| # taz.de -- Scholz in Schwerin: „Deutsche Einheit unvollendet“ | |
| > Bei einer zentralen Feier im Mecklenburgischen Staatstheater findet | |
| > Kanzler Scholz mahnende, aber auch lobende Worte. | |
| Bild: Ein Selfie für die Nation: Schwesig, Bas, Büdenbender, Steinmeier, Scho… | |
| Schwerin dpa | Zentrale Feierlichkeiten in Schwerin: Zum Tag der Deutschen | |
| Einheit hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das Zusammenwachsen von Ost und | |
| West als weit vorangeschrittenen, aber unvollendeten Prozess beschrieben. | |
| Beim Festakt zum 34. Jahrestag der Deutschen Einheit mahnte er vor rund 450 | |
| geladenen Gästen, unter ihnen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die | |
| Brüche nicht zu vergessen, die die gewonnene Freiheit für das Leben vieler | |
| Ostdeutscher mit sich brachte. | |
| Zum Auftakt der Feiern hatten Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt und | |
| Erzbischof Heiner Koch zu einem ökumenischen Gottesdienst in den Schweriner | |
| Dom geladen. Auf den Straßen der Landeshauptstadt feierten Tausende | |
| Menschen den Tag bei einem Bürgerfest. | |
| „Ich verrate hier kein Geheimnis: Vollendet in diesem Sinne ist die | |
| Deutsche Einheit auch nach 34 Jahren natürlich nicht“, sagte der Kanzler. | |
| Rufe man sich jedoch die damalige Ausgangslage in Erinnerung, „dann sind | |
| wir gleichwohl weit vorangekommen“. | |
| ## Kein anderes Land vor ähnlicher Herausforderung | |
| Schließlich gebe es kein vergleichbares Land der Welt, das in den | |
| vergangenen Jahrzehnten vor einer ähnlichen Herausforderung gestanden habe: | |
| „Vor der Herausforderung nämlich, zwei über vier Jahrzehnte hinweg | |
| geteilte, völlig verschieden organisierte Teilgesellschaften | |
| zusammenzubringen – wirtschaftlich, politisch, kulturell und mental.“ | |
| Gleichwohl ermahnte er die Bürgerinnen und Bürger, niemals die auch | |
| negativen Folgen der Wiedervereinigung für die Menschen im Osten zu | |
| vergessen. „Für Millionen (…) bedeutete der Umbruch damals Befreiung und | |
| Neuanfang. Aber für Millionen war der Umbruch in den Jahren nach der | |
| Einheit für vor allem eines: ein Zusammenbruch.“ Für viele sei das Leben | |
| zusammengebrochen, „eine Entwertung ihres Wissens, ihrer Erfahrungen, ihrer | |
| Lebensleistung“. Das gehöre auch zur Geschichte Deutschlands seit 1990. | |
| „Das darf niemals vergessen oder unter den Teppich gekehrt werden.“ | |
| ## Kampf gegen Extremisten „noch viel harte Arbeit“ | |
| Nicht nur in Ostdeutschland „erleben wir Landtagswahlen, bei denen sich | |
| manchmal bis zu einem Drittel der Wählerinnen und Wähler gerade für eine | |
| autoritäre und nationalradikale Politik entscheidet“ und für Populisten, | |
| die die freiheitliche Demokratie bekämpften, sagte Scholz. Das sei | |
| verhängnisvoll und schade dem gesamten Land. „Es wird noch viel harte | |
| Arbeit nötig sein, um diese Entwicklung zurückzudrehen.“ | |
| Gleichzeitig betonte er, die ganz große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger | |
| überall in Deutschland stehe fest auf dem Boden der freiheitlichen Ordnung. | |
| „Das sind die Vernünftigen und die Anständigen. Das sind die, die nicht nur | |
| motzen, sondern anpacken für unser Land.“ Diese Mitte sei viel größer als | |
| die Radikalen an den Rändern. Ihm sei wichtig, klar zu sagen: „Wir sollten | |
| niemals vergessen und kleinreden, was im Osten seit 1990 geleistet, was | |
| hier aufgebaut wurde – und wie weit wir gemeinsam vorangekommen sind in | |
| Deutschland insgesamt.“ | |
| ## Scholz für weitere Angleichung der Lebensverhältnisse | |
| Scholz sprach sich für eine weitere Angleichung der Lebensverhältnisse in | |
| Ost und West aus. Außerdem sollten mehr Ostdeutsche in den Chefetagen des | |
| Landes sitzen. Der Anteil „lässt sich, guter Wille vorausgesetzt, überall | |
| systematisch steigern“. Wie die Bundesverwaltung sollten auch andere | |
| Institutionen, Organisationen oder Branchen „hier ihre Verantwortung | |
| wahrnehmen – schon aus wohlverstandenem Eigeninteresse“. | |
| Mecklenburg-Vorpommerns [1][Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD)] | |
| würdigte als Bundesratspräsidentin und damit Gastgeberin der | |
| Feierlichkeiten die Leistung jener, die mit „ihrer friedlichen Revolution | |
| die Diktatur und die innerdeutsche Grenze zu Fall gebracht“ haben. Als im | |
| Westen kaum jemand an Veränderungen [2][im Osten] geglaubt habe, hätten die | |
| Menschen in der [3][DDR] Freiheit und Demokratie gefordert. „Seit 34 Jahren | |
| in einem vereinten Land in Frieden, Freiheit und Demokratie“ zu leben: „Das | |
| ist alles andere als selbstverständlich.“ | |
| ## Schwesig: Der Osten muss stärker wahrnehmbar sein | |
| Schwesig lobte, im Osten seien inzwischen erfolgreiche Unternehmen | |
| entstanden, die Arbeitslosigkeit sei zurückgegangen. „So hart der | |
| wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel nach der Vereinigung auch war: | |
| Wir haben ihn bewältigt.“ Seit der Vereinigung hätten sich | |
| Mecklenburg-Vorpommern und die anderen ostdeutschen Länder enorm | |
| entwickelt. Städte und Dörfer seien schöner geworden. Gleichwohl müsse der | |
| Osten stärker wahrnehmbar sein – in Debatten wie in Führungspositionen. | |
| Die zentrale Einheitsfeier in Schwerin dauert noch bis Freitag. Dabei | |
| präsentieren sich alle Bundesländer, Bundestag, Bundesrat, Ministerien und | |
| viele Institutionen mit eigenen Pavillons und Ständen. Zudem gibt es ein | |
| vielseitiges kulturelles Angebot. Am Abend tritt Schlagersänger Roland | |
| Kaiser vor dem Schweriner Schloss auf, dem Wahrzeichen der Welterbestadt. | |
| Die Einheitsfeier steht unter dem Motto „Vereint Segel setzen“. Im | |
| kommenden Jahr richtet das Saarland – das dann die | |
| Bundesratspräsidentschaft hat – die zentrale Einheitsfeier aus. | |
| 3 Oct 2024 | |
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