| # taz.de -- Eskalation im Nahen Osten: Angst vor dem großen Krieg | |
| > Iran droht Israel mit Angriffen. In der Region wächst die Angst, während | |
| > viele Iraner auf das Ende des Regimes hoffen. | |
| Bild: Bei der Gedenkveranstaltung für den Anführer der Hamas, Nasrallah, am 4… | |
| Der iranische Revolutionsführer Ajatollah Chamenei kann sich nicht | |
| entscheiden, ob Israel ein „tollwütiger Hund“ oder eher ein „blutrünsti… | |
| Wolf“ ist. So bezeichnete der Kopf des islamistischen Regimes, das die | |
| iranischen Frauen unterdrücken, schlagen, verhaften, vergewaltigen, foltern | |
| und hinrichten lässt, den jüdischen Staat am Freitag, als er zum ersten Mal | |
| seit fünf Jahren das Freitagsgebet in Teheran leitete. Das letzte Mal war | |
| Chamenei ans Mikrofon getreten, nachdem Kassem Soleimani, Kommandeur der | |
| Kuds-Einheit der iranischen Revolutionsgarden, bei einem amerikanischen | |
| Luftschlag in Baghdad getötet wurde. | |
| Der Kampf der Palästinenser gegen das „Usurpatoren-Regime“ sei legitim. | |
| Israel das Werkzeug der USA, um die Ressourcen der Region zu kontrollieren. | |
| Jeder Schlag gegen dieses Regime sei daher ein Dienst an der Region und an | |
| der gesamten Menschheit, meint der Ajatollah. Der „Al-Aksa-Sturm“, also das | |
| Töten, Vergewaltigen und Entführen von Juden und Beduinen am 7. Oktober, | |
| habe das israelische Regime um 70 Jahre zurückgeworfen, es kämpfe um sein | |
| Überleben. | |
| Welch drastische Folgen die iranische Staatsdoktrin, Israel müsse um jeden | |
| Preis zerstört und Jerusalem „befreit“ werden, auch für die Menschen in | |
| Gaza und im Libanon hat, verschwieg der Revolutionsführer. Er drohte | |
| stattdessen mit einem erneuten Angriff Irans auf Israel. | |
| In der Nacht auf Mittwoch hatte Teheran 181 ballistische Raketen auf Israel | |
| abgefeuert, anders als im April [1][ohne Vorwarnung]. Zwar lässt sich | |
| dieser Angriff kaum als Erfolg verkaufen: Die meisten Geschosse wurden | |
| abgefangen oder schlugen weitab von jedem Ziel in unbewohntem Gelände ein, | |
| einige allerdings sollen Armeestützpunkte getroffen haben. Im von Israel | |
| besetzten Westjordanland wurde dabei ein Palästinenser getötet. Dennoch hat | |
| Regierungschef Netanjahu sofort einen [2][harten Gegenschlag angekündigt]. | |
| Währenddessen ist Bir Hassan zur Geisterstadt geworden. Das Viertel liegt | |
| am nördlichen Rand der zusammen Dahiyeh genannten Vorstädte von Beirut. Die | |
| Straßen scheinen ausgestorben, und die Fenster der teuren Wohnblöcke | |
| bleiben auch am Abend dunkel. Selbst die Straßenkatzen, die sonst zwischen | |
| den geparkten Autos umherhuschen, scheinen verschwunden – ebenso wie viele | |
| der Autos. Das Brummen einer israelischen Drohne begleitet die wenigen, die | |
| noch in Bir Hassan geblieben sind, durch den Tag. | |
| ## Begonnen hat die Eskalation am 7. Oktober 2023 | |
| Eine ältere Frau, die Wangen wettergegerbt, das schwarze Kopftuch tief in | |
| die Stirn gezogen, blickt von einem der Balkone hinunter und verschwindet | |
| dann schnell wieder in der Wohnung. Wenn sie von ihrem Balkon aus Richtung | |
| Osten blickte, würde sie in der Ferne zwei Dinge erkennen: den gigantischen | |
| Gebäudekomplex der Botschaft der Islamischen Republik Iran, mit ihren | |
| unverkennbar persischen Mosaiken und dem Plakat, das an der Außenwand zur | |
