# taz.de -- Brand in Eberswalde: Zusammenhalt in Eberswalde | |
> In Eberswalde wird einer Türkin und deren Sohn gedacht, die bei einem | |
> Brand ums Leben gekommen sind. Die Hintergründe sind unklar. | |
Bild: Gedenkort auf dem Markplatz von Eberswalde | |
Eberswalde taz | Glockenläuten zeigt an, dass die Gedenkveranstaltung | |
beginnt. An die 200 Menschen haben sich am Freitagabend auf dem Marktplatz | |
von Eberswalde versammelt. Immer noch liegt ein leichter Brandgeruch in der | |
Luft. [1][Eine Woche ist es jetzt her], dass eine 45-jährige Frau | |
türkischer Herkunft und ihr vierjähriger Sohn in dem Wohnhaus gegenüber des | |
Marktplatzes ums Leben gekommen sind. Das Dach und die oberen Etagen sind | |
ausgebrannt. Sechs Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. | |
Nach wie vor ist unklar, wie das Feuer zustande gekommen ist. Die | |
Staatsanwaltschaft Frankfurt Oder ermittelt wegen vorsätzlicher | |
Brandstiftung mit Todesfolge gegen Unbekannt. Das stuckverzierte Gebäude, | |
Teil der historischen Altstadt, gehört türkischstämmigen Eberswaldern. | |
Bewohnt war es von Menschen mit Migrationsgeschichte, im Erdgeschoss befand | |
sich ein Dönerladen, ein Barbershop stand kurz vor der Eröffnung. | |
Zusammenhalten, sich nicht spalten lassen, das ist die Botschaft dieser | |
konfessionsübergreifenden Andacht, bei der die Pfarrerin der evangelischen | |
Gemeinde, Petra Schenk und der Islamwissenschaftler Marwan Hassan ein paar | |
Worte sagen. Keiner der Versammelten will es laut aussprechen, aber ein | |
Gedanke drängt sich auf. | |
Die 40.000 Einwohner zählende Kreisstadt des Landkreises Barnim im | |
Nordosten Brandenburgs war früher eine Hochburg der Neonazis. In einem | |
Atemzug wurden Eberswalde und Rechtsextremismus genannt. Es war der 25. | |
November 1990, als der 27-jährige Amadeu Antonio nach einer Hetzjagd von | |
Skinheads ins Koma getreten wurde. Der ehemalige Vertragsarbeiter aus | |
Angola war das erste rassistische Todesopfer in den sogenannten | |
Baseballschlägerjahren nach der Wende. | |
## Erinnerungen an Solingen 1993 | |
Und da ist noch ein Gedanke. Der [2][29. Mai 1993 in Solingen | |
Nordrhein-Westfalen], als vier Neonazis das Haus der türkeistämmigen | |
Familie Genç in Brand setzten und damit fünf Angehörige einer | |
Einwandererfamilie töteten. | |
Bisher hat Staatsanwaltschaft keinerlei Signale ausgesendet, dass | |
Rechtsextremisten als Brandstifter infrage kommen könnten. Ermittelt werde | |
in alle Richtungen, heißt es. Denkbar sei alles, sagt eine Frau, die bei | |
der Trauerfeier mit den Hauseigentümern und deren Freunden zusammensteht. | |
Über mögliche Täter gemunkelt werde in Eberswalde viel, bis zu den Hells | |
Angels und Clankriminalität gingen die Spekulationen. Sie finde das Gerede | |
schlimm. Egal was behauptet wird, sagt ein Mann, das befeuere doch alles | |
nur wieder die AfD. Am Sonntag sind Landtagswahlen in Brandenburg. | |
Vor 15 Jahren hätten sie das Haus gekauft und dann saniert, erzählt einer | |
der Eigentümer. Der Mann wirkt sehr bedrückt. So schnell wie möglich | |
wollten sie es wieder aufbauen. | |
Von schlimmen Szenen in der Brandnacht vom 15. auf den 16. September wird | |
erzählt. Dass sich Menschen aus den oberen Stockwerken nur durch einen | |
Sprung in das aufgespannte Tuch der Feuerwehr retten konnten. | |
## Blumen, Kerzen und Kuscheltiere | |
Emine Coban und ihr vierjähriger Sohn Umut Can haben es nicht mehr | |
