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# taz.de -- Digitale Streetworker: Bahnhofsvorplatz im Internet
> Das Leben von Jugendlichen verlagert sich nicht erst seit der Pandemie in
> den digitalen Raum. Streetworker*innen folgen ihnen nun dorthin.
Bild: Früher war es der Bahnhofsvorplatz, heute trifft man junge Menschen im I…
Ein*e Streetworker*in ist vermutlich die letzte Person, die man im
Homeoffice vermuten würde. Aber Nando Petri vom Bayerischen Jugendring
(BJR) kann von zu Hause arbeiten. Alles, was er braucht, ist ein Rechner
mit Internetzugang. Seine Straße liegt nicht in Regensburg, wo er wohnt.
Seine Straßen sind Reddit, Discord und Instagram. „Jede dieser Plattformen
sind komplett unterschiedlich, und das ist auch immer die große
Herausforderung in der täglichen Arbeit“, sagt Petri. Aber es seien die
Orte, an denen man die Jugendlichen heute abholen müsse.
Grundsätzlich gilt: Eine Plattform, bei der der Ansprechpartner kein
gesichtsloser Konzern ist, vereinfacht die Sache ungemein. „Auf Reddit und
Discord haben wir die Moderatoren von Subreddits (einer Art Internetforum,
die Red.) beziehungsweise den Host des Discordservers angeschrieben“, sagt
Petri. „Dort machen wir sehr viel aufsuchende Arbeit und werden von den
Moderatoren auch benachrichtigt, wenn sie ein Problem sehen. Das heißt, wir
schreiben die betreffende Person dann mit einem unverbindlichen Angebot
an.“
Oft funktioniert das – die Anonymität des Internets macht es Menschen
einfacher, [1][über ihre Probleme zu reden]. Anders ist es auf Instagram:
„Hier produzieren wir hauptsächlich eigene Inhalte und greifen allgemeine
Anfragen an uns auf.“
Digital Streetwork ist ein Novum in Deutschland – seit Oktober 2021
existiert das Pilotprojekt in Bayern. Ein bundesweiter Versuch läuft seit
diesem Jahr, durchgeführt von der Amadeu-Antonio-Stiftung und finanziert
von der Bundeszentrale für politische Bildung.
## Unterstützung für den Familienchat
Und Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn der Föderalismus nicht seine
Blüten triebe: Das Projekt des BJR, in dem Petri mitarbeitet, ist nach
Regierungsbezirken organisiert. „Uns ist klar, dass das Internet keine
Regionen kennt“, sagt Petri. „Die regionale Struktur des Projekts hat mit
der Finanzierung durch das Land Bayern zu tun. Wir sind da auch noch in
einem Entwicklungsprozess.“
Während Nando Petri und der Bayerische Jugendring sich in erster Linie auf
individuelle Probleme der Internetnutzer konzentrieren und Menschen helfen,
die etwa unter Mobbing oder Depressionen leiden, geht die
Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) in ihrer Arbeit einen anderen Weg. „Unser
Hauptthemenschwerpunkt ist [2][Desinformation]“, sagt Theresa Lehmann von
der AAS. Sie ist auf [3][Tiktok] unterwegs, dem derzeit beliebtesten
sozialen Netzwerk bei Jugendlichen. Pre:bunk heißt das Projekt und soll
junge Menschen dabei unterstützen, Falschinformationen zu identifizieren
und Medienkompetenz zu entwickeln.
„Wir helfen zum Beispiel auch, wenn Onkel Erwin im Familienchat fragwürdige
Videos postet und damit Unruhe schafft“, sagt Lehmann. „Da haben wir dann
ein Video gemacht, wo wir erst mal die Person aufgebaut haben und ihr
geraten haben, sich auch innerhalb der Familie Unterstützung zu holen. Es
ist wichtig, dass gerade jüngere Menschen nicht alleine mit der Situation
sind.“
Im Anschluss schauen sich die Streetworker die geteilte Quelle an und geben
schließlich auch Tipps, wie man Regeln in Familienchats einfordern kann –
etwa, dass politisch strittige Inhalte nicht hier verhandelt werden.
## Desinformation auf Tiktok
Auch aktuelle Trends begutachten die Streetworker – und konnten zum
Beispiel herausfinden, dass das virale Meme „Attenzione Pickpocket“ aus der
Feder der italienischen Rechten stammt. Der Urheberin, Monica Poli, hat die
New York Times sogar ein Porträt gewidmet – und dabei übersehen, dass sie
für die Lega im Stadtrat von Venedig sitzt. „Durch die Filter und Sounds
auf Tiktok entstehen neue Formen der Desinformation“, sagt Lehmann. „Und
ich muss mich als Nutzer*in auch fragen: Wem gebe ich hier eigentlich
Reichweite?“
Ob die Amadeu-Antonio-Stiftung das Projekt weiterbetreiben kann, steht
allerdings in den Sternen, denn: Träger des Projekts ist die Bundeszentrale
für politische Bildung. Im Haushaltsentwurf der Ampel für 2024 sollen deren
Mittel um 20 Millionen Euro gekürzt werden. Das könnte vor allem die
Kooperationen mit Dritten treffen, wie eine mit der Materie vertraute
Quelle gegenüber der taz verlauten lässt. Die AAS müsste sich also
vermutlich ab Januar einen neuen Geldgeber suchen, wenn sie auf Tiktok das
Feld nicht räumen will.
2 Sep 2023
## LINKS
[1] /Schwere-Krankheit-auf-Social-Media/!5921375
[2] /Russische-Desinformation-in-Deutschland/!5918393
[3] /Angst-vor-TikTok/!5921307
## AUTOREN
Tom Haas
## TAGS
Verschwörung
Internet
Jugendarbeit
Reddit
Amadeu-Antonio-Stiftung
Bundeszentrale für politische Bildung
Verschwörung
wochentaz
Silvesterknallerei
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