| Straße hängt. Darauf das „Who’s who“ der Revolutionsgarden und der iran… | |
| angeführten „Achse des Widerstandes“: Kassem Soleimani, Hassan Nasrallah. | |
| Und richtete sie den Blick etwas weiter die Straße hinauf, sähe sie ein | |
| Gebäude, dessen obere beide Stockwerke nur noch Gerippe sind. Ein | |
| israelischer Luftangriff, der wohl einer Hisbollah-nahen Person galt, hat | |
| es zerstört. | |
| Begonnen hat diese Eskalation des Nahostkonflikts am 7. Oktober 2023, als | |
| Mordkommandos der Hamas Israel überraschen konnten, den Sperrzaun zwischen | |
| Gaza und Israel durchbrachen, Männer, Frauen und Kinder, Alte und Junge | |
| ermordeten und nach Gaza entführten. Die israelische Armee brauchte | |
| Stunden, um Herr der Lage zu werden. Die israelische Regierung hatte nun | |
| zwei Optionen, die Wahl zwischen Pest und Cholera. Option Nummer eins: eine | |
| begrenzte militärische Antwort gegen Protagonisten und Gebäude der Hamas, | |
| dann eine Waffenruhe, um die Geiseln gegen palästinensische Gefangene | |
| auszutauschen. Iran und alle anderen Islamisten in der Region hätten das | |
| als Triumph gefeiert. Der beispiellose Terrorangriff von Irans Truppe in | |
| Gaza wäre belohnt, weitere solche Operationen ermutigt worden. | |
| Option Nummer zwei: der Hamas ernsthafte Verluste zuzufügen, das Leben der | |
| Geiseln hintanstellen und massiv militärisch gegen die Infrastruktur der | |
| Hamas vorgehen, was angesichts der Schutzschildstrategie der Terroristen | |
| absehbar zu sehr vielen zivilen Opfern führen und dem Image Israels in der | |
| Welt schweren Schaden zufügen würde. In beiden Fällen konnte Israel nur | |
| verlieren. | |
| Die israelische Regierung entschied sich für für Option Nummer zwei, unter | |
| anderem auch, weil Premier Benjamin Netanjahu keine Strategie für eine | |
| Deeskalation hat oder haben will. Er war es ja selbst gewesen, der die | |
| Hamas in den vergangenen Dekaden groß werden ließ, um die Palästinensische | |
| Autonomiebehörde zu schwächen. Die Hamas-Strategen bekamen also, was sie | |
| wollten, Zehntausende starben durch Bomben in Gaza. Und doch hatte sich die | |
| Terrororganisation verschätzt, weil sie nicht mit einer so massiven | |
| Operation rechnete. | |
| Weiter ging die Eskalation einen Tag später, am 8. Oktober 2023, als die | |
| Hisbollah Israel mit Raketen angriff. Unter dem Aufmerksamkeitsradar der | |
| Weltöffentlichkeit ist seitdem kein Tag vergangen, an dem keine Raketen aus | |
| dem Libanon auf Israel abgefeuert wurden. Hisbollah-Führer Nasrallah | |
| verknüpfte seine Raketenkampagne mit der Bedingung, er werde erst damit | |
| aufhören, wenn es einen Waffenstillstand in Gaza gebe. Auch er hatte sich | |
| verschätzt. Israel gab nicht klein bei und attackierte schließlich die | |
| Führungsebene und das mittlere Management des militärischen Flügels der | |
| islamistischen Organisation. Auch im Libanon leiden nun die Menschen, über | |
| tausend sind bereits gestorben, viele sind als Binnenflüchtlinge | |
| gestrandet. | |
| ## Viele in Israel haben den Tod von Nasrallah begrüßt | |
| Spätestens seit dem 27. September leert sich die Beiruter Vorstadt Bir | |
| Hassan. An jenem Freitag erschütterte eine Explosion die Vorstadt: Mit | |
| bunkerbrechenden Bomben zielte Israel auf Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah, | |