geschafft. Unter einer Platane auf dem Markplatz stehen inmitten von | |
Blumen, Kerzen und Kuscheltieren Fotos von den beiden. Erst seit einem Jahr | |
waren Mutter und Kind in Deutschland, seit sechs Monaten lebte die Familie | |
in Eberswalde. Der Ehemann und Vater hat die Leichname zur Beerdigung in | |
die Türkei begleitet. | |
Mit einem sogenannten Brotbrechen endet die Andacht. Björn Wiese, | |
Eigentümer der Bäckerei Wiese, geht mit einem großen Korb mit frischem Brot | |
durch die Reihen. Auch nach einem Streit werde in vielen Kulturen Brot und | |
Salz gereicht, sagt der Islamwissenschaftler Marwan Hassan. „Man ist eine | |
Gemeinschaft, bedeutet das“. | |
Einen Laden und ein Café betreibt Wiese in Eberswalde zusammen mit seiner | |
Schwester. Bekannt ist die Firma nicht nur für gute Qualität, sondern auch | |
für ihr Engagement für geflüchtete Menschen. Der 52-jährige Wiese ist | |
gebürtiger Eberswalder. Auch die Spendenaktion für die Brandopfer hat Wiese | |
mitinitiiert. 60 Angestellte arbeiten in seinem Betrieb, Auslieferung, | |
Produktion, Verkauf, Schaubäckerei, alles inbegriffen. 15 Mitarbeiter und | |
Mitarbeiterinnen sind Geflüchtete oder haben eine Migrationsgeschichte. | |
Nicht allen in Eberswalde habe anfangs gefallen, auch mal von einer Frau | |
mit Kopftuch bedient zu werden, erzählt Wiese nach der Trauerfeier. | |
## Vielfalt prägt das Stadtbild | |
[3][Eberswalde hat sich den letzten Jahrzehnten sehr stark verändert]. Eine | |
große Vielfalt prägt das Stadtbild. Filmfestivals, Konzert- und | |
Kunstveranstaltungen, Shoppingnacht oder „Essen ist fertig“ – häufig wird | |
Kultur angeboten, gibt es ein Event. Die Hochschule für nachhaltige | |
Entwicklung zieht Studentinnen und Studenten aus aller Welt an, auch das | |
spiegelt sich in den Straßen wider. Der Wohnungsmarkt ist angespannt. Mit | |
dem Regio ist es nur eine halbe Stunde in die Hauptstadt. | |
„Wir haben sehr viel Zuzug“, sagt Bürgermeister Götz Herrmann (parteilos, | |
aber unter anderen von der SPD unterstützt). Auch er ist am Freitag bei der | |
Feier. Alle Brandopfer seien von der Stadt provisorisch mit Unterkünften | |
versorgt worden. Auch längerfristig werde man etwas für sie finden, ist | |
Herrmann optimistisch. Die Solidarität in Eberswalde sei groß. Aber der | |
Bürgermeister sagt auch das: Rechtsextremistische Schläger seien in | |
Eberswalde schon lange kein Thema mehr. Aber das Erstarken der | |
Rechtsextremen bereite ihm Sorge. Bei der Kommunalwahl am 9. Juni 2024 war | |
die AfD mit 24,1 Prozent als klarer Sieger hervorgegangen. | |
Zu den Veranstaltungen in die Innenstadt traue sich die AfD zwar nicht, | |
aber an den Stadträndern sei sie präsent, erzählt einer. Wie zum Beweis | |
findet zeitnah zur Trauerfeier am Bahnhof eine Wahlveranstaltung der Blauen | |
statt. Eine kleine Gruppe von Gegendemonstranten mit Fahnen der Antifa und | |
VVN wird dort von der Polizei auf Abstand gehalten. | |
Und auch das erfährt man am Freitag bei Gesprächen auf dem Markplatz: | |
Außerhalb von Eberswalde, Richtung Kloster Chorin, gebe es einen Imbiss. | |
Einmal in der Woche halte die AfD da einen Stammtisch ab, der sich auch | |
Zulauf aus der rechtsextremen Szene erfreue. Ein Künstler fasste die | |
Situation gegenüber der taz vor ein paar Jahren so zusammen: | |
„Springerstiefel und Glatzen, das war gestern. Meine rechten Schulkameraden | |
von damals sind in die Jahre gekommen. Man findet sie jetzt in der AfD.“ | |
