Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Pädagoge über Angehörige von Sekten: „Es gibt oft kein Vertrau…
> Die Beratungsstelle „SektenInfo Berlin“ ist gefragter denn je. Über den
> Psychomarkt, verzweifelte Angehörige und die Gefahr von
> Verschwörungsmythen.
Bild: Vermischen Spirituelles mit Demokratiefeindlichem: „Querdenker“-Demo …
taz: Herr Küenzlen-Zielinski, wie viele Anfragen bekommen Sie im Schnitt?
Karol Küenzlen-Zielinski: Im letzten Jahr waren es 643. So viel wie seit
Jahren nicht mehr.
Ihre Beratungsstelle ist im Gegensatz zu vielen anderen staatlich, nicht
kirchlich. Wie wirkt sich das aus?
Wir sind weltanschaulich neutral und sprechen heute eher von
[1][„konflikthaften Gruppen auf dem Lebenshilfemarkt“], denn wir bewerten
den Glauben nicht. Für uns ist nur wichtig, welche Praktiken sich daraus
ergeben und wie viel [2][Machtmissbrauch] und Manipulation herrscht. Jede
Gruppe oder Gemeinde kann sich dahin entwickeln, wenn Kritik nicht
akzeptiert wird und soziale Kontakte außerhalb unterbunden werden. Dazu
kommt oft eine rigorose Moralvorstellung oder der Glaube, [3][den einzig
wahren Weg] zu haben, durch den man automatisch andere Weltanschauungen
abwertet.
taz: Kommen zu Ihnen vor allem besorgte Angehörige?
Ja, zu ca. 80 bis 90 Prozent. Zum Rest zählen Aussteiger*innen, die
hineingeboren wurden – wie Kinder aus den Osho-Ashrams, den Zeugen Jehovas
und der Otto-Muehl-Kommune. Manche haben als Erwachsene immer noch
Probleme und suchen Hilfe.
Was sagen Sie denen?
Das ist sehr individuell. Manche Erlebnisse werden noch Jahrzehnte später
verarbeitet. Da sind Scham- und Schuldgefühle, weil man andere in die
Gruppe gebracht hat oder erniedrigt wurde. Wir sind aber keine Therapeuten
und verweisen dann weiter, wenn mehr Unterstützung nötig ist.
Wie gebrochen sind manche?
Wir sehen viel Verzweiflung und Orientierungslosigkeit. Oft ist kein
Vertrauen in die Gesellschaft mehr vorhanden. Wenn das dann bei einer
staatlichen Einrichtung wie unserer erfahrbar wird, kann das auch helfen,
etwas zu reparieren, was durch eine Ideologie zerstört wurde.
Holen Sie gefährdete Leute aus Gruppen raus?
Wir intervenieren nicht, aber leiten alles strafrechtlich Relevante weiter.
Die Menschen müssen ihren eigenen Weg gehen und können nicht dazu gezwungen
werden. Wir unterstützen nur den emanzipatorischen Prozess. Was früher in
den USA praktiziert wurde, Angehörige aus solchen Gruppen zu entführen und
umzuprogrammieren, verstößt gegen Grundrechte.
Sind die Moonies, Scientology oder Hare Krishna noch aktiv?
Früher haben solche Gruppen viele Anfragen in den Beratungsstellen
ausgelöst, da sie auch auf der Straße angeworben haben. Es wurde damals
viel Präventionsarbeit geleistet und in Schulen aufgeklärt. Scientology
wurde sogar vom Verfassungsschutz beobachtet. Aber seitdem hat sich die
Nachfrage verändert. Jede Zeit bringt spezifische Gruppen hervor. Wir gehen
davon aus, dass das deutschlandweit wahrscheinlich in den Tausenderbereich
geht. Soziale Medien spielen bei der Werbung eine große Rolle.
Das Internet ist für viele Betroffene eine Aufklärungshilfe. Sekten können
Information nicht mehr so kontrollieren wie vor der Digitalisierung.
Menschen, die in konflikthaften Gruppen gewesen sind, können digital
zueinanderfinden und sich organisieren, wie bei [4][jz.help] und
[5][fundamentalfrei.org.] Sie finden im Netz Hilfe und
Austauschmöglichkeiten mit anderen Betroffenen.
Was tut sich in der Spiri-Metropole Berlin, wo man jeden Abend zu einer
Kakao-Zeremonie oder erotischen „Tempelnacht“ gehen kann?
Sehr viel. Uns erreichen Anfragen zum Psychomarkt und zur alternativen
Heilerszene, zu esoterischen Gruppen wie der Anastasia-Bewegung und zu
Evangelikalen. Dazu kommen die Reichsbürger und die gesamte Bandbreite der
Verschwörungstheorien. Die Pandemie hat auch einen großen Einfluss auf die
Homeschoolingszene gehabt, die sogenannten Freilerner. Da ist ein
Beratungsbedarf entstanden, vor allem, wenn sich jemand in der Familie oder
im persönlichen Umfeld diesen Ideen angeschlossen hat.
Sind die Mechanismen beim Verschwörungsglauben vergleichbar mit dem Sog
einer sogenannten Sekte?
