# taz.de -- Ewigkeits-Chemikalien in Holland: Verseucht bis in alle Ewigkeit | |
> Seit Jahren schädigt eine Chemiefabrik im niederländischen Dordrecht ihre | |
> Umgebung mit giftigen Stoffen. Der Protest dagegen könnte nun Erfolg | |
> haben. | |
Bild: Aktivist bei der zweihundertsten Aktion gegen die Chemiefabrik | |
DORDRECHT taz | „Die Quelle der Verschmutzung ist hier. Darum geben wir | |
ihnen ihren Dreck zurück“, ruft Kees van der Hel, ehe er einen Eimer mit | |
kontaminierter Erde vor das Fabrikstor leert. Dann gießt er Leitungswasser | |
darüber, ebenfalls verseucht. So laufen seit mehreren Jahren Woche für | |
Woche die Proteste ab, die vor dem Haupteingang der Chemiefabrik | |
[1][Chemours] in Dordrecht südöstlich von Rotterdam stattfinden. An diesem | |
Samstag sind besonders viele Protestierende, Parlamentsmitglieder und | |
Medienvertreter*innen gekommen. Auf dem Programm steht die | |
zweihundertste Kundgebung gegen Chemours. | |
Aufgerufen hat wie immer die [2][„Aktionsgruppe Gesundheit zuerst“]. Van | |
der Hel, 69, ist von Anfang an dabei. Gegründet hat sie sein Nachbar im | |
Städtchen Sliedrecht ganz in der Nähe. „1.200 Meter Luftlinie von hier, der | |
Wind weht oft von dort herüber, sodass wir alles, was Chemours ausstößt, | |
voll abbekommen“, sagt der Aktivist. Seit die Fabrik des US-Chemiekonzerns, | |
die unter anderem [3][Teflon] herstellt, 1962 eröffnet wurde, haben ihre | |
Emissionen und Verklappungen Boden, Grund- und Oberflächenwasser der | |
Umgebung mit PFAS verseucht. Diese ultrarobusten | |
Kohlenstoff-Fluor-Verbindungen verbreiten sich leicht und sind etwa im | |
menschlichen Körper nur äußerst langsam abbaubar, weshalb sie als | |
„Ewigkeits-Chemikalien“ bezeichnet werden. | |
In Dordrecht wurde jahrzehntelang unter anderem Perfluoroctansäure (PFOA) | |
in das Flüsschen Merwede entsorgt. Eine Expert*innengruppe der | |
International Ageny for Research on Cancer (IARC), die zur WHO gehört, | |
stufte den Stoff im November als „krebserregend für Menschen“ ein. Zu | |
unfreiwilligen Expert*innen sind auch mehrere der Protestierenden | |
geworden: Van der Hel berichtet von der verminderten Fruchtbarkeit seines | |
Sohns, außerdem von Schwächungen des Immunsystems und | |
Schilddrüsen-Krankheiten. | |
Alles Wirkungen, die Kontakt mit PFAS zugeschrieben werden. Sein Nachbar | |
von damals, Bram de Winter, ist an Krebs gestorben, ebenso wie die Frau von | |
Joop Keesmaat, einem der Aktivposten der Gruppe. „Ich bin ein indirektes | |
Opfer“, sagt er, als er während des zweihundertsten Protests nach seiner | |
Motivation gefragt wird. | |
## Leberkrebs ohne übermäßigen Alkoholkonsum | |
Meta Kamphuis, 49, die in der Nähe der Fabrik aufwuchs, verlor vor etwa 30 | |
Jahren ihre Eltern an Krebs. Mit 45 bekam sie selbst die Krankheit, jedoch, | |
wie untersucht wurde, nicht durch erbliche Vorbelastung. Kamphuis | |
überlebte. Vor drei Jahren starb ihr Freund an Leberkrebs – „obwohl er nie | |
getrunken hat“, ein Jahr später wurden bei ihrer Schwester Karzinome | |
diagnostiziert. „Ich kann es leider nicht beweisen, sonst stünde ich nicht | |
hier, sondern vor Gericht“, so Kamphuis. Vertreter*innen der Industrie | |
berufen sich seit jeher darauf, dass individuelle Erkrankungen nicht | |
einwandfrei auf PFAS-Kontaminierungen zurückgeführt werden können. | |
Im September befand ein Rotterdamer Zivilgericht dennoch per | |
Zwischenurteil, Chemours sei für die Schaden haftbar, die die umliegenden | |
Kommunen durch die PFAS-Verseuchung erlitten haben. An einer | |
strafrechtlichen Sammelklage von Anwohnerinnen arbeitet außerdem die | |
Amsterdamer Anwältin Bénédicte Ficq. | |
Im Namen von 4.000 Personen erstattete sie im Herbst Anzeige gegen | |
Chemours. Grundlage sei „ein Paragraf, der es strafbar macht, absichtlich | |
gesundheitsschädliche Stoffe in Boden, Luft oder Wasser einzubringen. | |
Darauf stehen 12 bis 15 Jahre Gefängnis.“ Die Staatsanwaltschaft habe | |
bereits eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet, die etwa anderthalb | |
Jahre dauern werde. | |
Chemours, 2015 vom amerikanischen Mutterkonzern Dupont abgespalten, | |
präsentiert sich derweil als besonders nachhaltig: In der Anhörung einer | |
Parlaments-Kommission beteuerten zwei Manager im vergangenen Sommer, die | |
PFAS-Verschmutzung gehöre der Vergangenheit an, Chemours habe seine | |
Emissionen weitestgehend reduziert. In einer Erklärung vor dem | |
Jubiläumsprotest heißt es: „Letztlich teilen wir das gleiche Ziel, | |
Emissionen zu vermindern.“ Dieses technologisch zu realisieren, koste | |
jedoch Zeit. | |
## Umweltbehörden wollen PFAS verbieten | |
Aktivist Van der Hel betont, das löse das Problem nicht. „Der Boden um die | |
Fabrik ist in alle Ewigkeit schwer verseucht – bis ins Grundwasser, das wir | |
zu trinken bekommen.“ Dennoch werde „weiter jeder Verstoß, den Chemours | |
begeht, unter den Teppich gekehrt“. In die Schlagzeilen geriet die Fabrik | |
im vergangenen Jahr durch die Entsorgung der PFAS-Verbindung TFA. Ohne | |
Genehmigung leitete Chemours offenbar TFA ins Abwasser, wofür die | |
Umweltbehörde aber nur im Wiederholungsfall hohe Strafen androhte. | |
Inzwischen hat die Initiative „Gesundheit zuerst“ Abgeordnete des | |
EU-Parlaments kontaktiert. Bei einem Besuch in Brüssel präsentierten die | |
Aktivist*innen Forderungen nach einem schnellen [4][PFAS-Verbot]. | |
Ausnahmen soll es nur für wichtige medizinische Verwendungen geben. Die | |
Umweltbehörden der Niederlande, Deutschlands, Norwegens, Schwedens und | |
Dänemarks haben bereits 2023 bei der Europäischen Chemikalien-Agentur | |
(ECHA) einen Verbotsantrag für PFAS eingereicht. | |
19 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Ewige-Chemikalien/!5972052 | |
[2] https://www.facebook.com/groups/946663375478643/ | |
[3] /Klage-gegen-EU-Agentur/!5833977 | |
[4] /Globale-Chemikalien-Konferenz-in-Bonn/!5959576 | |
## AUTOREN | |
Tobias Müller | |
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