| der in einem Bunker unter Wohnblöcken im Viertel Haret Hreik sitzt. Einige | |
| Tage später war klar: Der [3][Hisbollah-Chef ist tot]. In der Nacht rief | |
| das israelische Militär an verschiedenen Orten Dahiyehs zur Evakuierung | |
| auf. So ging es seitdem weiter: In der Nacht, meist gegen Mitternacht, | |
| kommt die erste Evakuierungsaufforderung. Nach einer halben Stunde ertönt | |
| die erste Explosion. Das bisherige Maximum waren fünf verschiedene | |
| Aufforderungen in einer Nacht. Etwa eine Woche nach dem Tod Nasrallahs | |
| erschütterte erneut eine Explosion Dahyieh. Dem Geräusch der Explosion | |
| zufolge kamen wohl auch hier bunkerbrechende Bomben zum Einsatz. Das Ziel | |
| war nach Angaben Israels Hashem Safieddine, der Nachfolger Nasrallahs. | |
| Immerhin waren zu diesem Zeitpunkt wohl kaum noch Zivilistinnen und | |
| Zivilisten in Dahiyeh. | |
| Viele in Israel – und einige in den benachbarten Staaten – haben den | |
| [4][Tod von Nasrallah begrüßt]. Auf dem regierungstreuen Kanal 14 wurde mit | |
| Musik und Israel-Fähnchen gefeiert, im moderateren Kanal 12 lud der | |
| Talk-Show-Host Amit Segal seine Gäste ein, mit Arak anzustoßen. Die meisten | |
| lehnten ab. Der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir verteilte bei | |
| einer Sitzung mit Parteimitgliedern Baklava. „Lasst uns so viele von ihnen | |
| unter die Erde bringen, wie wir können“, sagte er. In den Straßen von Tel | |
| Aviv und Jerusalem erlebte ein Song aus dem Libanonkrieg 2006 ein Comeback. | |
| Darin heißt es über Nasrallah: „Wir schicken dich zu Allah, und mit dir die | |
| Hisbollah.“ Mit seiner modernen Luftwaffe und Raketentechnik ist Israel der | |
| Hisbollah, die ebenfalls über moderne Raketen und insgesamt über ein | |
| geschätztes Arsenal von 150.000 Raketen verfügt, noch immer voraus. | |
| Schlecht hingegen läuft offenbar die Bodenoffensive des israelischen | |
| Militärs im Südlibanon, weswegen die Ausgelassenheit in Israel nicht lange | |
| anhielt. Schon in den ersten 24 Stunden nach dem israelischen Vorrücken in | |
| den Libanon am Dienstag wurden laut der israelischen Armee bereits acht | |
| Soldaten bei Gefechten mit der Hisbollah getötet. Mindestens neun sind es | |
| inzwischen, nach Angaben der Hisbollah deutlich mehr, über 20. Das Gelände | |
| ist Medienberichten zufolge vermint, die Hisbollah hat sich tief in die | |
| Dörfer und die hügelige Landschaft des Südlibanon eingegraben – teils | |
| wortwörtlich. Wer in einem bekannten Gelände auf Angreifer wartet, hat den | |
| militärischen Heimvorteil. In dem Guerillakrieg, der im Süden wohl ins Haus | |
| steht, hat Israel weniger strategische Vorteile. Technologische | |
| Überlegenheit ist hier tendenziell weniger kriegsentscheidend. Die | |
| Meldungen aus der Kampfzone befeuern in Israel die Angst vor einem langen | |
| und verlustreichen Krieg. | |
| Die Lage im Libanon entwickelt sich derweil zur humanitären Katastrophe – | |
| und beginnt in manchen Punkten an Gaza zu erinnern. Aus drei Gebieten im | |
| Libanon sind die Menschen bereits geflohen: aus Südbeirut, aus dem | |
| Südlibanon und aus der Bekaa-Ebene im Ostlibanon, in allen drei Gebieten | |
| ist die Hisbollah stark präsent. Der Libanon ist ein flächenmäßig kleines | |
| Land, dazu noch seit 2019 von einer schweren Wirtschaftskrise betroffen. So | |
