Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Umweltverschmutzung an der Nordsee: Chemikalien-Alarm am Strand
> In den Niederlanden gibt es Aufregung um PFAS im Meeresschaum. Die
> Verschmutzung verweist auf das größere Problem der Chemikalien-Belastung
> im Alltag.
Bild: Die Behörden raten: Beim Meeresbaden Kontakt mit dem Schaum vermeiden un…
Amsterdam taz | Der Schaum der Nordsee ist gefährlicher, als bisher
angenommen. Diese Nachricht schreckte kürzlich viele
Niederländer*innen auf – ausgerechnet, als der bisher verregnete
Sommer endlich in Gang zu kommen schien. Hohe Konzentrationen der als
„Ewigkeitschemikalien“ bekannten PFAS stecken darin, weshalb das
Gesundheitsministerium in Den Haag rät, jeglichen Kontakt zu vermeiden. Der
Bericht des öffentlich-rechtlichen TV-Senders NOS schlug hohe Wellen,
Aufnahmen von schaumübersäten Stränden waren allgegenwärtig, die
Verunsicherung unter Badegästen war groß.
Das Thema ist an sich nicht neu. Das niederländische Gesundheitsministerium
RIVM veröffentlichte Ende 2023 eine Untersuchung, wonach an zehn Orten
entlang der Küste hohe PFAS-Konzentrationen im Meeresschaum gemessen
wurden. Ebenso an der belgischen Küste, wo eine vergleichbare Studie Anfang
letzten Jahres erschien. PFAS, eine Abkürzung für poly- und perfluorierte
Substanzen, ist ein Sammelname für mehrere Tausend
Kohlenstoff-Fluor-Verbindungen. Sie sind wasser- und fettabweisend sowie
hitzeresistent. Einmal freigesetzt, werden sie nur sehr langsam abgebaut.
Im menschlichen Körper kann das schwerwiegende gesundheitliche Schäden
auslösen.
Das RIVM mahnte daher bereits, sich nach einem Strandbesuch zu duschen und
darauf zu achten, dass spielende Kinder und Hunde keinen Meeresschaum
schlucken. Nun aber verschärfte das Ministerium die Warnung: Es rät dazu,
nicht mit dem Schaum in Berührung zu kommen und „Kinder und Haustiere nicht
darin spielen“ zu lassen. Interessantes Detail: Veröffentlicht wurde dies
auf einer Website, die zwar aktive Schwimmer*innen regelmäßig
frequentieren, weniger aber Strandtourist*innen zur Hauptsaison. Womit
die Frage im Raum steht: Müssen die Behörden weiträumig vor Kontakt mit
Meeresschaum warnen? Und wie steht es mit dem Schwimmen in der Nordsee?
Die RIVM-Studie ist bezüglich der Risiken deutlich: Genau wie in Belgien
seien auch die PFAS-Konzentrationen der Meerwasserproben „viel niedriger
als in den Meeresschaumproben“. Grund dafür ist, dass sich PFAS, [1][die
etwa aus Flüssen im Meer landen, an den aus abgestorbenen Algen bestehenden
Schaum binden]. Durch Wellen und Wind landet dieser an den Stränden. So
erklärt sich, dass das Ministerium einerseits zu großer Vorsicht bezüglich
des Schaums rät und zugleich erklärt, man könne weiterhin in der Nordsee
schwimmen.
## Belastungen auch in Belgien nachgewiesen
An Stränden und in Küstenorten lösten die Berichte Unruhe aus.
NOS-Interviews in Noordwijk bei Den Haag zeigten besorgte Besucher*innen,
die mehr Informationen und Warnschilder forderten. Zugleich offenbart sich
einmal mehr der große Kontrast zwischen dem Gefahrenpotenzial von PFAS und
dem öffentlichen Bewusstsein darüber. Ein Mitarbeiter des Tourismusamts in
Noordwijk sagte der taz: „Im Moment gibt es keinen Schaum. Schreiben Sie,
dass das alles Unsinn ist – oder vielleicht nicht Unsinn, aber zumindest
nicht jeden Tag so.“
Nuancierter sieht Frank Spooren, Tourismusdirektor der Insel Texel, die
Lage: „Die nächstgelegene Messstelle der Studie war 50 Kilometer von hier
entfernt. Da wir weder einen großen Hafen noch Industrie haben, gehe ich
davon aus, dass unsere Wasserqualität gut ist.“ Spooren führt
Untersuchungen der Wasserbehörde der Provinz vom April an, die den Stränden
der Insel Unbedenklichkeit attestiert. „Aber ich bin nicht achtlos
gegenüber dem Problem: Natürlich sind PFAS giftig. Sie stecken vielleicht
zu Hause in meiner Pfanne, und in vielem anderen.“
Und so lenkt das Thema Meeresschaum den Blick auf ein wesentlich größeres
Problem, von dem die sommerliche Aufregung nur ein Ausschnitt ist: Noch
immer sind Menschen weltweit im Alltag zahlreichen Quellen ausgesetzt, über
die PFAS aufgenommen werden. „Das RIVM hat berechnet, [2][dass ein großer
Teil der niederländischen Bevölkerung über Nahrung und Trinkwasser schon zu
viel PFAS aufnimmt“], heißt es in der erwähnten Studie. „PFAS steckt in
allem um uns herum, und auch in Meeresschaum.“ Jeder weitere Kontakt sei
daher „nicht wünschenswert“.
