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# taz.de -- Agroforst-Systeme in der Landwirtschaft: Streiflicht im Ackerbau
> Einige Baumstreifen auf Äckern sollen die Landwirtschaft verändern.
> Agroforst-Systeme versprechen viele Vorteile. Warum gibt es nur so wenige
> davon?
Bild: Gestreift wächst es sich besser
Löwenberger Land taz | Fällt der Blick nur auf die Feldfrüchte, erscheint
der Acker im Löwenberger Land in Brandenburg völlig unspektakulär. Auf der
Fläche 25 Kilometer nördlich von Oranienburg stand 2022 Raps, 2023
Futtergerste und in diesem Jahr wurden Futtererbsen ausgesät. Spannender
aber ist das, was sich zwischen den Pflanzen befindet. Schmale Baumreihen
trennen die Ackerflächen. In kleinen Gruppen stehen neben niedrigen Büschen
jeweils drei Bäume als Gruppe zusammen.
Ihr Stamm ist noch immer dünn, man kann ihn mit zwei Händen umfassen. Die
größten sind vielleicht drei Meter. Junge Bäume, noch längst nicht
ausgewachsen. „Das sieht nicht spektakulär aus und ist doch eine kleine
Revolution“, sagt Tobias Cremer. Er ist Professor am Fachbereich für Wald
und Umwelt der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde.
Agroforst nennt sich diese Co-Kultur, die Land- und Forstwirtschaft
kombiniert. Noch wird sie von wenigen Landwirt:innen genutzt, dabei
sprechen Expert:innen ihr viele Vorteile zu.
Mit festen Schuhen und Jeans läuft Cremer über einen der Pflanzstreifen. Er
kennt seine Wege auf dem Acker. Seit sieben Jahren ist er immer wieder da,
um das Agroforst-System zu erforschen. Er möchte wissen, welchen Einfluss
es auf verschiedene Faktoren hat, etwa den Boden, die Pflanzen und den
Ertrag.
Für die Untersuchungen ist der Acker im Löwenberger Land ein
Paradebeispiel. Die Böden in Brandenburg sind relativ sandig und anfällig
für starke Winde. In den vergangenen Jahren war der [1][Nordosten
Deutschlands] besonders von [2][Dürre] betroffen. Der Landwirtschaft
beschert das große Probleme. Eine Lösung könnte der Agroforst bieten. Die
genauen Effekte der Anbaumethode können die Forschenden auf dem
Brandenburger Acker selbst allerdings noch nicht bemessen. Dafür ist der
Agroforst zu jung. Dennoch: „Erste Tendenzen können wir schon sehen, aber
für einen richtigen Zusammenhang müssen wir noch ein paar Jahre warten“,
sagt Cremer.
## Mein Baum und Helfer
Auf dem Versuchsacker in Brandenburg arbeitet die Hochschule mit einem
Landwirt aus der benachbarten Gemeinde Großmutz zusammen. Der Acker soll
ein Vorzeigeprojekt werden, eine Art Werbefläche für die Agroforst-Idee.
Von der ist Cremer überzeugt.
In der Planung wurden die Baumstreifen so angelegt, dass der Landwirt seine
bisherigen Maschinen auch dort einsetzen kann. Der Aufwand sollte für ihn
so gering wie möglich sein. Entscheidend sei immer wieder die Frage der
Akzeptanz für das System, sagt der Forscher. Die Landwirt:innen sollen
sich so wenig wie möglich umstellen müssen.
Am Tag unseres Besuchs ist es windig, bei jedem Windstoß rascheln die
Blätter an Bäumen und Büschen. Der starke Wind kann zu schneller trocknende
Böden und zur sogenannten Winderosion führen. Dabei trägt er langsam den
Boden und damit fruchtbare Schichten ab.
Die Auswirkungen können weit über das Feld hinausgehen, wie bei einem
Unfall auf der A 19 in Mecklenburg-Vorpommern 2011. Dort führte [3][ein
Sandsturm zu einer Massenkarambolage], bei der acht Menschen starben.