| verdienen nach dem Währungscrash in den Jahren 2019 und 2020 etwa Soldaten | |
| der libanesischen Armee Berichten zufolge noch etwa 200 US-Dollar im Monat | |
| – während die Mietkosten für eine kleine Wohnung in einem der als sicher | |
| geltenden Viertel von Beirut oft bei 400 US-Dollar beginnen. | |
| Der Libanon hat – im Gegensatz zu Israel – kaum Ressourcen, um seiner | |
| Bevölkerung zu helfen. Fast jeder hier kennt Geschichten von Betroffenen. | |
| Eine junge Frau namens Rayan etwa lebt in Dekweneh, einem christlich | |
| geprägten Viertel in Ostbeirut. Es gilt als sehr sicher. Ihr Freund lebte | |
| mit seiner Familie in Dahiyeh – bis zur vergangenen Woche. Das Haus der | |
| Familie existiert nicht mehr. Sie alle sind nun bei Rayan untergekommen, in | |
| einer kleinen Zweizimmerwohnung. Eine andere junge Frau flüchtete mit ihrer | |
| Familie aus dem Südlibanon in die südliche Großstadt Saida – nur um dort | |
| erneut [5][vor Luftschlägen um ihr Leben zu fürchten] und die Weiterflucht | |
| zu planen. | |
| In den sicheren christlichen Vierteln Beiruts wächst bei so manchen das | |
| Misstrauen: Was ist, wenn unter den aus dem Süden Flüchtenden | |
| Hisbollah-Mitglieder sind? So manche Wohnung dort bleibt leer. Die Besitzer | |
| weigern sich, an Flüchtlinge aus dem Süden zu vermieten. | |
| ## Die Region steht am Rande eines großen Krieges | |
| Weil Israel nun schon zum zweiten Mal einen Luftangriff auf Beirut und | |
| nicht nur auf die südlichen Vororte flog, wächst die Sorge vor einer | |
| erneuten Welle an Flüchtenden. Was, wenn immer mehr Orte im Libanon – denn | |
| das israelische Militär weist immer mehr Dörfer im Süden, teils über | |
| zwanzig Kilometer tief im Landesinneren, zur Evakuierung an – zum | |
| Kriegsgebiet werden? Die UNHCR, das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, | |
| warnt: Die fast 900 verfügbaren Notunterkünfte im Libanon sind nun gefüllt. | |
| Die israelischen Luftangriffe der vergangenen zwei Wochen seien weltweit | |
| die „massivsten der vergangenen 20 Jahre, abgesehen vom Gazastreifen“, | |
| sagte die Chefin der britischen NGO Airwars der Washington Post. Binnen | |
| zwei Wochen sind mehr als 1.200 Menschen getötet worden. Nach libanesischen | |
| Angaben wurden 1,2 Millionen vertrieben. Am Montag drangen israelische | |
| Truppen erstmals seit fast zwei Jahrzehnten in den Libanon ein. Die Armee | |
| spricht von „begrenzten, gezielten Vorstößen“. Doch die stetig wachsende | |
| Liste an Evakuierungsaufforderungen lässt einen groß angelegten Einmarsch | |
| befürchten. | |
| Die Region steht [6][am Rande eines großen Krieges] und sowohl mit Blick | |
| auf den Libanon als auch auf Iran stellt sich für Israel die Frage: Was | |
| will man erreichen? Und lässt es sich überhaupt militärisch erreichen? | |
| Als Ziel der Operation im Libanon gilt zum einen, die rund 60.000 aus dem | |
| israelischen Grenzgebiet vertriebenen Bewohner zurückzubringen und die | |
| Hisbollah-Kämpfer von der Grenze zurückzudrängen. Die auf Israel | |
| gerichteten Raketen und die Kämpfer der Hisbollah-Eliteeinheit Radwan | |
| hinter der Grenze waren für viele Israelis schon vor dem 7. Oktober eine | |
| ständige Bedrohung. Nach den Massakern der Hamas ist man sich im ansonsten | |
| tief gespaltenen Israel einig, mit dieser Bedrohung nicht länger leben zu | |
