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# taz.de -- Genetik-Datenleak in den USA: Die Geschichte eines digitalen Super-…
> Das Ahnenforschungsportal 23andMe wollte die großen Rätsel der Menschheit
> lösen. Doch nach einem Hack landeten viele hochsensible Daten im Darknet.
Bild: Testkit der Firma 23andme: Laut Medienberichten sollen die Gendaten – d…
Chenedy Wiles ist Afroamerikanerin. Seit einiger Zeit trieb sie die Frage
um, woher ihre Vorfahren stammen. Im Internet suchte die 27-jährige
Pflegerin aus Chicago nach Ahnenforschungsportalen und stieß dabei auf das
Angebot von 23andMe. Das US-Start-up [1][bietet Gentests] für Herkunfts-
und Gesundheitsanalysen an. „Finden Sie heraus, was [2][Ihre DNA] über Sie
und Ihre Familie aussagt“, wirbt das Unternehmen auf seiner Webseite.
Wiles war überzeugt und bestellte im vergangenen Jahr ein Testkit. Zu Hause
spuckte sie in ein Röhrchen und schickte die Speichelprobe ein. „Einer der
Gründe, weshalb ich mich entschieden habe, den Test durchzuführen, ist,
dass es als Afroamerikaner sehr oft vorkommt, dass unser Erbe verloren
geht“, erzählte sie dem US-Radiosender NPR.
Ein paar Wochen später lag der Befund im Briefkasten. Ergebnis: Sie ist
knapp 40 Prozent nigerianischer Abstammung. Das sei „aufregend und cool zu
sehen gewesen“, berichtete Wiles, „weil ich immer gedacht habe, dass ich
Cousins [3][aus Westafrika] habe“. Doch nun ist das Start-up pleite –
23andMe hat vor wenigen Tagen Insolvenz angemeldet.
15 Millionen Kunden, die wie Wiles einen DNA-Test gemacht haben, fragen
sich: Was passiert mit meinen Daten? Laut Medienberichten sollen die
Gendaten, die zur Insolvenzmasse gehören, verkauft werden – ein
Insolvenzrichter erteilte die Erlaubnis für die Veräußerung des
wertvollsten „Assets“ der Firma.
Während sich Datenbroker und Krankenversicherungen die Hände reiben,
schrillen bei Datenschützern und Kunden die Alarmglocken. Die Server von
23andMe brachen nach der Insolvenzmitteilung zusammen, weil Nutzer
massenhaft auf die Seite zugriffen und ihr Profil löschen wollten.
## Selbst das Pentagon warnte seine Belegschaft
Nun ist genau das eingetreten, wovor Daten- und Medizinethiker immer
gewarnt hatten: der digitale Super-GAU. Wie konnte es dazu kommen?
23andMe galt als der neue Star am Biotech-Himmel. Die Gründerin Anne
Wojcicki, die Schwester der im vergangenen Jahr verstorbenen Youtube-Chefin
Susan Wojcicki und Ex-Frau von Google-Gründer Sergey Brin, träumte von
einem Google für Genetik, das mithilfe von Big-Data-Analysen das
menschliche Genom entschlüsselt. Sie sprach auf Podien, gab Interviews in
großen Zeitungen und wurde von Investoren hofiert.
23andMe sammelte Geld von namhaften Wagniskapitalgebern, auch Google
investierte in das Start-up. Gemeinsam mit einer Reihe weiterer
Genealogie-Plattformen mischte 23andMe in einem riesigen Wachstumsmarkt mit
und ging sogar eine Kooperation mit dem Zimmervermittler Airbnb ein, um
Ahnenforschungsreisen („Heritage Travel“) zu organisieren.
2018 stieg der Pharmariese GlaxoSmithKline mit 300 Millionen Dollar ein,
2021 folgte der Börsengang. Mit den Gendaten sollten neuartige Medikamente
entwickelt werden. Ein Milliardengeschäft lockte.
Datenschützer warnten jedoch vor den Risiken solcher DNA-Tests – unter
anderem, weil Ermittler auf die Datenbanken zugriffen und im Rahmen ihrer
computerisierten Rasterfahndung auch Verwandte in Sippenhaft nahmen.
