| # taz.de -- Güllekrise in den Niederlanden: Rechte Güllepolitik | |
| > Die rechte Regierung der Niederlande will viele Umweltauflagen für die | |
| > Landwirtschaft abschwächen. Das gelingt ihr nicht immer. | |
| Bild: Fressen friedlich Gras, aber machen auch viel Mist: Vor allem durch Kühe… | |
| Amsterdam taz | Der Beschluss des [1][niederländischen] Parlaments in Den | |
| Haag überraschte: Mit einer breiten Mehrheit nahm die Tweede Kamer in der | |
| vergangenen Woche ein neues Güllegesetz an, das den Nutzviehbestand | |
| deutlich verringern dürfte. Ziel ist es, den enormen Überschuss an Harn und | |
| Kot landwirtschaftlich genutzter Schweine und Rinder zu senken. | |
| Nach Berechnungen des Niederländischen Zentrums für Gülleverwertung (NCM) | |
| würde sich dieser Überschuss bis 2026 verfünffachen, wenn sich nichts | |
| ändert. 400.000 Tankwagenladungen müssten dann entweder exportiert oder | |
| professionell und kostspielig verarbeitet werden. | |
| Bemerkenswert daran ist, dass die Novelle ausgerechnet von | |
| Landwirtschaftsministerin Femke Wiersma stammt, die der agrarnahen | |
| BoerBurgerBeweging (BBB) angehört. Der Aufstieg der 2019 gegründeten Partei | |
| vollzog sich [2][vor dem Hintergrund der monatelangen | |
| Bäuer*innenproteste 2022], die sich gegen Umweltauflagen richteten und | |
| auch im Rest der Bevölkerung Rückhalt fanden. | |
| Seit dem Sommer ist die BBB als Juniorpartnerin [3][Teil einer | |
| Rechtsregierung in Den Haag], gemeinsam mit der identitären Partij voor de | |
| Vrijheid (PVV), der liberal-rechten Volkspartij voor Vrijheid en Democratie | |
| (VVD) und dem konservativen Nieuw Sociaal Contract (NSC). | |
| ## Weniger Tiere nach Gutsverkäufen | |
| Mit dem Gesetz hält die Regierung an der Absicht ihrer Vorgängerin fest, | |
| den Viehbestand deutlich zu verkleinern. Dadurch sollen die Emissionen von | |
| Stickstoff und Phosphat gesenkt werden, die sich in der Gülle verstecken. | |
| Notfalls enteignet werden sollen landwirtschaftliche Betriebe mit hohem | |
| Stickstoffausstoß jedoch nicht mehr. | |
| Vorgesehen ist stattdessen, dass die Höchstzahl der zugelassenen Tiere | |
| spürbar sinkt, wenn ein Betrieb außerhalb der Familie verkauft wird: 30 | |
| Prozent weniger sind es bei Kühen, 22 Prozent bei Schweinen, 13 Prozent bei | |
| Hühnern. Gerade von Landwirten mit hohem Schweine- oder Geflügelbestand gab | |
| es deshalb Kritik: Der Stickstoff- und Phosphatüberschuss ist vor allem ein | |
| Problem der Rinderhaltung. | |
| Die Branchenvertretung LTO Nederland gab sich entsprechend „verärgert“ üb… | |
| das Vorhaben und verwies auf einen eigenen „Gülleplan“ samt | |
| „einschneidender Maßnahmen“. Diesen habe die LTO schon zu Jahresbeginn | |
| Wiersmas Vorgänger Piet Adema präsentiert, hieß es. Entscheidendes Element | |
| sei, dass „alle Maßnahmen, die der Sektor unternehmen kann und will, | |
| untrennbar mit der Verlängerung der Derogation und verbesserten | |
| Möglichkeiten der Gülleverarbeitung zusammenhängen“. | |
| Mit „Derogation“ ist die europäische Ausnahmeregelung gemeint, wonach | |
| niederländische Bäuer*innen bisher mehr Gülle ausbringen dürfen als ihre | |
| Kolleg*innen in anderen Mitgliedstaten. Diese Ausnahme läuft 2026 aus. | |
| Fortan muss sich auch Den Haag an die Nitrat- und die | |
| Wasserrahmenrichtlinie der EU-Kommission halten. Dass sie sich durch den | |
