# taz.de -- Polizeigewalt in Griechenland: Verhaftet, verprügelt, tot | |
> In einer Athener Polizeiwache stirbt ein 37-jähriger Pakistaner. | |
> Gruselige Bilder des Körpers gelangen an die Öffentlichkeit. Es ist kein | |
> Einzelfall. | |
Bild: Migranten in Polizeigewahrsam können sich nicht darauf verlassen, dass i… | |
Anm. der Redaktion: Achtung. Der folgende Text enthält Gewaltdarstellungen | |
in Wort und Bild, die Leser:innen verstören können. | |
Athen taz | Es sind zutiefst verstörende Bilder. Geschwollene Handgelenke, | |
mutmaßlich durch Handschellen verursacht, überdies ein mit blauen Flecken | |
geradezu übersäter Körper: am Kopf, am Rücken, an den Beinen. Die grausam | |
zugerichtete Leiche von Mohammed Kamran trägt unzählige Folterspuren, als | |
sie am 21. September um 7.30 Uhr in der Früh in einem Haftraum der | |
Polizeiwache im Athener Stadtteil Agios Panteleimon aufgefunden wird. | |
Im Totenschein steht „unbestimmte Todesursache“. Es sei „keine unmittelba… | |
pathologische Ursache für sein Ableben“ festgestellt worden. Festgehalten | |
werden im Dokument ausdrücklich die Wunden an seinem ganzen Körper. Rasch | |
kommen unglaubliche Details zum Vorschein: Binnen neun Tagen – vom 13. bis | |
zum 21. September – wurde Mohammed Kamran in gleich fünf Athener | |
Polizeirevieren festgehalten – bis er stirbt. | |
Kamrans Odyssee nimmt ihren Anfang, als er am 13. September nach einer | |
Anzeige wegen häuslicher Gewalt von der Polizei in die Wache am zentralen | |
Athener Omonia-Platz gebracht wird. Die Polizeistation liegt in einem | |
Stadtviertel, wo viele Migranten, vor allem aus dem Nahen und Mittleren | |
Osten sowie aus Afrika leben. Tags darauf wird er zum Gericht gebracht. | |
Doch die Verhandlung wird auf den 16. September vertagt. Es wird | |
angeordnet, dass Kamran bis zum neuen Gerichtstermin in derselben | |
Polizeistation festzuhalten ist. Zwei Tage später wird die Verhandlung am | |
Gericht abermals vertagt, diesmal auf Dezember. Das Gericht ordnet Kamrans | |
Freilassung an. | |
Stattdessen aber bringt ihn die Polizei in eine andere Athener Polizeiwache | |
im Stadtteil Patissia. Dort soll festgestellt werden, ob der Pakistaner | |
über eine legale Aufenthaltserlaubnis verfügt oder ob etwa Voraussetzungen | |
für seine Abschiebung vorliegen. Weil just jene Polizeiwache nicht über | |
Hafträume verfügt, wird er zu einer weiteren Wache im Athener Vorort | |
Galatsi gebracht. Dort bleibt er bis zum 17. September in Polizeigewahrsam, | |
bis er zu einer Polizeiwache im Athener Stadtteil Kolonos gebracht wird. | |
Tags darauf, am 18. September, wird Kamran freigelassen. Denn die Behörden | |
haben derweil festgestellt, dass der Pakistaner eine Aufenthaltserlaubnis | |
hat. | |
## Vier Monate Haft wegen eines beschädigten Waschbeckens | |
Aber damit war Kamrans Irrfahrt nicht vorbei. Unmittelbar nach seiner | |
Freilassung greifen ihn Streifenpolizisten auf. Sie wollen seine Identität | |
überprüfen. Er wird zur Polizeiwache im Athener Stadtteil Agios Panteleimon | |
gebracht, auch ein Viertel mit hohem Migrantenanteil. Dort wird Kamran | |
wegen Beschädigung fremden Eigentums und Ungehorsam verhaftet. Die | |
Straftaten habe er in der Polizeiwache begangen, so die Polizei. Konkret | |
soll er ein Waschbecken beschädigt haben. Ein Schnellgericht verurteilt | |
Kamran dafür am 18. September zu vier Monaten Haft ohne Bewährung. Nach dem | |
Gerichtstermin wird er in dieselbe Polizeistation zurückgebracht. Drei Tage | |
später, am 21. September, wird er dort tot aufgefunden. | |
Die Polizei bestreitet die sofort erhobenen Vorwürfe der Angehörigen, | |
wonach Kamran zu Tode gefoltert worden sei. Im Polizeibericht über den | |
