# taz.de -- Lobbyschlacht um Ewigkeitschemikalien: Gefährliche Stoffe im Trink… | |
> Sie finden sich in vielen Kunststoff-Produkten – und gefährden die | |
> Gesundheit. LobbyistInnen arbeiten mit dubiosen Mitteln daran, dass das | |
> so bleibt. | |
Bild: Auch in Pizzaverpackungen können sich sogenannte Ewigkeitschemikalien be… | |
Berlin taz | Im Leitungswasser gefundene „Ewigkeitschemikalien“ sorgen in | |
Großbritannien für Forderungen nach dem Komplettverbot der Stoffe. | |
Nachdem in 278 Wasserproben der Grenzwert von jeweils mehr als 100 | |
Nanogramm pro Liter für einzelne Stoffe aus der Gruppe der Per- und | |
polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) gefunden wurden, schlug der | |
[1][Industrieverband Water UK gegenüber dem britischen Guardian] Alarm. | |
Water UK wünsche „ein Verbot von PFAS und die Entwicklung eines nationalen | |
Plans zur Entfernung von PFAS aus der Umwelt, der von den Herstellern | |
bezahlt werden sollte.“ | |
Tatsächlich überraschen die Funde ExpertInnen jedoch kaum. PFAS sind eines | |
der global größten Umweltprobleme. Die Chemikalien befinden sich in | |
[2][Regenjacken], Pizza-Boxen, Imprägniersprays, Hautpflegeprodukten oder | |
Teflon-Pfannen. Sie werden auch in vielen Industrieprozessen benutzt, sind | |
somit fast überall zu finden – aber bauen sich nur sehr langsam ab. | |
Die [3][Stoffgruppe] umfasst mehr als 10.000 verschiedene Chemikalien, von | |
denen viele hochgiftig sind, vor allem für die Entwicklung von Kindern. Sie | |
stehen unter anderem im Verdacht, Leberschäden sowie Nieren- und Hodenkrebs | |
zu verursachen. | |
## Schadensbeseitigung kostet Europa Billionen | |
Die Beseitigung der Schäden durch PFAS kostet in den kommenden 20 Jahren in | |
31 europäischen Staaten zwei Billionen Euro, jedes Jahr sind das 95 | |
Milliarden Euro, rechnete in dieser Woche ein internationaler | |
[4][Rechercheverband namens „The Forever Pollution Project“] vor. Die | |
JournalistInnen und WissenschaftlerInnen untersuchten zudem die Argumente | |
der Industrielobby, die versucht, in Europa eine stärkere Regulierung von | |
PFAS zu verhindern – mit erschreckenden Ergebnissen. | |
Bislang sind in Europa nur zwei Stoffe aus der PFAS-Gruppe verboten. Anfang | |
2023 hatte Deutschland jedoch gemeinsam mit vier anderen Ländern | |
vorgeschlagen, die Nutzung in der EU deutlich zu beschränken. Dies habe | |
einen regelrechten „Lobby-Ansturm“ gegen die Regulierungspläne ausgelöst, | |
schreibt das Rechercheteam. Die Argumente der IndustrievertreterInnen seien | |
in großen Teilen „irreführend, übertrieben und unlauter“. | |
Das Rechercheteam untersuchte etwa 1.200 Lobbyargumente gegen eine | |
strengere Regulierung. Urteil: Die Kunststoffindustrie habe dabei | |
PolitikerInnen aus 16 Ländern mit einer „massiven Desinformationskampagne“ | |
versucht zu beeinflussen. | |
Ein Beispiel: In fast verschiedenen 1.000 Lobbydokumenten sei auf zwei | |
wissenschaftliche Studien hingewiesen worden, in denen es hieß, die | |
PFAS-Stoffgruppe Fluorpolymere seien „Polymers of Low Concern“ (PLC), also | |
unbedenklich, gemäß den von der Organisation für wirtschaftliche | |
Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) festgelegten Kriterien – und sollten | |
deshalb nicht reguliert werden. | |
Als Begründung wurde genannt, Fluorpolymere seien zu groß, um in | |
menschliche Zellen einzudringen und dort Schaden anzurichten. Die | |
AutorInnen der Papiere seien jedoch IndustriemitarbeiterInnen oder | |
BeraterInnen gewesen, also nicht unabhängig, heißt es von dem | |
Rechercheverband. | |
## Lobby nutzt ausgedachte Kriterien | |
Auch die von den Lobbyisten vorgebrachten „PLC-Kriterien“ existieren | |
demnach nicht. In einer Erklärung gegenüber dem Rechercheprojekt bestätigte | |
die OECD, dass „kein vereinbarter Kriteriensatz auf OECD-Ebene festgelegt | |
wurde“ und dass „die OECD keine Bewertung von Fluorpolymeren durchgeführt | |
hat“. | |
Trotz der dubiosen Argumentation dringen die IndustrievertreterInnen bei | |
der Politik durch. Auf Nachfrage habe das Bundeswirtschaftsministerium laut | |
dem Rechercheverband zunächst auf die OECD-Kriterien verwiesen. | |
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach sich im vergangenen September bei | |
einer Veranstaltung der Chemieindustrie erneut gegen ein „undifferenziertes | |
Totalverbot“ von einzelnen PFAS-Stoffgruppen aus. | |
Umwelt- und VerbraucherschützerInnen fordern seit langem ein umfassendes | |
Verbot der Ewigkeitschemikalien. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der | |
Leyen hatte zu Beginn ihrer vergangenen Legislaturperiode eine | |
entsprechende Reform der EU-Chemikalienverordnung Reach angekündigt, aber | |
keinen Gesetzesvorschlag vorgelegt. Die seit Dezember amtierende | |
Umweltkommissarin Jessika Roswall will die Verordnung „vereinfachen“, | |
konkrete Vorschläge dafür gibt es bislang allerdings nicht. | |
17 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.theguardian.com/environment/2025/jan/16/the-forever-chemical-ho… | |
[2] /Pestizide-im-Grundwasser/!6034501 | |
[3] /Chemikalienpolitik/!6039898 | |
[4] https://foreverpollution.eu/ | |
## AUTOREN | |
Kai Schöneberg | |
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