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# taz.de -- Friedensnobelpreis 2024: Sie sind keine Opfer geblieben
> Überlebende der Atombomben-Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki von 1945
> wurden jahrelang stigmatisiert. Jetzt wird ihr Engagement ausgezeichnet.
Bild: Neue Formen der Erinnerung:Im Hiroshima Peace Memorial Museum kann man ei…
Tokio taz | Die Stimmen der Hibakusha, der Überlebenden der Atombomben von
Hiroshima und Nagasaki 1945, sind zuletzt immer weniger und immer leiser
geworden. Die meisten von ihnen wurden als Babys oder Kinder verstrahlt und
sind heute im Durchschnitt 87 Jahre alt. Vielen fehlt die Kraft, die
Zeitzeugenarbeit fortzusetzen. Auch die Spitze von Nihon Hidankyo, dem
Japanischen Verband der Atombomben- und Wasserstoffbomben-Opfer, bilden
über 80-Jährige.
Nun hat das norwegische Nobelkomitee Nihon Hidankyo den Friedensnobelpreis
zugesprochen und damit Japans wichtigstes Sprachrohr der Hibakusha
gewürdigt. Die Basisbewegung bekommt die Auszeichnung „für ihre Bemühungen
um eine Welt ohne Atomwaffen und für den durch Zeugenaussagen belegten
Nachweis, dass Atomwaffen nie wieder eingesetzt werden dürfen“. Eines Tages
würden die Hibakusha nicht mehr unter uns sein. „Aber mit einer starken
Erinnerungskultur und anhaltendem Engagement tragen neue Generationen in
Japan die Erfahrungen und die Botschaft der Zeugen weiter.“
Der Co-Vorsitzende von Nihon Hidankyo, Toshiyuki Mimaki, warcgerade im
Rathaus von Hiroshima, als ihn die Nachricht von der Preisverleihung
erreichte. Auf einer spontanen Pressekonferenz brach der 82-Jährige dann in
Tränen aus. „Bitte schafft die Atomwaffen ab, solange wir noch leben“,
sagte der 82-Jährige auf die Frage, was er den Menschen auf der ganzen Welt
vermitteln wolle. „Das ist der Wunsch von 114.000 Hibakusha.“
Erneut wollte das Friedensnobelpreiskomitee mit seiner Entscheidung auch
eine politische Aussage treffen. „Es ist ganz klar, dass die Drohung mit
dem Einsatz von Atomwaffen Druck auf das Tabu des Einsatzes von Atomwaffen
ausübt“, antwortete Komitee-Chef Jørgen Watne Frydnes im norwegischen Oslo
auf die Frage, ob die Rhetorik Russlands in Bezug auf Atomwaffen die
diesjährige Entscheidung beeinflusst habe.
## Eine politische Entscheidung
„Die Aufrechterhaltung eines starken internationalen Tabus gegen den
Einsatz ist für die gesamte Menschheit von entscheidender Bedeutung“, sagte
Frydnes. Henrik Urdal, der Direktor des Friedensforschungsinstituts Oslo,
erklärte, dass die Verleihung des Preises an Nihon Hidankyo „zu einem
entscheidenden Zeitpunkt“ erfolge. Einige Länder würden ihre
Atomwaffenarsenale weiter modernisieren, und die Gefahr eines Einsatzes
durch traditionelle und aufstrebende Atommächte nehme derzeit alarmierend
zu, sagte Urdal in Hinblick auf Russland und die Atomwaffenprogramme von
Iran und Nordkorea.
Der Preis für Nihon Hidankyo solle alle Überlebenden ehren, die sich trotz
körperlicher Leiden und schmerzhafter Erinnerungen dafür entschieden haben,
ihre Erfahrungen zu nutzen, um Hoffnung und Engagement für den Frieden zu
fördern, teilte das Nobelpreiskomitee mit. Seit fast 80 Jahren ist keine
Atomwaffe mehr in einem Krieg eingesetzt worden, das sei ein Erfolg. Die
japanischen Zeitzeugen hätten mit ihren persönlichen Geschichten dazu
beigetragen, eine breite Opposition gegen Atomwaffen auf der ganzen Welt zu
schaffen und zu festigen. „Die Hibakusha helfen uns, das Unbeschreibliche
zu beschreiben, das Undenkbare zu denken“, heißt es in der Begründung.
Zu ihnen gehört auch Sunao Tsuboi, ein früherer Co-Vorsitzender von Nihon
Hidankyo. Er war 20 Jahre alt, als er bei der Explosion über Hiroshima am
6. August 1945 so schwere Verbrennungen erlitt, dass er einen Teil seines
Ohres verlor. 40 Tage lang blieb er bewusstlos. Danach war er so schwach
und vernarbt, dass er erst einmal üben musste, auf dem Boden zu kriechen.