Interessanterweise ähneln sich die Strukturen sehr, auch die Auswirkungen
auf das Umfeld und das Schwarz-Weiß-Denken. Die unhinterfragte Erhöhung der
eigenen Gruppe und die Abwertung der Außenwelt, das kommt bei beiden
Phänomenen vor. Ebenso wie starke Verhaltensänderungen oder
Kontaktabbrüche. Verschwörungsdenken ist aber keine neue Entwicklung der
letzten drei Jahre, sondern hat stets zu konfliktträchtigen Gruppen gehört.
Wir können deshalb unsere Beratungskonzepte gut auf die Menschen
übertragen, die von Verschwörungstheorien betroffen sind.
Das landläufige Klischee ist, dass Sektenmitglieder willensschwach,
leichtgläubig oder einsam sind und daher anfällig. Stimmt das?
Das ist zu verkürzt und einseitig. Wer sich solchen Gruppen anschließt, hat
Ideale und ist auf der Suche nach Gemeinschaft, Liebe oder Glück. Das sind
zutiefst menschliche Bedürfnisse und keine Schwächen. Auch eine persönliche
Krisenerfahrung kann eine spirituelle Suche auslösen. In diesen Zeiten
einer größeren gesellschaftlichen Krise wie Kriegsgefahr und
Klimakatastrophe können wir davon ausgehen, dass immer mehr Menschen sich
auf diese Suche begeben werden.
Was macht Ihnen am meisten Sorgen?
Die Vermischung von Spirituellem und Demokratiefeindlichem, zum Beispiel
die mythische Abwertung von Menschen im Gedankengut der
Verschwörungserzähler und rechten Esoteriker*innen. Das wird teilweise
schon zum Mainstream. Das ist nicht eine bestimmte Gruppe, sondern eine
Idee, die über viele Kanäle verbreitet wird und die die Stimmung in der
Gesellschaft unverantwortlich aufheizt. Es hat seit dem Angriffskrieg
Russlands in der Ukraine zugenommen.
Machtmissbrauch bei „Bild“, Set von Til Schweiger, bei Rammstein-Konzerten,
im Spitzenrestaurant Überfahrt: Welche Parallelen haben diese Fälle zu
destruktiven Gruppen?
Konflikthafte Strukturen fallen ja nicht vom Himmel, sondern entwickeln
sich, wenn es keine demokratische Kultur mit Transparenz und partizipativen
Prinzipien gibt. Es gehört auch immer ein System der Angst dazu, wo
geschwiegen und vertuscht wird. Das führt dazu, dass dann Personen mit
problematischen Persönlichkeitsmerkmalen Machtpositionen ergreifen, ohne
dass ihnen Einhalt geboten wird. Die beste Vorbeugung dagegen, auf allen
Ebenen der Gesellschaft, ist Kritik an Hierarchien und Machtgefällen.
Leider gibt es kein Standardrezept.
Mehr zu Esoterik, Sex und Psychosekten im [6][im taz-Talk] mit Anke Richter
und Ondra Veltruský am 4. Juli in der taz Kantine und auf Youtube
4 Jul 2023
## LINKS
[1] /Missbrauch-in-der-Tantra-Szene/!5933020
[2] /Machtmissbrauch-am-Theater/!5941678
[3] /Verschwoerungsmythen-im-Freundeskreis/!5937124
[4] https://jz.help/
[5] https://fundamental-frei.org/
[6] /Sexueller-Missbrauch-in-Gruppen/!vn5937948
## AUTOREN
Anke Richter
## TAGS
Sekte
Verschwörung
Aussteigerprogramm
Opferberatung
Scientology
Sekte
Kenia
wochentaz
Kolumne Der rechte Rand
Japan
## ARTIKEL ZUM THEMA
Strategien der Sekte: Scientology macht auf divers
Sängerin Emily Armstrong steht wegen mutmaßlicher Scientology-Nähe in der
Kritik. Die Sekte hat ihre Blütezeit zwar hinter sich, bleibt aber
gefährlich.
Shincheonji-Sekte aus Südkorea in Berlin: Ein Unsterblicher und seine Anhänger
Seit 20 Jahren missioniert die südkoreanische Sekte „Shincheonji“ in Berlin
– meist unbemerkt. Ein Aussteiger berichtet.
Prozess nach Massenselbstmord in Kenia: Sektenführer droht mit Hungerstreik
Ein Sektenführer in Kenia predigte den Hungertod als Weg, Jesus zu treffen.
Über 400 Menschen starben. Vor Gericht inszeniert er sich als Opfer.
Verschwörungsmythen im Freundeskreis: Eine Rückkehr ist möglich
Was tun, wenn beim Abendessen Verschwörungserzählungen aufgetischt werden?
Unsere Autorin will ihren Freund trotzdem wieder einladen.
„Querdenker“ planen Demo in Hannover: Immer noch überall Verschwörung
Am Samstag wollen „Querdenker*innen“ in Hannover demonstrieren. Was ist ihr
Thema nach dem Ende der Corona-Maßnahmen?
Mögliches Motiv für Attentat: Mord wegen Sekte?
Die Partei und Familie des ermordeten Ex-Premiers Abe soll Verbindungen zur
koreanischen Moon-Sekte gehabt haben. Japanische Medien vernebeln das.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.