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# taz.de -- Strategien der Sekte: Scientology macht auf divers
> Sängerin Emily Armstrong steht wegen mutmaßlicher Scientology-Nähe in der
> Kritik. Die Sekte hat ihre Blütezeit zwar hinter sich, bleibt aber
> gefährlich.
Bild: Hat sich nie von Scientology distanziert: Sängerin Emily Armstrong
[1][Eine Frau mit langem blondem Haar geht durch die Reihen eines dunklen
Konzertsaals. Sie betritt die Bühne, nimmt das Mikrofon in die Hand, die
Lichter blenden auf.] Aus voller Kehle singt sie den neuen Song der US-Band
Linkin Park. Nachdem sich Frontmann Chester Bennington im Juli 2017
suizidierte, feiert die Band nun mit der Sängerin Emily Armstrong ihr
Comeback. Dieser weibliche queere Zugang dürfte der rein männlichen Band
guttun. Doch es hängt ein Damoklesschwert über ihr. Man sagt Armstrong
nach, Mitglied in [2][der Sekte Scientology] zu sein. Dadurch würde sie in
einer Reihe mit Hollywood-Stars wie [3][Tom Cruise], John Travolta, Michael
Peña und Danny Masterson stehen.
Kurz nach Armstrongs Debüt im September sprachen Fans und Medien sie an,
warum sie auf Bildern einer Scientology-Gala zu sehen sei und Kontakte zu
Mitgliedern pflege. Öffentlich distanziert hat sich Armstrong von der
Sekte nie. Zwar ist diese nicht mehr in ihrer Blütezeit wie noch in den
1990er Jahren, doch die Organisation ist weiterhin eine Gefahr für die
Gesellschaft – auch in Deutschland. Besonders in Krisenzeiten locken
extremistische Vereinigungen mit simplen, manipulativen Lösungen.
Auf den ersten Blick ist Scientology nur eine von vielen neuen religiösen
Bewegungen des 20. Jahrhunderts. Dahinter aber steht ein hierarchisches,
autoritäres System, das Leute durch ein Schneeballsystem finanziell
ausbeutet und körperlich wie seelisch misshandelt. Mitglieder erhalten für
ihre Arbeit in der Sekte niedrige Löhne, müssen aber selbst Tausende Dollar
in Kurse investieren, um in der Organisation aufzusteigen.
Seit über 70 Jahren baut Scientology auf diesem klassistischen System
seinen Reichtum auf. In vielen Ländern ist die Organisation als
eingetragene Religion von Steuerabgaben befreit. Durch Mitgliedsbeiträge
und ein enormes Immobiliengeschäft beläuft sich das Kapital der Sekte
[4][nach Schätzungen] auf zwei Milliarden US-Dollar. Offizielle Zahlen,
darunter Anzahl und Alter der Mitglieder, hält die Organisation geheim.
2023 schätzte der Scientology-Aussteiger Aaron Smith-Levin die
Mitgliederzahl [5][auf maximal 35.000 Mitglieder weltweit].
## Expansion im Immobiliengeschäft
Der [6][Verfassungsschutzbericht von 2023] zählt etwa 3.600 deutsche
Mitglieder. In Deutschland hat die Sekte als eingetragener,
steuerpflichtiger Verein Immobilien und Kirchengebäude in Hamburg, München,
Berlin, Hannover, Düsseldorf, Stuttgart, Frankfurt, Karlsruhe und
Wiesbaden. Obwohl die Mitgliederzahlen stagnieren, vergrößert die Sekte
ihre Finanzen durch eine Expansion im Immobiliengeschäft. Auch ihr
Medienauftritt hat sich professionalisiert.
In aufwendigen Werbevideos gibt sich die Organisation divers und inklusiv.
Diese strahlt sie auf prominenten Werbeplätzen wahrend des Superbowls aus
und verbreitet ihre Anzeigen auch in den deutschsprachigen Medien. Wie
perfide die Sekte inzwischen vorgeht, zeigt [7][ein Bericht des bayerischen
Verfassungsschutzes]. Während der Fußball-EM 2024 machte Scientology mit
der Tarnorganisation „Sag Nein zu Drogen – Sag Ja zum Leben“ verstärkt
Werbung. Eine Verbindung zu Scientology ließ sich bewusst nicht erkennen.
Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass man mit dem Infomaterial eine
junge Zielgruppe gewinnen wollte. Auch Tarnorganisationen wie „The Way To
Happiness“ und „United for Human Rights“ lassen auf den ersten Blick keine
Rückschlüsse zur Sekte zu.
## Bewusste Verschleierung
Besonders für Menschen mit geringer Medienkompetenz stellt das ein Risiko
dar. Die Social-Media-Strategie von Scientology ist zum einen die bewusste
Verschleierung. Gleichzeitig präsentiert sich die Organisation in
offiziellen Medienauftritten als seriöse, harmlose Gemeinschaft und lockt
mit kostenlosem Infomaterial und dem eigenen Sender Scientology Network.
Die Plattformen Facebook, Youtube, X und Instagram bespielt die
Organisation nur sporadisch. Die dortigen Kommentare zeigen, dass dort nur
undifferenzierte Echokammern von Mitgliedern sind.
