| # taz.de -- Autor über vererbte Gefühle: „Wir stehen alle in der Reihe unse… | |
| > Laut dem Autor Sven Rohde gibt es Gefühle, die innerhalb von Familien | |
| > weitergegeben werden. In Hamburg stellt er sein neues Buch „Gefühlserben“ | |
| > vor. | |
| Bild: Wenn Angststörungen bei Schlüer*innen auftreten: Blick in das Büro der… | |
| taz: Herr Rohde was sind Gefühlserben? | |
| Sven Rohde: Wir sind alle Gefühlserben. Wir stehen alle in der Reihe | |
| unserer Ahnen und sind viel stärker von ihnen geprägt, als den allermeisten | |
| von uns bewusst ist, vielleicht auch mehr, als wir es möchten. [1][Familie] | |
| prägt uns in unserem Denken, Fühlen und Handeln stark, zumal dann, wenn wir | |
| davon nichts wissen. Gefühlserbe ist dabei ein neutraler Begriff. Es kann | |
| ein positives, ein negatives aber auch ein richtig furchtbares Erbe sein. | |
| taz: Sollte man sich sein Gefühlserbe immer bewusst machen oder nur, wenn | |
| es wirklich furchtbar ist? | |
| Rohde: Es hilft, wenn man es sich insgesamt bewusst macht. Die | |
| Erziehungswissenschaftlerin Elisabeth Raffauf sagt, dass Eltern vor der | |
| Geburt ihres ersten Kindes eine kleine Autobiografie schreiben sollten. Auf | |
| 10 bis 20 Seiten sollten sie ihr Leben reflektieren, damit das Gefühlserbe | |
| nicht ungefiltert auf das Kind übertragen wird. | |
| taz: Reicht das schon? | |
| Rohde: Ein bisschen mehr sollte man schon tun. Wir müssen bei uns in | |
| Deutschland nicht weit zurückschauen, da sind wir schnell bei der | |
| Generation unserer Großeltern in der [2][Nazizeit] angekommen. Vielleicht | |
| mussten sie fliehen oder waren in das Nazisystem verstrickt, der Großvater | |
| war im Krieg. All diese negativen Gefühlserbschaften prägen uns persönlich, | |
| aber auch unsere Gesellschaft immer noch sehr, vor allem, wenn wir uns | |
| ihrer nicht bewusst werden. | |
| taz: Warum? | |
| Rohde: Weil wir nur verändern können, wovon wir wissen. In jedem Workshop | |
| und Vortrag, den ich halte, gibt es Menschen, die können nicht entspannt | |
| für ihren Urlaub packen. Allein die Vorahnung, dass sie nächsten Freitag | |
| für die anstehende Reise nach Mallorca die Kleidung aus dem Schrank in den | |
| Koffer räumen müssen, sorgt für immensen Stress. Notgedrungen schaffen sie | |
| es dann doch, verstehen aber nicht, warum es so schwerfällt. Aber stellen | |
| wir uns folgende Situation vor: Wir sind am Ende des Zweiten Weltkriegs in | |
| Ostpreußen, die Front rückt heran, man hört den Donner der Geschütze und | |
| hat zehn Minuten, um Hab und Gut auf einen Pferdespannwagen zu laden und zu | |
| fliehen. Dieser Stress ist von den Familien nie aufgearbeitet worden und | |
| wird als Gefühlserbe übertragen. | |
| taz: Wo sitzt es denn, das Erbe? | |
| Rohde: Es sitzt in einem [3][Zusammenspiel aus Genen und Sozialisierung] | |
| und wird auf unterschiedlichen Ebenen übertragen. Wir tragen circa | |
| 23.-25.000 Gene in uns und längst nicht alle sind aktiv. Das wird durch das | |
| Epigenom bestimmt, eine Art Informationsoberfläche oberhalb der Gene. | |
| Und die Gene würden sich durchs Erleben verändern …?! | |
| Rohde: Nein. Erleiden Menschen Traumata, bleiben die Gene unangetastet, | |
| aber [4][das Epigenom kann sich verändern]. Das kann erklären, warum etwa | |
| Kinder und Enkel von Holocaustüberlebenden weniger resilient sind: Sie | |
| haben das Epigenom ihrer Vorfahren geerbt. Sie könnten dann anfälliger für | |
| ein posttraumatisches Belastungssyndrom sein. Aber es spielen auch | |
| unbewusste Übertragungsphänomene eine große Rolle. | |
| taz: Wie kann man sich befreien?: | |
| Rohde: Dysfunktionale Verhaltensmuster können aus eigenem negativem Erleben | |
| entstehen. Das kann ich in einer Therapie oder in einem Coaching | |
| aufarbeiten und das Muster löst sich auf. Wenn ich aber in meinem Leben | |
| keine Begründung für das dysfunktionale Verhalten finde, kann ich mit | |
| großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es ein Gefühlserbe ist. | |
| Erst, wenn ich mir dieses Gefühlserbe bewusst mache, kann ich mich daraus | |
| lösen und zu dem kommen, was mein Eigenes ist. | |
| 21 Oct 2024 | |
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| [3] https://www.ie-freiburg.mpg.de/5803672/2023_11_07_doku_iovino_trauma_erben_… | |
| [4] https://www.spektrum.de/magazin/epigenetik-traumatisches-erbe/2071347 | |
| ## AUTOREN | |
| Fanny Schuster | |
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