2015, das Jahr der sogenannten Flüchtlingswelle, habe ihn zu seinem | |
Engagement bewogen, erzählt Bäcker Wiese. Die Ausländerhetze von Pegida in | |
Leipzig und Dresden, die Belagerung und Angriffe einer | |
Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Heidenau. „Nie wieder“, so Wiese, | |
„soll Eberswalde so in Verruf geraten, wie Anfang der 90er Jahre, habe ich | |
mir gesagt.“ Mit Unterstützung der „Willkommensinitiative Eberswalde“ ha… | |
er Kontakt zu Flüchtlingsunterkünften im Raum Eberswalde aufgenommen. Ein | |
Pakistani sei der erste Praktikant in der Bäckerei gewesen, ein Syrer der | |
erste Azubi. Auch wegen des Arbeitskräftemangels sei er heilfroh über diese | |
Lösung, sagt Wiese. | |
## Beerdigung in der Türkei | |
Unter den Trauergästen ist Mustafa Coban, der Bruder des 50-jährigen | |
Mannes, der bei dem Brand Frau und Sohn verlor und diese gerade in der | |
Türkei beerdigt hat. Von der Feier auf dem Markplatz habe er dem Bruder ein | |
Video geschickt. „Die Anteilnahme hilft ihm in seinem Schmerz“. | |
Sein Bruder sei ein versierter Handwerker, erzählt Coban. Sie beide würden | |
seit 35 Jahren in Deutschland leben. Seine Frau Emine habe der Bruder in | |
der Türkei kennengelernt, Umut Can sei in der Türkei geboren. „Sie sind | |
nach Eberswalde gezogen, weil es nicht so chaotisch ist wie Berlin“. Hier, | |
Coban zeigt auf den Boden des Marktplatzes, habe der Bruder mit dem Kleinen | |
immer Fangen gespielt. Sein Bruder glaube übrigens nicht an Brandstiftung | |
und er selbst auch nicht, sagt Coban überzeugt. „Und mein Bruder will auch | |
nach Eberswalde zurückkommen. Er war glücklich hier.“ | |
Nach der Gedenkveranstaltung findet auf dem Markplatz und in den | |
Seitenstraßen die Veranstaltung „Essen ist fertig“ und eine Shoppingnacht | |
statt. An den Getränkeständen und Imbissen bilden sich Schlangen, Bands | |
spielen auf. | |
Björn Wiese ist auch Vorsitzender im Stadtverein Eberswalde. Nach einer | |
intensiven Diskussion im Verein habe man entschieden, die lange geplanten | |
Veranstaltungen nicht abzusagen, sagt Wiese und blickt auf das Gewusel auf | |
dem Platz. „Theoretisch müsste hier ja jeder Vierte ein AfD-Wähler sein.“ | |
Im besten Fall würden solche Veranstaltungen helfen, das Eis zwischen den | |
Menschen zu brechen, ins Gespräch zu kommen. „Brot“, ist Wiese überzeugt, | |
„schweißt zusammen“. | |
21 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Brand-in-Eberswalde/!6034438 | |
[2] /Gedenken-an-Solingen-Morde/!5934866 | |
[3] /Perspektiven-im-Berliner-Speckguertel/!5788229 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
## TAGS | |
Landtagswahl Brandenburg | |
Dietmar Woidke | |
Rechtsextremismus | |
GNS | |
Schwerpunkt Landtagswahlen | |
Bikesharing | |
Amadeu-Antonio-Stiftung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wahlen in Ostdeutschland: Im Westen nichts Neues | |
Für die alte Bundesrepublik hat sich 1989 wenig geändert. Nur eins: | |
Rechtsextremismus und Demokratiemüdigkeit sind nicht mehr ihr Problem. | |
Umweltfreundliche Mobilität: Von Eberswalde lernen | |
Ein Fahrrad-Parkhaus haben nur wenige Bahnhöfe. Dabei müssten Zug- und | |
Radverkehr besser verknüpft werden, so die Organisation Allianz pro | |
Schiene. | |
31. Todestag von Amadeu Antonio: „Das ist Vergangenheit“ | |
Augusto Jone Munjunga kam wie Amadeu Antonio als Vertragsarbeiter in die | |
DDR. Heute leitet er den Kulturverein Palanca. Er erzählt, wie es dazu kam. |