| können. Das erklärt die breite Unterstützung in der Bevölkerung für die | |
| Offensive gegen die Hisbollah. Selbst der Parteichef der linken | |
| „Demokraten“, Jair Golan, ist dafür und fordert gar eine „temporäre | |
| Besatzung“ eines schmalen libanesischen Grenzstreifens. | |
| Regierungschef Netanjahu aber hat weitreichendere Ziele. Er kündigte bei | |
| einer Rede vor den Vereinten Nationen vergangene Woche erneut an, die | |
| Hisbollah müsse „besiegt“ werden. Dieses Ziel wurde zwar schon gegen die | |
| wesentlich schlechter ausgerüstete Hamas im Gazastreifen nicht erreicht, wo | |
| nach einem Jahr und an die 41.000 toten Palästinensern, darunter viele | |
| Frauen und Kinder, noch immer gekämpft wird. Doch für Netanjahu könnte das | |
| kein Widerspruch sein: Seine Kritiker werfen ihm schon lange vor, dass er | |
| den Krieg bewusst in die Länge ziehe. Der Schlag auf Nasrallah kam laut der | |
| libanesischen Regierung, kurz nachdem die Hisbollah ihre Bereitschaft für | |
| eine 21-tägige Waffenruhe erklärt hatte. | |
| ## Die Frage ist nicht, ob Israel zurückschlägt, sondern wann | |
| Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass das militärische Vorgehen Israels | |
| im Libanon in der Vergangenheit Bedrohungen höchstens kurzfristig beseitigt | |
| hat. Die Hisbollah selbst konnte nach ihrer Gründung an Macht gewinnen, | |
| nachdem Israel im Libanonkrieg 1982 die Palästinensische | |
| Befreiungsorganisation (PLO) von Jassir Arafat aus dem Land vertrieb. Der | |
| getötete Nasrallah nahm seinen Platz an der Spitze der Organisation ein, | |
| nachdem sein Vorgänger Abbas al-Musawi 1992 von einem israelischen | |
| Kampfhubschrauber getötet wurde. Und auch diesmal scheint es wie schon in | |
| Gaza keinen Plan für den Tag danach zu geben. | |
| Israel habe seine „geheimdienstliche und militärische Überlegenheit | |
| bewiesen“, schreibt Sanam Vakil, die Leiterin der Nahost- und | |
| Nordafrika-Abteilung des britischen Thinktanks Chatham House. Doch obwohl | |
| das Land erfolgreich die Ausschaltung von Bedrohungen vorantreibe, habe die | |
| Geschichte gezeigt, dass militärische Siege Israel nie die Sicherheit | |
| gebracht hätten, die es suche. „Sowohl die Hisbollah als auch die Hamas | |
| sind zwar geschwächt, aber noch lange nicht am Ende. Die Fortsetzung der | |
| Kämpfe wird zweifellos eine neue Generation von Kämpfern mobilisieren, wenn | |
| nicht sogar radikalisieren.“ | |
| Auch mit Blick auf den Iran ist weniger die Frage, ob Israel zurückschlagen | |
| wird, sondern wann und wie. Vorstellbar sind Angriffe auf militärische oder | |
| wirtschaftliche Ziele oder ein Schlag auf das iranische Atomprogramm. | |
| Letztere Option wurde in Israel nach dem Raketenangriff am Dienstag | |
| mehrfach gefordert. Experten bezweifeln jedoch, dass die israelische Armee | |
| die übers Land verteilten und oft unterirdisch geschützten Anlagen in einem | |
| einzigen Angriff erreichen könnte. Ein Angriff auf weniger geschützte | |
| Anlagen könnte hingegen den Iran weiter in seinen Bestrebungen befeuern, | |
| eine Atombombe herzustellen. Auch militärische Ziele wie die iranischen | |
| Drohnen und Raketenstützpunkte sollen laut Medienberichten unterirdisch | |
| gebaut und darauf ausgelegt sein, Luftangriffen zu widerstehen. | |
| Andere Aufrufe zur Zurückhaltung aus der internationalen Gemeinschaft | |
