umfeld der frei improvisierten Musikszene. | |
Beim diesjährigen Berliner Jazzfest ist sie mit ihrem neuen Ensemble BIDA | |
Orchestra aufgetreten, das sie für ein Auftragswerk des Amsterdamer Bimhuis | |
gegründet hat. | |
Die Jazzszene in Südkorea sei eher traditionell, erzählt sie. Clubs wie | |
„Evans“ oder „All That Jazz“ im Hongdae-Viertel seien beliebt, aber Orte | |
für frei improvisierte Musik müsse man DIY organisieren, da diese Art Jazz | |
in Korea nicht üblich sei. | |
Mitgereist ist ihr langjähriger musikalischer und Lebenspartner, der | |
schottische Trompeter und Komponist Alistair Payne, den sie während ihres | |
Studiums am Konservatorium in Amsterdam kennenlernte. Bis dahin war es ein | |
weiter Weg, aus der Unfreiheit eines geschlossenen Gesellschaftssystems bis | |
hin zum Eintauchen in die freie Improvisation in Europa. | |
Sun-Mi Hong wird 1990, drei Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur, in | |
Incheon geboren, der zweitgrößten Stadt Südkoreas. Es sei eine schwierige | |
Kindheit gewesen, erinnert sie sich. „Meine Eltern haben unter der | |
politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit gelitten und 1998 folgte die | |
Finanzkrise mit vielen Entlassungen.“ | |
## Schweigen über Politik | |
Dazu kam ein großes Schweigen. „Über politische und gesellschaftliche | |
Themen wurde nicht gesprochen, es gehörte sich nicht. Mein Vater verließ | |
bei Fragen einfach den Raum.“ Sie habe sich nach ihrem Umzug in die | |
Niederlande darin üben müssen, etwas zu fragen oder sogar infrage zu | |
stellen. | |
Die Familie ihrer Mutter ist streng religiös und so verbringt sie mit ihren | |
beiden Geschwistern den Großteil ihrer Kindheit in der protestantischen | |
Kirche, singt Kirchenlieder und spielt Klavier in der Band, welche die | |
Gottesdienste begleitet. Sie möchte [1][lieber Schlagzeug spielen], die | |
Energie und Kraft des Instruments faszinieren sie, doch ihre Eltern sind | |
zunächst dagegen. | |
„Für sie gehörte es sich nicht, dass ein Mädchen Schlagzeug spielt“, | |
erzählt sie. Der Wunsch des Vaters ist, dass sie Lehrerin wird. Erst mit 17 | |
Jahren beginnt sie schließlich mit dem Schlagzeugspielen, zunächst in der | |
Kirche. | |
Sobald sie volljährig ist, spielt sie zusätzlich in einem Kasino und bei | |
Hochzeiten, um Geld für den Unterricht am Konservatorium von Seoul zu | |
verdienen. Unter der Bedingung, dass sie Musikschullehrerin werde, | |
unterstützen die Eltern schließlich ihre Ausbildung. | |
Sexismus an der Hochschule | |
Zum Jazz kommt sie durch einen Kommilitonen, der ihr Platten vorspielt. Sie | |
lernt andere kennen, die von ihrem Studium in Amsterdam erzählten, und | |
beschließt, sich ebenfalls dort zu bewerben. Auch wegen Sexismuserfahrungen | |
an ihrer Hochschule in Seoul. | |
Sie ist 19 Jahre alt und die einzige Frau in ihrer Schlagzeugklasse. „Das | |
war einer der Hauptgründe, warum ich aus Korea weggezogen bin. Ich wurde in | |
dieser Zeit sehr verletzt, also musste ich aus dem Land wegziehen. Ich | |
konnte damit nicht mehr umgehen. Die Lehrer nutzten ihre Machtposition aus | |
und auch, dass in der koreanischen Gesellschaft der Respekt vor den Älteren | |
gilt.“ | |
Ihr großes Vorbild ist der Schlagzeuger Brian Blade. „Es war die Art und | |
Weise, wie er spielt, sein Anschlag war völlig anders als das, was ich im | |
Schlagzeugunterricht gelernt hatte. Am Konservatorium in Korea hatte ich | |
einen sehr strengen Lehrer, der verlangte, dass ich wie ein Mann spiele. | |
Also nahm ich zu und machte Muskeltraining, nur um stärker zu werden und | |
das Schlagzeug richtig hart anzuschlagen. Aber als ich Brian Blade spielen | |
sah, war er einfach ganz er selbst. Er ist ein Mann, aber er spielt nicht | |
wie ein Mann. Das hat meine Sichtweise auf das Berühren oder Schlagen des | |
Schlagzeugs verändert, plötzlich gab es mehr Perspektiven auf das | |
Instrument.“ | |
Das koreanische Wort „Bidan“ | |
Für das BIDA Orchestra hat sie sechs Musiker*innen zusammengebracht, | |
mit denen sie schon lange habe spielen wollen. Darunter die dänische | |
Altsaxofonistin Mette Rasmussen und der belgische Pianist Jozef Dumoulin. | |
Der Name „BIDA“ komme von dem koreanischen Wort „Bidan“ für einen | |
fließenden, seidigen Stoff. Das sei das Bild gewesen, das sie für die Musik | |
des Ensembles habe. Die Musik beziehe sich auf ihre wiederkehrenden | |
düsteren und dystopischen Träume, noch aus der Zeit ihrer Kindheit. | |
„Für mich“, sagt sie, „ist diese Musik die Möglichkeit, mich auszudrüc… | |
und aus diesen Träumen zu flüchten. Sie ist Freiheit.“ | |
1 Nov 2024 | |
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