# taz.de -- Ausstellung „Totentanz“ in Lübeck: Wenn der Schnitter kommt | |
> Ein Dauerbrenner, unser irdisches Ende: Eine deutsch-finnische | |
> Ausstellung in Lübeck zeigt Variationen zum zerstörten „Totentanz“-Bild | |
> von 1464. | |
Bild: Durchaus düster: Tuomas Korkalo vor seinen Bildern „Solaris VI“ und … | |
Ein universelles Thema der Menschen ist [1][ihr irdisches Ende]. Besiegt | |
ist er nicht, der Tod, neue medizinische oder technische Entdeckungen sind | |
nichts als Bemühungen, diesem Ziel näher zu kommen. Der große Wunsch nach | |
der Überwindung des Todes zeigt sich nicht nur in der christlichen | |
Spiritualität in der Erwartung eines Lebens danach – und sei es in der | |
Hölle. | |
Doch erst mal müssen alle mit hinüber tanzen ins Jenseits, unabhängig vom | |
gesellschaftlichen Rang, ob Superstar oder Obdachloser, ob Geistlicher oder | |
Weltlicher. | |
Seit der „Schwarze Tod“, also die Pest, vor etwa 600 Jahren das Bewusstsein | |
für die Unentrinnbarkeit geschärft hatte, verbreitete sich das groteske | |
Motiv des künstlerischen Totentanzes, auch bekannt als „Makabertanz“, | |
französisch: „Danse macabre“; in ganz Europa sind über 100 Beispiele | |
bekannt. Bis dahin war eine populäre Darstellung des existenziellen Themas | |
der gekreuzigte Jesus gewesen, zu seinen Füßen der Schädel Adams. | |
## Der Papst geht zuerst | |
In Lübeck malte Bernt Notke 1463/64 eine der berühmtesten | |
„Totentanz“-Versionen in die St. Marien-Kirche: Auf mehr als 30 Metern | |
Lauflänge zeigen 24 lebensgroße Figuren und ein Text, in welcher | |
Reihenfolge der Tod – dargestellt als Gerippe, in ein mehr oder weniger | |
zerfetztes Tuch gehüllt – die verschiedenen Stände zum Tanz lädt, mithin | |
abholt. Den Anfang machte bei Notke – der Papst. | |
1701 malte Anton Wortmann eine Neufassung mit einigen Korrekturen in der | |
Hierarchie, entsprechend wohl sich wandelnder politischer Verhältnisse. So | |
kam etwa der Bürgermeister jetzt ein wenig eher dran mit dem Sterben. Den | |
Abschluss machte aber weiterhin das Mädchen, gefolgt nur noch von einem | |
Kind in einer Wiege. Auch die Verse wurden aus dem Mittelniederdeutschen | |
ins Hochdeutsche übersetzt. | |
Ein alliierter Bombenangriff am Palmsonntag 1942 verwandelte den Totentanz | |
in Asche, heute erinnert an ihn noch ein von Alfred Mahlau gestaltetes | |
Fenster in der Lübecker Marien-Kirche. Eine Replik von Notkes Arbeit ist in | |
Teilen in Tallinn erhalten. | |
Das Totentanz-Thema aber lebt: In diesem langsam ausgehenden „Jahr des | |
Todes“, wie es die Kuratorin und Künstlerin Heinke Both bezeichnet, gibt es | |
nun eine neue künstlerische Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit, | |
zugleich einen internationalen Austausch der Positionen zwischen | |
Kunstschaffenden aus Lübeck und Finnland. Nicht am alten Ort, der Kirche. | |
Dafür an zwei anderen Orten, der Galerie Artler in der Innenstadt und im | |
„Kettenlager“ der Kulturwerft Gollan im Industrieromantischen Lübecker | |
Hafengebiet. | |
Zusammen ausgestellt werden jetzt Arbeiten der siebenköpfigen Artists Group | |
„Immortal“ aus Finnland sowie von 18 Mitgliedern der [2][„Gemeinschaft | |
Lübecker Künstlerinnen und Künstler“]. Das Alter der Beteiligten bewegt | |
sich zwischen Ende 30 und 84 Jahren, ihre Ansätze sind divers, äußern sich | |
in Malerei, Mosaik, Installation, Drucktechnik, Plastik, Videokunst und, | |
ja: auch Tanz. | |
Angesichts der materiellen Diskrepanz – Müllrecycling statt Malerei – ist | |
etwa eine Serie von Stephan Schlippe strukturell überraschend nah an Notkes | |
Original-Werk: Die Reihenfolge zu Stühlen umgebogenen Sektverschlüsse | |
entspricht grob dessen Stände-Reigen. „Die silbernen sind die Toten“, | |