Riesige weite Ackerflächen, über die der Wind ungebremst schrappt, können
zu solchen Sandverwehungen führen. [4][Studien] zu Agroforst-Systemen
zeigen, dass die regelmäßig verteilten Baumreihen den Wind deutlich
aufhalten können.
Der Klimawandel sorgt außerdem dafür, dass Niederschlag häufiger [5][in
kurzer Zeit als Starkregen] fällt. Der Ackerboden ist dann oft nicht in der
Lage, den gesamten Niederschlag aufzunehmen. Im schlimmsten Fall schießen
die Wassermassen über leicht abschüssige Äcker und zerstören die Pflanzen.
Ähnlich wie beim Wind können Baumstreifen auch hier bremsend wirken.
Zusätzlich kann durch die Streifen mehr Wasser im Feldboden versickern.
## Unterschiedlich tief verwurzelt
Trotzdem wirkt es auf den ersten Blick nicht unbedingt intuitiv, mehr
Pflanzen auf der Ackerfläche einzubringen, die selbst auch um Wasser
konkurrieren. Könnte das in Zeiten der Trockenheit nicht zum Problem
werden?
Diese Sorgen kann Christopher Morhart, der an der
Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg zu Agroforst-Systemen forscht,
ausräumen. „Die Bäume sorgen dafür, dass mehr Wasser in den Kronen hängen
bleibt. Ein Teil davon verdunstet, der Rest tropft später auf den Boden,
der es dann verzögert aufnehmen kann.“ Zudem konkurrieren die Wurzeln der
Bäume gar nicht um dieselben Wasservorräte der Ackerpflanzen. Solange der
Acker mit einem Pflug bestellt wird, kappt dieser regelmäßig alle Wurzeln,
die über den Baumstreifen hinausragen.
Entgegen der Annahme können Bäume die Wasserversorgung sogar unterstützen
und [6][als eine Art Wasserpumpe] dienen. Diesen Effekt nennt man Hydraulic
Lift. Bäume mit tieferen Wurzeln befördern dabei Grundwasser im Boden nach
oben. Davon profitieren auch Pflanzen mit Wurzeln in den oberen
Bodenschichten. Die haben dann teilweise mehr Wasser zur Verfügung als die
in herkömmlichen Anbausystemen.
Daraus folgen betriebswirtschaftliche Überlegungen. Kurzfristig verlieren
die Landwirt:innen zwar Ackerfläche an die Baumstreifen, auf denen sonst
etwa Mais wachsen würde. Durch den Verkauf des Holzes der gepflanzten Bäume
sollen die Landwirt:innen ihre Verluste jedoch mittelfristig
ausgleichen. Pflanzt man auf den Baumstreifen beispielsweise schnell
wachsende Pappeln, kann man diese bereits nach wenigen Jahren „ernten“.
Die Baumstreifen wachsen dann zwar nur auf eine Höhe von bis zu 8 Metern.
Wissenschaftliche Studien zeigen aber, dass Baumstreifen auch bei
niedrigeren Baumreihen etwa den Einfluss des Windes deutlich reduzieren
können.
## „Win, win, win“ – auf den zweiten Blick
Wichtig gegen die Vorbehalte sei es, das System als Ganzes zu betrachten.
Wer schon mal ein Maisfeld neben einer Allee gesehen hat, der kennt die
„Wuchsdepression“ im Schattenbereich, wie Morhart sie nennt. Die Pflanzen
dort bekommen weniger Licht, deswegen sind sie kleiner als ihre Kollegen
auf dem Rest des Felds.
Auf Agroforst-Äckern verhält es sich ähnlich. „Das schreckt viele Landwirte
natürlich erst einmal ab“, sagt Morhart. Weitet man den Blick, erkennt man
aber, dass die Baumstreifen insgesamt eine positive Auswirkung auf den
Acker haben. „Wenn man etwas weiter von den Bäumen entfernt schaut, haben
wir mehr Ertrag als auf der Freifläche ohne Gehölzstreifen“, sagt Morhart.
