# taz.de -- Die Kunst der Woche: Im Haus der Farbenlehre | |
> Das Mies van der Rohe Haus zeigt in seinen Räumen Collagen aus Farbtafeln | |
> und monochrome Malereien von Andreas Barth. Ein Fest für die Augen. | |
Bild: Farbtafel trifft auf Tageslicht: Blick in die Ausstellung von Andreas Bar… | |
Sprechen wir von Farbenfreude. Nichts anderes herrscht gerade im [1][Mies | |
van der Rohe Haus] und um das Mies van der Rohe Haus herum. Da sind | |
zunächst die Bäume im Garten, die sich langsam in Orange-, Gelb- und | |
Rottönen zu sehen geben. Unter ihnen das Gras, das in der Herbstsonne | |
saftig hellgrün aufscheint. Der Blick auf das dahinter schimmernde Wasser | |
des Obersees beruhigt die Sinne, so als ob sie nach langer Überreizung | |
endlich wieder wahrnehmungsfähig sind. | |
Und kaum öffnet sich auf diese Weise der Blick, regt eine Gruppe Kraniche | |
am klaren Himmel eben diese Sinne auf ganz neue Weise an, so wie sich die | |
Vögel, die dort oben als Umrisse erscheinen, in ungewohnt großer Zahl und | |
in wilden Formationen auf die Baumwipfel zuzubewegen scheinen, nur um im | |
letzten Moment wieder in die Höhe zu steigen. | |
Schöner könnte ein Ankommen nicht sein. Zumal zur Einstimmung auf die | |
Ausstellung von Andreas Barth sogar die sanft eingefassten Fenster des | |
Baus, die bis zum Boden reichen, zu einer zweiten, subtilen Rahmung für die | |
Bilder und Collagen werden, die der Künstler in seiner Ausstellung zeigt. | |
Im ersten Raum sind farbenreiche Kompositionen zu sehen, für die Barth | |
Farbkarten arrangiert, die er seit vielen Jahren sammelt. In immer neuer | |
Dichte und Anzahl tummeln sich diese Farbkarten in gedeckten Tönen hinter | |
Glas, sie treten als Serien in Vierer- und Zweiergruppen auf, in Form von | |
größeren und kleineren Rechtecken und Quadraten – oder als Einzelbild, in | |
dem die Karten, in die Horizontale gestreckt, zusammenkommen. | |
An der Kopfwand finden hier je zwei Bildpaare mit vertikal angeordneten | |
Rechtecken zu einer Vierergruppe zusammen. Die zwei oberen Arbeiten von | |
2022 tragen den Titel „Nu-Hue Custom Color“, die beiden Bilder von 2011 | |
darunter sind mit „Nu-Hue Custom Color N.Y.“ betitelt. Der feine | |
Unterschied im Namen mutet so subtil an wie die Perforationen, die beim | |
Herantreten an die Bilder zum Vorschein treten. Sie unterteilen jedes der | |
20 Rechtecke, die sich je in einem der vier Rahmen befinden, in wiederum 15 | |
kleinere Rechtecke, sodass wir es am Ende mit 300 Elementen zu tun haben | |
oder – in der Gruppe der Vier gesprochen – mit ganzen 1.200 Farbräumen. | |
Eine kleine Recherche zur „Nu-Hue Custom Color“ führt zur Firma | |
Martin-Senour, die sich seit 1928 auf Autolacke und Farbmischungen für | |
Industrie und Haushalt spezialisiert. Auf Ebay-USA sind Werbeanzeigen der | |
Firma zu erstehen. Eine der Anzeigen stellt die wunderbare Frage „Was | |
meinen Sie mit ‚ROT‘…“ und kommt dabei ganz ohne Fragezeichen aus – k… | |
Rot doch, so steht es darunter, knallig und vibrierend sein, sanft und warm | |
oder hell und delikat. | |
Bei anderen Arbeiten wiederholt sich der Effekt der Unterteilung, jedoch | |
sind es hier keine Vorstanzungen, die die Weitergabe der Farbproben an | |
Kund:innen – oder Künstler:innen – antizipiert, sondern verschiedene | |
Oberflächen, die den gleichen Farbton unterschiedlich erscheinen lassen, je | |
nachdem ob sie matt belassen oder glänzend versiegelt sind. | |
Es sind diese Nuancen und Feinheiten in Tonalität und Stimmung, die Barth | |
mit seinen minimalistischen Arbeiten ertastet. Zum einen über das | |
beschriebene Arrangement von Farbkarten, die im Raum auch in Kästen und zu | |
Farbfächern ausgebreitet ausliegen – mal industriellen, mal pädagogischen | |
Ursprungs – und so auch noch einmal in dem verheißungsvollen Zustand | |
erfahrbar werden, den sie bereits im Stadium des Displays beziehungsweise | |
des Eintauchens in Farbenlehre in sich tragen. | |
Zum anderen taucht Barth in eigene Farbfindungsprozesse ein, wenn er für | |
seine monochromen Gemälde Leinwände mit Acrylfarbe überzieht, wobei ihm, | |
sobald der Farbton im Baumarkt bestellt und angemischt ist, ein Farbroller | |
ausreicht. Bereits bei der Eingangstür des Hauses hängen zwei dieser | |
Bilder, die die Farbkarten ins Überdimensionale zu übertragen scheinen. Und | |
damit auch nicht dicht an dicht gehängt werden, sondern frei in den Raum. | |
Im hinteren Bereich birgt die Ausstellung einen weiteren konzeptuellen | |
Clou. Auf einem Tisch ausgebreitet, spiegeln Glastabletts der Firma | |
Rufra-Wasungen aus der Designsammlung Podlasly das Spiel mit | |
wiederkehrenden Formen und Farben, die individuell kombiniert unendliche | |
Variationen freisetzen. | |
In den Fensterscheiben spiegelt sich derweil das Laub der Bäume aus dem | |
Garten, es fällt als Schatten auf vier Acrylgemälde von Barth an der Wand, | |
die in klarem Grau-Grün, sanftem Himmelblau, vibrierendem Orange (oder etwa | |
Rot?) und hellstem Grau zusammenhängen. Ganz so als sei man, von der Reise | |
verändert, wieder zum Anfang zurückgekehrt. | |
13 Nov 2024 | |
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[1] /Keramik-im-Mies-van-der-Rohe-Haus/!5951623 | |
## AUTOREN | |
Noemi Molitor | |
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