erläutert der Lübecker Mit-Kurator sein Werk. Heinke Both lässt Stoff- und | |
Papiertaschentücher erstarren, indem sie sie in Gips tränkt. Sind da nicht | |
noch tödliche Viren drin? Gleicht der Faltenwurf nicht den Leinentüchern | |
des Schnitters, also den Leichentüchern? | |
Ambivalenz wohnt dem Selbstportrait von Sebastian Schröder inne, der sich | |
als Heiliger Sebastian zeigt. Mit Abstand hat es die Anmutung eines | |
Renaissance-Gemäldes, mit Attributen wie dem schwarzweißen | |
Schachbrettboden, dunklen Hintergrund und einem Heiligenschein. Bei näherem | |
Hinsehen offenbaren sich eine billige Papierrosette, ein Ficus Benjamini im | |
Kunststofftopf und der Tanzboden der Disco „Ziegelei“ in Groß Weeden, wo | |
das Bild entstand. Und wir sehen, dass sich der junge Mann eine Spritze | |
gibt. | |
Zur Gruppe Immortals, deren Kernthema der Tod ist, gehören Ulla Remes, | |
Anna-Maija Rissanen, Susanne Stiegler, Jouko Alapartanen, Tuomas Korkalo, | |
Olavi Fellmann. Gegründet haben sie sich 2017, die Inspiration zur | |
jenseitigen Materie kam von dem Sammler und Kunsthistoriker Paul Firnhaber, | |
damals selbst Mitglied der „Unsterblichen“. | |
## Schwarze Löcher in der Wiese | |
Der Maler Mika Vesalahti reflektiert den Tod nun in einer [3][Petersburger | |
Hängung] von über 200 kleinen Zeichnungen, Collagen und Foto-Übermalungen. | |
Da lassen sich neben dem vorherrschenden ikonischen Motiv des Schädels auch | |
andere Darstellungen des Verschwindens entdecken, zum Beispiel schwarze | |
Löcher in der Wiese. Wichtig sind die Rahmen: Ironisch kommentieren sie den | |
Inhalt, kitschig trifft auf böse, harmlos auf brutal. Wir erschauern und | |
haben gleichzeitig Spaß. Lachen hat sich bewährt beim Blick aufs Ende. | |
Susanne Stiegler wiederum parodiert Hostien: von glitzerndem Tand umhüllte | |
Körperteile angeblicher Heiliger. Diese Arbeiten wurden in Eile nach Lübeck | |
gebracht, aus dem polnischen Krakau kommend, aus einer Ausstellung, die | |
abgesagt wurde. Dass das wegen des Vorwurfs der Blasphemie geschah, wäre | |
wunderbar stimmig, der Grund aber war ein viel profanerer: ein | |
Wasserschaden. | |
27 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Sterben/!t5018299 | |
[2] https://gemeinschaft-luebecker-kuenstler.de/ | |
[3] /Kasper-Koenigs-Kunstsammlung-versteigert/!6038219 | |
## AUTOREN | |
Imke Staats | |
## TAGS | |
Tod | |
Sterben | |
Glaube | |
Lübeck | |
Ausstellung | |
Berlin Ausstellung | |
Lübeck | |
Friedhof | |
Kolumne Großraumdisco | |
Kirche | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Martin Assig in der St.-Matthäus-Kirche: Zwischen hier und dort | |
Bilder stellen Fragen in der Ausstellung „Gottweißwo“ von Martin Assig in | |
der St.-Matthäus-Kirche. Sie ist eine farbenfrohe Ermutigung zur | |
Zuversicht. | |
Ehrenpreis für Kati Outinen: Sie gibt Aki Kaurismäkis Filmen ein Gesicht | |
Kati Outinen wurde am Donnerstag bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck | |
ausgezeichnet. Sechs ihrer Filme werden dort aktuell gezeigt. | |
Kunst auf Friedrichshainer Friedhof: Gestickte Poesie rund um den Tod | |
Das „Deadly Matters Kollektiv“ regt mit Installationen auf einem Friedhof | |
zum Nachdenken über Leben, Sterben und Tod an. Ein kleiner Rundgang. | |
Ausstellung über Untote: Offene Rechnung mit den Lebenden | |
Von heutigem Unterhaltungsgrusel der Zombies bis zur existenziellen Angst | |
christlicher Eltern: Eine Ausstellung in Stade spürt dem Untoten nach. | |
Ausstellung über Waren und Kirche: Glaubst du noch oder kaufst du schon? | |
In Lübeck konfrontiert Christian Jankowski mit der Kunstaktion „Heilige | |
Geschäfte“ Warenwelt und kirchlichen Wahrheitsanspruch. |