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# taz.de -- Kissinger und Unseld als Freunde: Macht und Bewunderung
> Willi Winkler porträtiert die Freundschaft zwischen Henry Kissinger und
> Siegfried Unseld. Sogar der Vietnamkrieg brachte sie nicht auseinander.
Bild: Henry Kissinger (l.), ein Freund der Literatur und befreundet mit Siegfri…
Für Linke in aller Welt zählte er seit Ende der 1960er Jahre zu den
Lieblingsfeinden: [1][Henry Kissinger], deutscher Jude, US-amerikanischer
Außenminister, verantwortlich für die völkerrechtswidrige Bombardierung
Kambodschas, Realpolitiker und Kriegsverbrecher; vergangenes Jahr im Alter
von 101 Jahren verstorben.
Willi Winkler, der unermüdliche SZ-Feuilletonist und Buchautor, zeigt jetzt
einen anderen, unbekannten Kissinger; den Freund deutschsprachiger
Literatur, der Max Frisch schätzte und Ingeborg Bachmann bewunderte, der
Verbindungen mit westdeutschen Journalisten wie Rudolf Augstein und Marion
Dönhoff aufnahm.
Es begann damit, dass Kissinger 1955 [2][Siegfried Unseld] nach Harvard
einlud, zu einem „International Seminar“. Unseld war damals die rechte Hand
von Peter Suhrkamp in dessen gleichnamigem Frankfurter Verlag. Er und
andere junge Westdeutsche sollten für USA und ihren American Way of Life
gewonnen werden, für die transatlantische Freundschaft, den freien Westen.
Sechs Wochen konnten sie in der Neuen Welt dem provinziellen Mief der BRD
entkommen.
Nach dem späteren Suhrkamp-Chef wurden Schriftsteller der Gruppe 47
eingeladen wie Martin Walser, Uwe Johnson oder Walter Höllerer; und
Journalisten, zum Beispiel der spätere Zeit-Chefredakteur Theo Sommer und
Günter Gaus, der es zum Chefredakteur des Spiegel brachte.
Willi Winkler hat seiner Studie den Untertitel „Die Freundschaft zweier
Überlebender“ gegeben. Heinz Alfred Kissinger, 1923 in Fürth geboren, floh
im August 1938 mit seiner Familie nach New York und entkam so dem
Holocaust, dem mindestens 13 seiner Verwandten zum Opfer fielen. Er wurde
mit 19 zur U. S. Army einberufen, marschierte mit den alliierten Truppen in
die Normandie ein, wurde Besatzungsoffizier in Deutschland und
unterrichtete US-Geheimdienstmitarbeiter in deutscher Geschichte. Dann
studierte er an der Harvard University.
## Acht Stunden im Schwarzen Meer geschwommen
Siegfried Unseld, 1924 in Ulm geboren, dessen hundertster Geburtstag das
hiesige Feuilleton gerade befeierte, war Sohn eines SA-Sturmführers, der
bei der Brandschatzung von Synagogen in der Reichspogromnacht eine führende
Rolle spielte. Sohn Siegfried wurde Fähnleinführer bei der Hitlerjugend,
ging nach dem Abitur als Funker zur Marine.
Den Russen entkam er nur, weil er acht Stunden schwimmend im Schwarzen Meer
durchhielt, bis ihn ein deutsches Schiff auffischte. Er machte eine Lehre
bei einem Verlag, studierte in Tübingen, hofierte den Schriftsteller und
Nobelpreisträger Hermann Hesse, über den er 1951 promovierte, und fing beim
Suhrkamp Verlag an.
Kissinger promovierte 1954, wurde in Harvard Professor, aber forschte auch
für die U. S. Army in Sachen psychologischer Kriegsführung. Ihn zog die
Macht an. Es gelang ihm nicht, bei den demokratischen Präsidenten Kennedy
und Johnson anzudocken, aber bei dem Republikaner Richard Nixon, der ihn
1968 zu seinem Nationalen Sicherheitsberater ernannte. Als solcher zog er
die Strippen bei dem Putsch gegen Salvator Allende in Chile.
Gleichzeitig machte er Entspannungspolitik, reiste klandestin nach China,
um den Besuch Richard Nixons vorzubereiten, und führte in einem Pariser
Vorort die Geheimverhandlungen mit der kommunistischen Regierung
Nordvietnams.
## Zum Lunch ins Weiße Haus
Der Krieg in Vietnam war es, der die Freundschaft mit der Suhrkamp-Boygroup
stark abkühlen ließ. Uwe Johnson, Peter Weiss, Hans Magnus Enzensberger,
Max Frisch, Martin Walser und andere wandten sich öffentlich gegen den
Krieg der USA in Vietnam, den Kissinger zusammen mit Richard Nixon
beendete, nicht ohne ihn vorher noch zu eskalieren.
Die Entfremdung zeigte sich Anfang Mai 1970, als der Nationale
Sicherheitsberater Kissinger seinen Freund Unseld, den Suhrkamp-Star-Autor
Max Frisch und dessen Frau zum Lunch ins Weiße Haus einlud. Während sie
plauderten, wurde Kissinger ans Telefon gerufen; Präsident Nixon war dran.
Wie Willi Winkler jetzt ermittelt hat, wollte Nixon die Lage nach dem
illegalen Einmarsch von US-Truppen in Kambodscha besprechen und sagte:
„Bomb what is necessary!“ Max Frisch veröffentlichte später den kritischen
Blick auf Kissinger in seinem Tagebuch.
Unseld bleibt hingegen Kissinger in Bewunderung treu, dennoch scheitert der
Verleger an einem Punkt. Die deutsche Übersetzung seiner Memoiren
veröffentlicht Kissinger 1979 nicht bei Suhrkamp, sondern beim
Bertelsmann-Konzern. Da war das Bankkonto doch näher als die
transatlantische Freundschaft.
23 Oct 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Michael Sontheimer
## TAGS
Suhrkamp Verlag
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