IT-Experten äußerten Bedenken an der Datensicherheit: Wenn Gendaten in die
falschen Hände gelangen, könnte damit Versicherungsbetrug begangen werden.
Selbst das Pentagon warnte seine Leute, aus Sicherheitsgründen auf
DNA-Tests zu verzichten.
## Sammelklage der Nutzer
Im Oktober 2023 kam es dann, wie es kommen musste: Die Datenbank wurde
gehackt. Cyberkriminelle erbeuteten Daten von fast sieben Millionen Kunden.
Die Datensätze landeten wenig später im Darknet. Die betroffenen Nutzer
schlossen sich zu einer Sammelklage zusammen, das Start-up einigte sich mit
den Klägern in einem Vergleich auf eine Zahlung von 30 Millionen Dollar.
Die Folge: Die Anleger wurden nervös, der Aktienkurs brach ein. 23andMe
verkam zum Pennystock. Gründerin Wojcicki wollte das Unternehmen schon im
vergangenen Jahr von der Börse nehmen. Die interne Arzneimittelforschung
wurde aufgelöst, der gesamte Vorstand trat geschlossen zurück.
Es ist die Geschichte eines Niedergangs einer Firma, die glaubte, die
großen Rätsel der Menschheit „lösen“ zu können: Herkunftsfragen,
Erbkrankheiten, dunkle Familiengeheimnisse. Und scheiterte.
Die Implosion einer Gendatenbank wird nun zum Testfall für die digitale
Privatsphäre: Wie können sich Menschen, die ein Risiko für Erbkrankheiten
haben, vor Diskriminierung schützen?
Müsste man DNA analog zu Blut, Sperma oder Eizellen, die im (deutschen)
Zivilrecht als abgetrennte Körperteile, als bewegliche und eigentumsfähige
Sachen gelten, behandeln und so etwas wie ein Recht am eigenen Datenkörper
begründen? Braucht es eine Treuhandverwaltung oder gar eine Bad-Bank für
Erbinformationen?
## EU-Datenschutzgrundverordnung ist stumpfes Schwert
Genetische Daten sind nicht einfach ein Vermögenswert wie Immobilien oder
Patente, die beim Verkauf einer Firma einfach an den neuen Eigentümer
übergehen. Es sind hochsensible Informationen, die auch die persönliche
Integrität von Verwandten betreffen – und bei einer Weitergabe deren
Zustimmung bedürften.
Im Genom sind auch Informationen über die Ethnie codiert, was das Risiko
genetischer Diskriminierung erhöht. Datenbroker lauern nur auf
Kaufgelegenheiten von Datensätzen, um daraus Risikoprofile für
Krankheitsbilder zu erstellen und diese Erkenntnisse an Versicherungen zu
verkaufen – in den USA ein übliches Geschäft.
Wer eine genetische Disposition für Neurodermitis oder Brustkrebs hat,
zahlt drauf – oder wird im schlimmsten Fall erst gar nicht versichert. Zwar
gibt es in den USA seit vergangenem Jahr ein Gesetz, das den
undurchsichtigen Markt der Datenbroker reguliert. Doch wohin Daten bei
Firmenpleiten abfließen, ist unklar.
So bleibt auch das Recht auf Löschung personenbezogener Daten, das neben
der EU-Datenschutzgrundverordnung auch in einigen US-Bundesstaaten (etwa im
California Consumer Privacy Act) verankert ist, ein stumpfes Schwert.
Der Rechtsprofessor Daniel J. Solove argumentiert, dass die
US-Wettbewerbsbehörde FTC den Verkauf von Gendaten als „Unfairness“-Aktion
einstufen und verbieten könnte.
Für Hobby-Ahnenforscher wie Chenedy Wiles dürfte dies zu spät kommen. Der
menschliche Wunsch, Herkunftsfragen und Krankheiten zu „lösen“, könnte am
Ende in sozialdarwinistischer Auslese münden.
1 Apr 2025
## LINKS
[1] /Fehler-im-Genom/!6020748
[2] /DNA-Entdeckung-beruht-auf-Ideendiebstahl/!5927364
[3] /Migration-aus-Senegal/!6067014
## AUTOREN
Adrian Lobe
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