Für ihn sind Agroforst-Systeme ein „Win, win, win“, zumindest aus
wissenschaftlicher Sicht. In der Praxis gibt es oft Hindernisse. Deshalb
engagiert sich Morhart in dem relativ jungen deutschen Fachverband für
Agroforstwirtschaft (DEFAF), der inzwischen auf etwa 300 Mitglieder kommt.
Mit Infoveranstaltungen, Flyern und Beratung will der Verband
Landwirt:innen den Einstieg in Agroforst-Systeme erleichtern.
Aber was macht die Umsetzung eigentlich so schwer? Zum einen geht es um
Besitzverhältnisse bei Ackerflächen in Deutschland. Im Jahr 2020 waren
[7][68 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen] in Ostdeutschland
Pachtflächen, in Westdeutschland waren es 56 Prozent. Die entsprechenden
Pachtverträge sind oft zeitlich begrenzt. Will man allerdings Bäume
pflanzen und die positiven Effekte des Agroforst-Systems wirklich nutzen,
kann das Jahrzehnte dauern.
Dagegen rechnen viele in der Landwirtschaft in Jahreszyklen. Weizen säen,
warten, ernten – alles in einem Jahr. Wenn man einen Acker auf ein
Agroforst-System umstellen will, muss man sehr langfristig planen. In
zeitlich begrenzten Modellen fehlt dazu teilweise die Sicherheit. Für viele
Landwirte lohnt es sich dann nicht, in ein solches System zu investieren.
Wer weiß, ob sie davon überhaupt noch nennenswert profitieren oder woanders
von vorne anfangen müssen.
## Politisch kaum gefördert
Die zweite große Hürde ist die Finanzierung. Die Bäume müssen zunächst
gekauft werden. Politisch wird das bisher kaum gefördert. Der Forscher
Tobias Cremer sagt, dass die Subventionen nicht annähernd die
Investitionskosten decken. Wie bei Agrarsubventionen üblich, hängt die
Förderhöhe für die Baumstreifen von der Hektarfläche ab.
Doch genau darin liegt das Problem. Denn das Kriterium bezieht sich nicht
auf die gesamte Fläche des Ackers, der umgewandelt werden soll, sondern
lediglich auf die der Baumstreifen. Selbst bei großen Äckern mit
regelmäßigen Streifen ist die vergleichsweise klein. Es muss ja immer nur
ein Baum draufpassen. Solche Subventionen anders zu verteilen liegt in der
Hand der Bundesregierung.
Eine Förderung wäre zuletzt auch ein Gewinn für die Umwelt. Für
[8][Insekten und größere Tiere] bieten herkömmliche Äcker kaum
Rückzugsräume. Auf Agroforst-Flächen ändert sich das, die Baumstreifen
unterbrechen die großen Flächen und können so Insekten und andere Tiere
beherbergen.
Auf dem Brandenburger Acker erzählt Tobias Cremer: „Hier haben Studierende
sogar schon mal eine Kröte aus dem benachbarten Tümpel entdeckt.“ Für ihn
ist es das erste, glitschige Anzeichen einer „kleinen Revolution“.
8 Oct 2024
## LINKS
[1] /Wassermangel-in-Brandenburg/!5738147
[2] /Grundwasser-Vorkommen/!6016644
[3] /Massenunfall-auf-der-A-19/!5122702
[4] https://link.springer.com/article/10.1007/s10457-014-9700-y
[5] /Hochwasser-in-Sachsen/!6037496
[6] https://link.springer.com/article/10.1007/s10457-021-00614-w
[7] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/07/PD21_N047_41.h…
[8] /Neue-Studie-zu-Insektensterben/!5962842
## AUTOREN
Yannik Achternbosch
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