Für Jacob de Boer, Professor für Umweltchemie und Toxikologie an der
Universität Amsterdam, ist daher klar, dass ein vollständiges PFAS-Verbot
nötig ist. Unter anderem die Niederlande und Deutschland haben sich dafür
auf EU-Ebene ausgesprochen. „Diese Stoffe sind so beständig. Es werden
keine Kinder mehr ohne PFAS im Blut geboren. Durch die Muttermilch nehmen
sie dann weitere auf“, so De Boer zur taz. Zwar sei Meeresschaum nicht die
wichtigste Quelle, weshalb große Warnhinweise Menschen unnötig Angst machen
könnten. Doch die Konzentration im Blut durchschnittlicher
Europäer*innen steige. „Darum brauchen wir ein PFAS-Verbot.“
## Entnahme aus der Nordsee nicht möglich
Besorgt zur Kenntnis nimmt man die Berichte aus den Niederlanden auch in
Deutschland, zumal kontaminierter Nordseeschaum auch auf der grenznahen
dänischen Insel Rømø gemessen wurde. Der Landesbetrieb für Küstenschutz,
Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein erklärt auf Anfrage:
„Trotz der bekannten Persistenz und nachgewiesenen Verbreitung insbesondere
im Wasser bestehen derzeit jedoch nur Ansätze, den Eintrag der Stoffe zu
mindern. Eine Möglichkeit zur Entnahme aus dem Wasser besteht derzeit
nicht“, so der Landesbetrieb. Am Strand den Meeresschaum abzuschöpfen (zu
skimmen) wäre technisch möglich, jedoch aufgrund der Reproduktion des
Schaumes ein unendlicher Prozess, der auch nur punktuell und nicht
flächendeckend erfolgen könnte.
6 Aug 2024
## LINKS
[1] /Chemikalienbelastung-in-Gewaessern/!6010252
[2] /Ewigkeits-Chemikalien-in-Holland/!5998968
## AUTOREN
Tobias Müller
## TAGS
Chemikalien
Nordsee
Niederlande
GNS
Chemikalien
Klimaschutzziele
chemieindustrie
Chemikalien
Schwerpunkt Klimawandel
Chemie
Chemie
Chemikalien
Dosenpfand
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gefährliche Stoffe in Alltagsprodukten: Frankreich verbietet Ewigkeitschemikal…
Die Nationalversammlung in Paris hat für ein Gesetz gestimmt, das
sogenannte PFAS bald als Bestandteile von Kosmetik und anderen Waren
ausschließt.
Chemikalien an deutschen Küsten: Greenpeace warnt vor Gefahr im Meeresschaum
An deutschen Küsten finden sich hohe Konzentrationen der sogenannten
Ewigkeitschemikalien, warnen Umweltschützer. Diese bergen
Gesundheitsrisiken.
Lobbyschlacht um Ewigkeitschemikalien: Gefährliche Stoffe im Trinkwasser
Sie finden sich in vielen Kunststoff-Produkten – und gefährden die
Gesundheit. LobbyistInnen arbeiten mit dubiosen Mitteln daran, dass das so
bleibt.
Gefährliche Chemikalien und Pestizide: Gesundheitsrisiken durch zu langsame Ko…
Die EU prüft potenziell gefährliche Stoffe zu langsam, um sie zu genehmigen
oder zu verbieten. Unternehmen dürfen sie derweil einfach einsetzen.
Güllekrise in den Niederlanden: Rechte Güllepolitik
Die rechte Regierung der Niederlande will viele Umweltauflagen für die
Landwirtschaft abschwächen. Das gelingt ihr nicht immer.
Pestizide im Grundwasser: EU-Recht erlaubt nationale Verbote
Ein Gutachten sieht Möglichkeiten, Pestizide mit PFAS-Wirkstoffen vom Markt
zu nehmen. Aus Verpackungen und Jacken sollen PFAS verschwinden.
Chemikalienbelastung in Gewässern: Ackergift im Wasserglas
TFA steht im Verdacht, unfruchtbar zu machen. In Europa haben
Umweltschützer Flüsse untersucht – und die Chemikalie fast flächendeckend
gefunden.
Ewigkeits-Chemikalien in Holland: Verseucht bis in alle Ewigkeit
Seit Jahren schädigt eine Chemiefabrik im niederländischen Dordrecht ihre
Umgebung mit giftigen Stoffen. Der Protest dagegen könnte nun Erfolg haben.
Pfand auf Joghurtdrinks: Das Ziel ist weniger Plastikmüll
Ab Januar gilt in Deutschland für Einweg-Milchflaschen aus Kunststoff ein
Pfand von 25 Cent. Auch die EU erneuert ihre Verpackungsvorschriften.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.