Auf taz-Anfrage, warum die Sekte in Deutschland seit 1997 beobachtet wird,
sagt der Verfassungsschutz: „Die Scientology-Organisation beabsichtigt,
weltweit eine ‚scientologische Gesellschaft‘ zu etablieren. In einer
solchen Gesellschaft – basierend auf den Schriften des Gründers Lafayette
Ron Hubbard – würden wesentliche Grund- und Menschenrechte verletzt
werden.“ Der Psychotherapeut Michael Utsch präzisiert das weiter:
„Scientology hat ein sehr hierarchisches Modell vom Menschen, wo letzten
Endes nur Scientologen das Wahlrecht haben, weil die restlichen Menschen
einer niederen Gattung angehören. Im Grunde sind das rassenideologische
Anklänge.“
## „Es geht um eine Erfolgsideologie“
Utsch ist wissenschaftlicher Referent der Evangelischen Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen (EZW) und beschäftigt sich seit 1997 mit Scientology:
„Ich sehe nicht, dass es um eine Religion geht. Es geht im Grunde um eine
Erfolgsideologie und darum, glücklich und reich zu werden. Scientology
sagt, dass dieser Weg für jeden möglich ist, wenn man nur den Anweisungen
ihrer Kurse folgt. Die Organisation ist nicht mehr als ein moderner
Psychokurs-Anbieter.“ Dazu sagt die EZW in ihrem ABC der Weltanschauungen:
„Aussteiger berichten von Plänen der Scientology, die gesamte deutsche
Wirtschaft zu infiltrieren, ihren politischen Einfluss zu vergrößern und in
der gesamten deutschen Gesellschaft die Macht zu übernehmen. Selbst wenn
das maßlos übertrieben sein sollte, so unterstreicht die Idee jedoch den
politischen Anspruch der Scientology-Organisation.“
Der Science-Fiction-Autor [8][L. Ron Hubbard] gründete die Sekte mit
Weltherrschaftsfantasien 1954. Anfangs ging es in seinen Lehren noch um das
Gemeinwohl und das Potenzial einer unsterblichen Seele. Erst ab dem „OT
III“-Level, für das man mehrere hunderttausend Dollar investieren muss,
erfährt man vom vorgeblichen Weltraumherrscher Xenu, der vor 75 Millionen
Jahren als Anführer einer galaktischen Föderation die Erde und Menschen
erschuf. Über diese Geschichte à la „Star Wars“ haben sich inzwischen vie…
Aussteiger:innen und Medien wie „South Park“ lustig gemacht.
## Zieht Menschen an, die überfordert sind
Doch wenn Leute in Scientology einsteigen, begrüßt man sie nicht mit
Weltraummärchen. Die [9][Sekte zieht Menschen an, die eine Gemeinschaft
suchen], die vom Alltag, der Politik und der Weltlage überfordert sind. Sie
werden aufgenommen und finden einen Sinn im Kollektiv. Durch die aktuellen
gesellschaftlichen Herausforderungen schätzt Referent Utsch das Potenzial
für extremistische Organisationen wie Scientology besonders hoch ein:
„Gerade in Krisenzeiten sind die Leute anfällig für simple
Lösungsvorschläge und Gruppenangebote. Mit den Kriegen und der
Klimakatastrophe leben wir momentan in großen Krisen und vieles ist
unsicher.“
Während Scientology besonders in Hollywood prominente Namen anzieht, gibt
es in Deutschland keine bekannten Scientologen. Laut Utsch hat die
Organisation aber „auch hierzulande einen Expansionsgedanken. Es ist eine
weltweit operierende Firma, die ihre Kurse verkaufen möchte. Aber die
Deutschen sind da relativ hartnäckig und wenig empfänglich dafür.“ Laut dem
Verfassungsschutz stagnieren die Mitgliederzahlen seit 2021. Doch für
extremistische Organisationen ist Stagnation nicht zwingend schlecht. Sie
zeigt, wie ideologisch gefestigt die Basis ist.
Ohnehin kommt es bei Scientology nicht primär auf die Anzahl der Mitglieder
an, sondern vielmehr auf die Größe und Reichweite des Einzelnen. Wenn Tom
Cruise mal wieder von Gebäuden springt wie zuletzt bei der Schlusszeremonie
der Olympischen Spiele, profitiert auch die Sekte von dieser Publicity.
Die [10][britische Autorin Catherine Bennett nannte es den „besten
Scientology-Stunt aller Zeiten“]. Und wenn Emily Armstrong sich als neue
Frontfrau einer der beliebtesten Bands nicht von der Sekte distanziert und
Kontakte zu ihr pflegt, verharmlost sie damit eine zutiefst
menschenfeindliche Organisation.
22 Oct 2024
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=7F5MKaJMxDc
[2] /Scientology/!t5047785
[3] /Filmkritik-zu-Mission-Impossible-7/!5943391
[4] https://www.smh.com.au/national/scientology-is-shrinking-fast-and-getting-r…
[5] https://www.youtube.com/watch?v=RVC4i_69GHE
[6] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/verfassungssch…
[7] https://www.verfassungsschutz.bayern.de/ueberuns/medien/pressemitteilungen/…
[8] /!1166483/
[9] /Schuldenfalle-Multi-Level-Marketing/!6041060
[10] https://www.theguardian.com/commentisfree/article/2024/aug/18/tom-cruise-p…
## AUTOREN
Martin Seng
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