# taz.de -- Kesselfleisch: Bis es fast zerfällt | |
> Früher landete bestimmtes Fleisch bei Hofschlachten sofort in heißem | |
> Wasser, weil es verderblich war. Heute macht unser Wirt daraus eine | |
> Delikatesse. | |
Bild: Dazu gibt es Sauerkraut, Brot, Pfeffer und Salz | |
Zuerst hielt ich die Ofenklappe in meiner neuen Kochstelle für etwas | |
mickrig. Es passen gerade mal ein paar kleine Holzscheite hindurch. Doch | |
vor ein paar Minuten habe ich zwei nachgelegt und nun brodelt der Topf mit | |
den halben Schweinsköpfen auf einmal wie Lava. Dabei sollte er doch bloß | |
simmern. | |
Meine neue Kochstelle ist gebraucht, aber gut gepflegt. Vom Prinzip her ist | |
es ein einfacher Werkstattofen, nur in Form eines runden Zylinders, mit | |
Schamott ausgekleidet. Dort hinein passt ein Emaillekessel, größer als | |
meine Karpfenfritteuse. Er fasst sicher 100 Liter. Es gibt sogar noch | |
größere. | |
Der neue Ofen hat nur einen Zweck: Kesselfleisch zu kochen. Vor ein paar | |
Wochen habe ich es das erste Mal gegessen, bei einer Kirchweih in einem | |
zugigen Festzelt, mit Kraut, einer Scheibe Brot und einem Krug Kellerbier: | |
Herz, Zunge, Backe und etwas Bauch, alles vom Schwein, alles in einem | |
würzigen Sud so lange gekocht, [1][bis es fast zerfällt]. Ich war | |
begeistert. Kesselfleisch ist die gelebte [2][Erinnerung an Herbst- und | |
Wintertage], wenn der Metzger zur Hausschlachtung auf den Hof kam und wenig | |
später das Schwein, das man die letzten Monate gepäppelt hatte, in zwei | |
Hälften an einem Balken hing. | |
Diese Schlachtungen waren – den Fotos nach, die mir davon zugänglich sind – | |
Männersache. Es ging darum, das Fleisch für die nächsten Monate zu | |
konservieren, also Schinken und Speck einzusalzen, vor allem aber die | |
verderblichsten Teile zu verarbeiten. Die Innereien und der Kopf wanderten | |
in den großen Topf, gekocht ergaben sie mit Blut und Schwarte die Zutaten | |
für Blut- und Leberwurst, Presssack und Sülze. | |
Während die Männer an den Schlachttischen dampfende Fleischteile für die | |
Wurstfülle in kleine Stücke schnitten, war Naschen ausdrücklich erlaubt. | |
[3][Das gemeinsame Wursten] ist der Ursprung dessen, was heute | |
Kesselfleisch genannt wird. | |
## Ohne fancy Soße | |
Man muss es als Luxus empfinden, wenn man es genießen darf, ohne | |
gleichzeitig arbeiten zu müssen. Vielleicht erklärt das die puritanische | |
Darreichung. Zum Kesselfleisch gehört weder Senf noch irgendeine fancy | |
Sauce, weder Klöße noch Kartoffelsalat. Es reichen Sauerkraut, Brot, | |
Pfeffer und Salz, habe ich, der Städter, erklärt bekommen. | |
Und was, wenn nun der Städter Kesselfleisch anbietet? So stehe ich am Ofen | |
und lege diesmal nur ein Scheit Holz nach. Gleich sollen die Schweinebäuche | |
in den Sud. Ich halte mich sehr genau an den Kanon. Aus Versehen sind mir | |
in den Kessel nur ein paar getrocknete Chilis gefallen. Und ich konnte | |
nicht anders: Ich musste Apfelmeerrettich herstellen. Mal sehen, wer | |
zugreift. | |
12 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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