| EU-Rahmen gebunden fühlt, betonte Ministerin Wiersma bereits im Vorfeld der | |
| Abstimmung. | |
| ## „Mit der Faust auf den Tisch schlagen“ | |
| Auch Caroline van der Plas, BBB-Gründerin und Galionsfigur, betonte, ohne | |
| Eingriffe drohe wegen der Auflagen „aus Brüssel“ ein „erzwungenes | |
| Schrumpfen des gesamten Viehbestands“. „Das will ich nicht auf meinem | |
| Gewissen haben.“ | |
| Damit scheint die Partei mit der Regierungsverantwortung auch in der | |
| Realpolitik angekommen zu sein – noch vor nicht allzu langer Zeit hatte die | |
| BBB den Wähler*innen versprochen, man werde in Brüssel „mit der Faust | |
| auf den Tisch schlagen“. | |
| In anderen Punkten dagegen wird unmissverständlich deutlich, dass die | |
| demonstrative Nähe der Regierung zu Bäuerinnen und Fischern – diese werden | |
| beispielsweise im Koalitionsvertrag als Garant*innen der | |
| Nahrungsmittelsicherheit gerühmt – nicht nur Worte sind. | |
| So sorgte Wiersma, die offiziell Ministerin für Landwirtschaft, Fischerei, | |
| Nahrungsmittelsicherheit und Natur ist, Anfang September für Aufsehen: | |
| Kurzerhand erklärte sie das bisherige Programm, mit dem jede Provinz selbst | |
| für eine Reduzierung ihrer Stickstoffemissionen sorgen sollte, für beendet. | |
| Dieser Schritt passt dazu, dass die Regierung erklärt hat, sie wolle in der | |
| Agrarpolitik grundsätzlich eine Wende hin zu den Landwirt*innen | |
| vollziehen. Nicht nur, weil diese die erklärte Klientel der BBB sind, | |
| sondern auch, weil an ihnen beispielhaft gezeigt werden soll, dass die | |
| Politik den von ihr Entfremdeten und Enttäuschten wieder zuhöre. | |
| Schon in ihrem ersten Konzept in Frühsommer kündigte die Koalition an, sie | |
| wolle dem Sektor Raum für eigene Modelle geben, um das langwierige | |
| Stickstoffproblem des Landes ohne „Regel-Überdruck“ zu lösen. | |
| ## Greenpeace zieht vor Gericht | |
| Staatssekretär Jean Rummenie spricht von einem „neuen Kurs“, bei dem | |
| „Nahrungsmittelsicherheit oben steht“ und „Innovation eine zentrale Rolle | |
| spielt“. Den Mitte September präsentierten Plänen des Kabinetts zufolge | |
| sollen Bäuer*innen künftig nach eigenem Gutdünken zu Naturerhaltung und | |
| Biodiversität beitragen. | |
| Die Regierung will solche Initiativen mit einmalig fünf und danach jährlich | |
| mit je einer halben Milliarde Euro stimulieren. Was mit dem | |
| „Regel-Überdruck“ gemeint ist, steht außer Frage: Umweltstandards, die im | |
| Duktus des Kabinetts unternehmerische Initiative einschränken und durch | |
| „Auferlegen von Maßnahmen“ die Nahrungsmittelsicherheit gefährden. | |
| Für Umweltschutzorganisationen ist dieser Schwenk Anlass zur Besorgnis – | |
| und zum Handeln. So sammelte Greenpeace mehr als 100.000 Unterschriften für | |
| eine nachhaltigere Landwirtschaft und übergab sie Anfang Oktober der | |
| zuständigen Parlamentskommission. | |
| Zudem reichte die Organisation am Gerichtshof Den Haag Klage gegen die | |
| Regierung ein, die sich zu wenig für die Stickstoffreduzierung einsetze. | |
| „Es ist keinerlei Fortschritt zu sehen“, zitierte der TV-Sender BNN VARA | |
| Greenpeace-Direktorin Marieke Vellekoop. Am 12. November wird die | |
| Verhandlung eröffnet. | |
| 22 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Müller | |
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