| dürften in Israel auf taube Ohren fallen. Die wachsende Kritik an der | |
| israelischen Kriegsführung und der humanitären Katastrophe im abgeriegelten | |
| Gazastreifen haben das Land zunehmend isoliert. Erst am Donnerstag warf | |
| der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell israelischen Soldaten wegen Angriffen | |
| auf Sanitäter in Beirut eine Verletzung des humanitären Völkerrechts vor. | |
| Die Verhängung eines Einreiseverbotes gegen UN-Generalsekretär António | |
| Guterres am Mittwoch verstärkt diese Entwicklung weiter. Dieser habe den | |
| Raketenangriff des Iran nicht eindeutig genug verurteilt, sagte | |
| Außenminister Israel Katz. Guterres hatte auf Twitter geschrieben: „Das | |
| muss aufhören, wir brauchen eine Waffenruhe.“ | |
| Verkalkuliert hat sich aber neben Hamas und Hisbollah auch das Regime in | |
| Teheran. Bis zum April konnte es seinen Stellvertreterorganisationen in der | |
| „Achse des Widerstands“ die Arbeit an der Zerstörung Israels überlassen. | |
| Angesichts der Tötung des Hamas-Führers Ismael Hanijeh in einem Gästehaus | |
| der Revolutionsgarden durch Israel mitten im Iran sah sich das Regime aber | |
| genötigt, zum ersten Mal selbst Israel anzugreifen. Am 13. April waren 300 | |
| Raketen und Drohnen in Richtung Israel gestartet. Der Angriff war vorher | |
| angekündigt worden, wurde zu 99 Prozent abgewehrt und noch in der Nacht von | |
| der Nachricht des iranischen Regimes auf Twitter begleitet, die Sache sei | |
| damit „abgeschlossen“. | |
| ## Ein Schlag gegen die iranische Öl-Infrastruktur wird diskutiert | |
| [7][Der Angriff] markierte eine Zäsur. Erstmals in der Geschichte beider | |
| Staaten hatte der Iran Israel offen attackiert. Nach der Tötung Nasrallahs | |
| und der empfindlichen Verluste von Hisbollah folgte in dieser Woche der | |
| Angriff mit ballistischen Raketen. Das setzt nun aber den amerikanischen | |
| Präsidenten Joe Biden unter Druck, den lautstarken Forderungen der | |
| amerikanischen Rechten nachzugeben und Israel auch bei einem Angriff auf | |
| den Iran Rückendeckung zu geben. | |
| Sehr wahrscheinlich wird der israelische Gegenschlag härter ausfallen als | |
| im April. Aktuell wird laut US-Präsident Joe Biden zwischen den USA und | |
| Israel bereits ein Schlag gegen die iranische Öl-Infrastruktur diskutiert. | |
| Lediglich einen Angriff auf das iranische Atomprogramm lehnt Washington ab. | |
| Doch Netanjahu hat sich im vergangenen Jahr so häufig über die Forderungen | |
| seines engsten Verbündeten hinweggesetzt, dass diese Ansage eher als | |
| Ratschlag denn als strikte Vorgabe gelten kann. | |
| Beobachter in Israel weisen darauf hin, dass der Premier sich schon lange | |
| eine militärische Eskalation mit dem Iran wünsche, welche die USA zu einer | |
| Teilnahme zwingen und möglicherweise zu einem amerikanischen Angriff auf | |
| Teheran würde. Zugleich wird befürchtet, dass Putin seine Verbindungen zum | |
| iranischen Regime vertieft und Öl ins Feuer gießt, um noch mehr Chaos und | |
| Flüchtlingströme zu erzeugen, die den Westen destabilisieren sollen. | |
| Bereits vor dem iranischen Angriff auf Israel hatte sich Netanjahu in einer | |
| Ansprache an die Iraner gerichtet und gesagt, das Regime, das sie | |
| unterdrücke, könne früher fallen, als sie sich das vorstellen könnten. Für | |
| die Regimetreuen im Iran erscheint angesichts dessen die Anwesenheit von | |