Vorfall ist von einem „drogenabhängigen Obdachlosen ohne | |
Griechischkenntnisse“ die Rede. Sein Tod sei auf „pathologische Ursachen“ | |
zurückzuführen. | |
Das widerlegen indes von der Familie des Opfers vorgelegte Dokumente. | |
Demnach lebte der 37-Jährige schon seit 20 Jahren in Griechenland, er | |
sprach fließend Griechisch. 2017 erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis. Der | |
von ihm gemietete Wohnsitz lautete auf seinen Namen, er arbeitete als | |
Händler. | |
Wie seine Angehörigen offenbarten, habe er stets zwei Handys bei sich | |
gehabt. Sie seien unauffindbar. „Wir haben seit dem 13. September nach | |
Mohammed gesucht. Seine Telefone waren ausgeschaltet“, sagen sie. Die | |
Familie des Opfers kündigte an, alle nötigen Schritte zu unternehmen, um | |
die Umstände seines Todes zu klären. Kein leichtes Unterfangen. Der | |
Haftraum in der Polizeistation, in dem Kamran tot aufgefunden wurde, | |
verfügt nicht über eine Kamera. Die Anwältin der Familie, Maria Sfetsa, | |
sprach mit Blick auf Kamrans Folterspuren von „Schlägen mit zwei | |
Geschwindigkeiten“. Einige hätten sich „vier bis 48 Stunden vor seinem Tod | |
ereignet, andere einige Tage zuvor“. | |
## Viel mehr Fälle von Folter als angenommen | |
Die Causa Kamran ist hierzulande kein Einzelfall. Im Gegenteil. Dies belegt | |
eindrücklich ein im September veröffentlichter 106-seitiger Bericht der | |
„Griechischen Union für die Menschenrechte“ unter dem Titel „Eine Übers… | |
über die polizeiliche Willkür in Griechenland“. | |
Darin heißt es, dass „die Zahl der Fälle, in denen griechische Bürger oder | |
Drittstaatsangehörige Opfer von Handlungen wurden, die unter die Definition | |
von Folter fallen, viel höher ist, als man erwarten würde“. Es sei | |
„unmöglich, das genaue Ausmaß des Phänomens zu kennen“. „Die einzige | |
Gewissheit ist, dass die Fälle, die das Licht der Öffentlichkeit gesehen | |
haben, nur die Spitze des Eisbergs darstellen.“ | |
Der in Straßburg ansässige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat | |
Griechenland wegen Verstößen gegen Artikel 3 der Europäischen | |
Menschenrechtskonvention, wonach niemand der Folter, unmenschlicher oder | |
erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden dürfe, in bislang | |
über einhundert Fällen verurteilt. Obgleich das Gros der Fälle desaströse | |
Haftbedingungen in Hellas’ Gefängnissen betreffe, gebe es auch „viele Fäl… | |
von Folter oder unmenschlicher und erniedrigender Behandlung durch | |
Polizeibeamte“. | |
Besserung ist nicht in Sicht. Ein paar Tage nach dem Auffinden der Leiche | |
von Mohammed Kamran fand man den Migranten Mia Harizul tot in der | |
Polizeiwache am Athener Omonia-Platz. Der 29-Jährige Bangladescher wurde | |
anderthalb Stunden nach seiner Festnahme wegen der Beschädigung eines | |
Polizeiautos mit einer „Schlinge“ aus seinem Hemd erhängt im Haftraum | |
aufgefunden. Die Polizei spricht von Suizid. Wieder gibt es im Haftraum | |
keine Kamera. | |
Unterdessen fordern Athener Menschenrechtler „die Bestrafung der Mörder von | |
Mohammed Kamran und Gerechtigkeit für Mia Harizul“. „Die rassistische und | |
unterdrückende Politik der Athener Regierung hat Polizeistationen in | |
Leichenhallen verwandelt“, so ihr Vorwurf. | |
Was bisher nur passierte: Der Leiter der Athener Omonia-Polizeistation | |
wurde ersetzt. Das heißt aber nicht, dass er aus dem Staatsdienst entlassen | |
ist oder suspendiert wurde. Griechischen Medien zufolge wurde er nach | |
eigenem Antrag an eine andere Athener Polizeiwache versetzt. | |
8 Oct 2024 | |
## AUTOREN | |
Ferry Batzoglou | |
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