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# taz.de -- Verschwörungsmythen im Freundeskreis: Eine Rückkehr ist möglich
> Was tun, wenn beim Abendessen Verschwörungserzählungen aufgetischt
> werden? Unsere Autorin will ihren Freund trotzdem wieder einladen.
Bild: Ich werde meinen Freund demnächst wieder zum Essen einladen
Wir sitzen am Tisch, haben zum Essen eingeladen, der Abend verspricht ein
Genuss zu werden, da sagt der Freund nebenbei den Satz, die Medien seien ja
sowieso „[1][gleichgeschaltet]“.
Zuerst halte ich es noch für ein Missverständnis, einen Scherz oder eine
Übertreibung, nicht jedes Wort gleich auf die Goldwaage legen, da kommt der
nächste verbale Einschlag: „Das sagen sie alle im
[2][Wahrheitsministerium]“. Ich unterbreche den Freund, frage ihn, was er
meint, verlange eine Erklärung und begrabe ihn daraufhin unter Argumenten
und Fakten.
Die Gesichter sind erhitzt, die Gemüter auch, Unverständnis statt
Einvernehmlichkeit. Die gute Stimmung ist dahin. Wir sitzen schweigend am
Tisch, wagen kaum einander in die Augen zu schauen und fragen uns, wie das
passieren konnte. Kurze Zeit später verabschiedet sich der Freund, und in
mir dämmert die Erkenntnis, alles falsch gemacht zu haben.
Unsere moderne Welt ist verdammt kompliziert. Wer kein Universalgenie ist,
muss in vielen Bereichen des Lebens auf die Medien und die Auskunft von
Expert*innen vertrauen, Meinung von Fakten trennen und Widersprüche
aushalten. Und selbst dann bleiben viele Zusammenhänge oft noch unklar.
## Kritik bestätigt noch die eigene Wahrheit
In einigen Menschen wächst dann Misstrauen; die Vermutung, dass „die da
oben“ nicht die ganze Wahrheit erzählen und eine geheime Agenda verfolgen.
Und nur ein paar Klicks oder Google-Suchanfragen später haben diese
Menschen Posts und Videos von Gleichgesinnten gefunden, die behaupten, die
„wirklich wahre Wahrheit“ zu kennen, die zwar nicht gängigen
Informationsquellen und wissenschaftlichen Standards entspricht, dafür aber
leicht zu verstehen ist und allem auf befriedigende Weise Sinn verleiht.
Und am Schlimmsten: Jede Kritik wird als Bestätigung der eigenen Wahrheit
empfunden, da die Gesellschaft in den Augen der Verschwörungsgläubigen
offensichtlich versucht, ihre Verbreitung zu unterdrücken.
Wer einmal in die Welt der [3][Verschwörungsmythen] abgetaucht ist, dem
fällt es deshalb schwer, aus eigener Kraft wieder zurückzufinden. Oft
wurden soziale Kontakte abgebrochen, Vorwürfe und Verletzungen haben die
Gräben vertieft. Aber eine Rückkehr ist möglich – und sollte in jedem Fall
begrüßt werden.
Denn wer die eine Verschwörung glaubt, ist auch anfälliger dafür, die
nächste zu glauben und zu verbreiten. So verlieren immer mehr Menschen das
Vertrauen in den Staat und seine Institutionen. Die Basis unserer
Demokratie erodiert, wenn immer extremere und menschenfeindlichere
Positionen an Boden gewinnen. Dabei fällt es
[4][Demokratiefeind*innen] und autoritären Staaten durch Social Media
– Nutzung und KI immer leichter, Verschwörungsnarrative auch bei uns zu
verbreiten.
## Keine Macht der Verschwörung
Deshalb müssen wir uns dringend damit auseinandersetzen, wie wir
Verschwörungsgläubige wieder zurück in die Gesellschaft holen, wie wir
Stigmatisierung vermeiden, [5][Aussteigerprogramme] fördern und präventive
Maßnahmen ergreifen, damit Menschen resilient gegen Falschinformationen und
Propaganda sind. Wie solche Programme funktionieren könnten, sollten Staat
und Zivilgesellschaft so schnell wie möglich ausarbeiten.
Ich werde meinen Freund demnächst wieder zum Essen einladen. Vielleicht
werden wir über Politik sprechen, vielleicht werden wir das Thema
vermeiden. Auf jeden Fall will ich dafür kämpfen, dass die
Verschwörungserzählungen keine Macht über unsere Freundschaft erhalten.
11 Jun 2023
## LINKS
[1] /Grass-und-die-Verschwoerung/!5096617
[2] /Neue-Comics-ueber-Verschwoerungserzaehlungen/!5885282
[3] /Verschwoerungen-und-Desinformation/!vn5851625
[4] /Wie-verteidigen-wir-die-Demokratie/!vn5889245
[5] /Aussteigerprogramm/!5138809
## AUTOREN
Theresa Hannig
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