# taz.de -- Justiz-Skandal in Japan: Freispruch nach 46 Jahren Todeszelle | |
> Fast 60 Jahre nach Verhängung der Todesstrafe hat die japanische Justiz | |
> Iwao Hakamata freigesprochen. Damit saß er weltweit am längsten in der | |
> Todeszelle. | |
Bild: Hideko Hakamata ist die Schwester des zu Unrecht verurteilten Iwao Hakama… | |
Tokio taz | Das Bezirksgericht von Shizuoka hat Iwao Hakamata vom Vorwurf | |
freigesprochen, 1966 vier Menschen ermordet zu haben. Deswegen hatte der | |
inzwischen 88-jährige Japaner [1][weltweit am längsten in einer Todeszelle] | |
gesessen. | |
Fast 60 Jahre nach der Verhängung der Todesstrafe bestätigte das Gericht | |
nun die Unschuld des früheren Boxers. Die Beweise gegen ihn seien | |
fabriziert worden. Sein Anwalt und seine Schwester strahlten nach dem | |
Urteilsspruch vor Freude, Hakamata selbst war nicht vor Ort. Eine | |
[2][Gruppe von Unterstützern] vor dem Gerichtsgebäude jubelte über die | |
späte Gerechtigkeit. | |
Der Freispruch nach dem rund einjährigen Berufungsprozess bestätigt die | |
Kritiker von Japans „Geiseljustiz“, die darauf abzielt, durch Dauerverhöre | |
ohne Anwesenheit eines Anwalts ein Geständnis zu erzwingen. | |
Der Anwaltskammer ist zudem der lange Weg bis zu einer Urteilsüberprüfung | |
ein Dorn im Auge. Den ersten Antrag auf Wiederaufnahme hatten die Anwälte | |
von Hakamata schon 1981 gestellt, den zweiten 2008. Bis zur Freilassung | |
nach 46 Jahren in der Todeszelle, die ohne offizielle Überprüfung des | |
Falles und ohne Eingeständnis des Fehlurteils erfolgte, dauerte es dann | |
noch weiter sechs Jahre. | |
## Beweise und Geständnis fabriziert, Verhöre unmenschlich | |
Unter dem Eindruck dieses Falles setzt sich inzwischen eine Gruppe von 340 | |
Abgeordneten parteiübergreifend für gesetzliche Verbesserungen ein. | |
Der Vorsitzende Richter Koshi Kunii begründete den Freispruch damit, dass | |
die Polizei Kleidungsstücke von Hakamata mit Blut beschmiert hätte, um ihn | |
zu belasten. Sein Geständnis sei „im Grunde eine Erfindung“ gewesen, weil | |
die Verhöre auf unmenschliche Weise stattgefunden hätten und sein Recht auf | |
Schweigen gebrochen worden sei. | |
Offenbar wollte man das Gesicht der Justiz wahren und die damaligen | |
schweren Fehler nicht zugeben. Doch vor anderthalb Jahren ordnete das | |
Oberste Gericht in Tokio ein Wiederaufnahmeverfahren an. Die | |
Wahrscheinlichkeit sei groß, dass die Ermittler die Beweise gegen ihn | |
platziert hätten. | |
Trotz dieses klaren Hinweises auf seine Unschuld forderte die | |
Staatsanwaltschaft in dem Verfahren erneut die Todesstrafe für Hakamata. | |
Nach dem Urteil ließen die Ankläger offen, ob sie Berufung einlegen werden. | |
## Staatsanwaltschaft auf Irrwegen | |
Die Anwälte der Verteidigung haben die Staatsanwaltschaft aufgerufen, den | |
Freispruch nicht mehr anzufechten, damit Hakamata endlich seinen Frieden | |
finden könne. | |
Sein Fall ist erst das fünfte Wiederaufnahmeverfahren im Nachkriegs-Japan, | |
das mit einem Freispruch endete. Die vorherigen Fälle, alle in den 1980er | |
Jahren, wurden ohne Berufung seitens der Staatsanwaltschaft rechtskräftig. | |
Neben den gefälschten Indizien beruhte Hakamatas Verurteilung auch auf | |
einem erpressten Geständnis. Nach eigenen Angaben wurde er in mehr als drei | |
Wochen Polizeigewahrsam 264 Stunden lang verhört und dabei so lange bedroht | |
und auch geschlagen, bis er ein Geständnis unterschrieb. | |
Schon beim ersten Prozesstag hatte er widerrufen, aber das nützte ihm | |
nichts. Einer der drei Richter gab später zu, er habe an der Schuld von | |
Hakamata gezweifelt, aber trotzdem für die Todesstrafe gestimmt. Erst 2007 | |
begann er, sich für seine Freilassung einzusetzen. | |
## Schwere psychische Schäden | |
Unschuldsbeteuerungen aus dem Gefängnis, so schrieb Hakamata einst aus der | |
Todeszelle, seien so „frustrierend wie Bemühungen, etwas Schönes in der | |
Dunkelheit zu sehen“. | |
Die lange Inhaftierung, davon viele Jahre in Isolationshaft, haben seine | |
geistige Gesundheit schwer beschädigt, von sich selbst spricht er in der | |
dritten Person. Er muss von seiner inzwischen 91-jährigen Schwester Hideko | |
versorgt werden, die ihn auch während des Verfahrens im Gerichtssaal | |
vertreten durfte. | |
26 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Todesurteile-in-Japan/!5821016 | |
[2] /Todesstrafe-in-Industriestaaten/!5820981 | |
## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
## TAGS | |
Japan | |
Todesstrafe | |
Justizskandal | |
Social-Auswahl | |
Japan | |
Japan | |
Japan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wahlen in Japan: Rückfall in instabile Zeiten | |
Nach der Wahlschlappe können Japans Premier Shigeru Ishiba und seine | |
liberaldemokratische Partei nur mit Teilen der Opposition weiterregieren. | |
Todesstrafe in Japan: Negativrekord für die Henker | |
In Japan ist die Zahl der vollstreckten Todesurteile so hoch wie seit zehn | |
Jahren nicht mehr. Die Regierung ignoriert internationale Kritik. | |
Verurteilte Mitglieder der Aum-Sekte: Taktieren mit dem Exekutionstermin | |
23 Jahre nach dem tödlichen Giftgasanschlag auf die U-Bahn in Tokio könnten | |
die zum Tode verurteilten Sektenanhänger bald gehängt werden. | |
Todesstrafe in Japan: Exekution in der Parlamentspause | |
Die Gegner der Todesstrafe kritisieren die Geheimhaltung von | |
Exekutionsterminen. Menschenrechtler werfen Japan zudem eine sehr grausame | |
Behandlung der Todeskandidaten vor. |