„Sie wollten uns töten, daran gibt es keinen Zweifel“, sagte Tsuboi 2013.
Als Lehrer an einer Mittelschule bemühte sich Tsuboi so sehr darum, seine
Schüler über die verheerende Wirkung von Atomwaffen aufzuklären, dass sie
ihm den Spitznamen „Pikadon Sensei“ verpassten, eine Kombination aus der
japanischen Lautmalerei für „Blitz-Donner“, die zur Beschreibung der Bombe
verwendet wird, und dem Wort für „Lehrer“. Als Barack Obama 2016 als erster
amtierender US-Präsident Hiroshima besuchte, hielt Tsuboi lange dessen Hand
und lachte gemeinsam mit ihm. „Ich denke, er ist ein so aufrichtiger Mensch
oder hat das Herz, mit anderen mitzufühlen“, sagte er über Obama. 2021
starb Sunao Tsuboi im Alter von 96 Jahren.
## Jahrelange Ausgrenzung
Sein Verband, Nihon Hidankyo, war elf Jahre nach dem Abwurf der Atombomben
auf Hiroshima und Nagasaki entstanden, um die soziale Stigmatisierung der
Hibakusha zu bekämpfen. Die Regierungen in den USA und in Japan hatten die
verheerenden gesundheitlichen Auswirkungen der Explosionen lange Zeit
geheimgehalten. „Bis 1952 blieb Japan von den USA besetzt“, erzählte der
langjährige Hidankyo-Generalsekretär Terumi Tanaka anlässlich des [1][75.
Jahrestags der Bomben der taz]. „Kein Überlebender konnte daher über die
Erfahrung der Bombe und die Folgen sprechen. Viele waren krank, viele
starben. Es gab spezielle Krankenhäuser. Aber die Ärzte verstanden die
Ursache nicht und konnten die Menschen nicht heilen. Alle Überlebenden
hatten große Angst, selbst krank zu werden und zu sterben.“
Aufgrund ihrer Unkenntnis fürchteten die übrigen Japaner damals, sich mit
der Strahlenkrankheit anzustecken.
Mit der Zeit setzte sich Nihon Hidankyo nicht nur für die Anerkennung des
Leids der Opfer ein, sondern forderte auch immer deutlicher die weltweite
Abschaffung aller Atomwaffen. Damit brachte man die eigene Regierung in
Verlegenheit. Denn Japan verfolgt die etwas paradoxe Politik, einerseits
die weltweite Abschaffung von Atomwaffen zu fordern und sich andererseits
auf den nuklearen Schutzschirm der US-Streitkräfte zu verlassen. Zudem
verschafften die Atombombenabwürfe Japans Nationalisten die Gelegenheit,
ihr Land als Opfer darzustellen, obwohl es damals selbst einen
Angriffskrieg geführt hatte.
## Chance den Kurs zu ändern
Während der Gedenkfeierlichkeiten im Friedenspark von Hiroshima zum 75.
Jahrestag der Bomben konfrontierten sechs Mitglieder von Nihon Hidankyo den
damaligen Premierminister Shinzo Abe mit seiner Ablehnung des
Atomwaffenverbotsvertrags. „Könnten Sie auf unsere Bitte eingehen, den
Vertrag zu unterzeichnen?“, forderte damals Toshiyuki Mimaki. Der Gedenktag
sei eine Chance, diesen Kurs zu ändern. Doch Shinzo Abe verwies auf einen
„anderen Ansatz“, um Atomwaffen abzuschaffen. Daran hat sich bisher auch
unter seinen drei Nachfolgern nichts geändert.
Der Friedensnobelpreis an Japans Hibakusha ist nicht der erste, der
Anstrengungen für die Abschaffung von Atomwaffen würdigt. Im Jahr 1995
wurden die „[2][Pugwash Conferences on Science and World Affairs]“
ausgezeichnet. Und [3][2017 erhielt die Internationale Kampagne zur
Abschaffung von Atomwaffen] (Ican) den Preis.
„Die Verleihung an Nihon Hidankyo ist eine wichtige Würdigung, gerade in
einer Zeit, in der das Risiko eines Atomkriegs so hoch ist wie schon lange
nicht mehr“, erklärte am Freitag Florian Eblenkamp von der deutschen
Ican-Sektion.
11 Oct 2024
## LINKS
[1] /Atombombenabwurf-in-Japan/!5700243
[2] /Nobles-Signal-an-alle-Atom-Junkies/!1488978/
[3] /Kommentar-Friedensnobelpreis-2017/!5452925
## AUTOREN
Martin Fritz
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