| Revolutionsführer Chamenei beim Freitagsgebet als Zeichen seiner | |
| Furchtlosigkeit und als „Demütigung des Feindes“. Auf sozialen Netzwerken | |
| spekulierten vorab manche, dass Israel das Gebetsgelände, den „Mossalla“ in | |
| Teheran, direkt angreifen könnte. | |
| ## Viele haben das Vertrauen in eine friedliche Veränderung verloren | |
| Während Regimeanhänger*innen die jüngsten iranischen Raketenangriffe | |
| auf Israel in großen und kleinen Städten feiern und eine weitere Eskalation | |
| fordern, hat die Realität der Bedrohung die gesamte iranische Gesellschaft | |
| erfasst. Die sozialen Netzwerke spiegeln zunehmend Sorgen vor einem | |
| verheerenden Krieg wider. Diese Angst ist allgegenwärtig und steht im | |
| Kontrast zu den offiziellen Staatsmedien, die den Konflikt und die | |
| angebliche Unbesiegbarkeit des Iran verherrlichen. In einer Umgebung, in | |
| der kritische Stimmen zum Thema Israel systematisch verfolgt werden, bleibt | |
| nur wenig Raum für öffentliche Debatten über die Gefahren eines Krieges. | |
| Doch in privaten Gesprächen und auf den sozialen Plattformen zeigt sich ein | |
| anderes Bild. Farid*, ein 27-jähriger Ingenieurstudent aus Teheran, äußert | |
| seine Bedenken: „Auf der einen Seite haben wir die regierungstreuen | |
| Hardliner, die so verblendet sind, dass sie glauben, im Krieg gegen Israel | |
| und seine westlichen Verbündeten eine Chance zu haben. Auf der anderen | |
| Seite gibt es einige Regimegegner*innen, die meinen, dass das Regime um | |
| jeden Preis gestürzt werden muss – selbst auf Kosten eines Krieges, der das | |
| Land zerstören und ungezählte Leben kosten könnte. Was fehlt, ist eine | |
| Antikriegsbewegung, die aber gleichzeitig regimekritisch ist.“ | |
| Sepideh*, eine 35-jährige Englischlehrerin, sieht die Dinge anders: „Krieg | |
| ist verheerend und fordert unschuldige Menschenleben. Aber es scheint, als | |
| könnten wir Iraner*innen dem Regime alleine nicht mehr entgegentreten. | |
| Wenn ein israelischer Angriff das Ende dieser Herrschaft bedeuten würde, | |
| wäre es das vielleicht wert.“ | |
| Viele Menschen hätten angesichts von Armut, Korruption und der repressiven | |
| Herrschaft der Mullahs das Vertrauen in eine friedliche Veränderung | |
| verloren, sagt Fariba*, eine Journalistin und Politikwissenschaftlerin. Sie | |
| fügt hinzu: „Es ist tragisch, aber einige Menschen sind so verzweifelt, | |
| dass sie sagen: Wenn der Preis für die Freiheit der Krieg ist, dann sind | |
| wir bereit, ihn zu zahlen.“ Diese Haltung mag naiv erscheinen, doch sie ist | |
| ein Teil der Realität im Iran von heute. | |
| Dennoch bleibe die Macht über das Schicksal des Landes fest in den Händen | |
| von Ayatollah Khamenei und den Revolutionsgarden, sagt Fariba. Während die | |
| Opposition und die Bevölkerung über die Zukunft des Landes streiten, liege | |
| die Entscheidung über eine Eskalation des Konflikts letztlich bei den | |
| Führern des Regimes. Für Khamenei zählen weder die Sorgen der Opposition | |
| noch die Ängste der einfachen Menschen – entscheidend sind allein die | |
| strategischen Interessen der Revolutionsgarden und ihrer fanatischen | |
| Anhänger. | |
| *Die Namen der iranischen Gesprächspartnerinnen wurden von der Redaktion | |
| geändert. | |
| 4 Oct 2024 | |
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