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# taz.de -- Ausstellung über Shoppen auf Bestellung: Schneller! Billiger! Weni…
> Eine Hamburger Ausstellung zeigt, wie Wunsch und Wirklichkeit beim
> Paketkonsum auseinanderklaffen. Ein selbstkritischer Blick hätte der
> Sache gutgetan.
Bild: Ein Paket-Schnelldienst-Zusteller in den siebziger Jahren
Hamburg taz | Ein Geschenk – so kann und muss die Hamburger Ausstellung
[1][„Dein Paket ist da! Shoppen auf Bestellung“] wohl genannt werden. Kann
– denn ich kann mich nicht erinnern, überhaupt schon mal eine
kulturwissenschaftliche Ausstellung gesehen zu haben, in der das
Mitmachprinzip so gut funktioniert wie hier, im Museum der Arbeit in
Hamburg-Barmbek.
Kann – denn sie funktioniert nicht nur deswegen so gut, weil die
Kuratierenden schön-konkrete Idee hatten, sondern weil das Phänomen
Versandhandel die Menschen fest im Griff hat: Ein Paket ist eben immer auch
ein emotional aufgeladenes Gebilde, das weit mehr enthält, als in ihm drin
ist.
Es steht für Feiertage wie Geburtstag und Weihnachten, ihm haftet immer der
Gabencharakter an und damit die tief in uns verwurzelte Sehnsucht, dass
andere Menschen an uns denken und uns etwas zukommen lassen mögen – auch
wenn wir natürlich genau wissen, dass wir selbst uns beschenkt haben.
Eben das ist ja wiederum der Clou beim Bestellen von vermeintlich
Nutzlosem, es geht nicht einfach ums Produkt, es geht um den Moment des
Auspackens, das als „[2][Unboxing]“ längst zum Internetphänomen geworden
ist (zitiert wird in der Schau sogar eine wissenschaftliche Arbeit mit dem
Titel „Auspacken als kulturelle Praxis“).
## Ein blinder Otto-Fleck
Ein Geschenk muss die Schau aber auch genannt werden: Nicht weil die in
Hamburg ansässige [3][Otto Group] sie zum eigenen 75. Firmenjubiläum
unterstützt hat – solche Art von Kultursponsoring mag man eines
Geschmäckles bezichtigen, aber es kommt eben auf die Tischsitten an.
Als Nichthamburger musste ich mir die so zentrale wie umstrittene Stellung
von Otto im hanseatischen Leben erst mal zusammengooglen – und das ist
wahrlich keine langwierige Recherche. Wer sich von Otto unterstützen lassen
möchte, mag das tun, aber dann muss Otto auch eine, zum Beispiel, Vitrine
zu den Auseinandersetzungen um die Schließung und Verlagerung nach
Osteuropa des [4][Retourenzentrums in Hamburg-Bramfeld] mitfinanzieren.
Die Ausstellung ist nicht unkritisch, was das von ihr dargestellte Phänomen
Versandhandel angeht – aber genau diesen blinden Otto-Fleck darf sich ein
Haus, das Teil einer Stiftung öffentlichen Rechts ist (Stiftung Historische
Museen Hamburg), nicht leisten.
## Etwas zum Anpacken
Nun aber schnell – die Pakete müssen ja in den Versand! In der Mitte des im
4. Stock der backsteinschönen [5][„New York Hamburger Gummi-Waaren
Compagnie“] gelegenen Ausstellungsraums läuft ein spielerischer Wettbewerb,
„Paketris“ genannt. Jedes teilnehmende Team muss Pakete aus einem
Gitterwagen auf ein Förderband verfrachten, die Pakete über die Rollen
bewegen, auf der anderen Seite entgegennehmen und an einer Containerwand
stapeln. Dazu bitte die Zeit stoppen und anschließend auf der
„High-Score-Tafel“ eintragen!
Die jungen Menschen, die ich an einem Montagmorgen beobachten durfte,
hatten eine Menge Spaß – klar in dem Sinne, wie wir früher von der DDR
sprachen: Eigentlich gar nicht so schlecht – wir können ja auch wieder weg.
Wer aber gesehen hat, wie oft Mitmachstationen in Ausstellungen einen
desolaten Eindruck machen, der muss hier bei aller möglichen Kritik der
Schuftereiverharmlosung anerkennen: Das läuft, das ist tatsächlich mal
etwas zum Anpacken, in einer visuell und akustisch eh schon sehr hübsch
gemachten Ausstellung.
## Sehr tiefe Einblicke in die menschliche Seele
Ein zweiter Höhepunkt der Publikumsinklusion sind die Zettelwände mit den
Fragen nach den Wünschen für die Zukunft des Versandhandels und dem wohl
unvermeidlichen „Was ist dir so peinlich, dass du es online kaufst?“
Es ist mir zu peinlich, hier ins Detail der zu dieser Frage hinterlassenen
Antworten zu gehen, da müssen Sie sich bitte selbst ins bezaubernde Barmbek
bemühen – bis zum 28. April 2025 läuft die Ausstellung noch. Ich kann nur
sagen, es werden sehr tiefe Einblicke in die menschliche Seele geboten.
Was die Menschen sich von der Zukunft einer Branche erwarten, die im
Privatkund*innengeschäft 2023 rund 80 Milliarden Euro umgesetzt hat –
und zu Lockdownzeiten fast 100 Milliarden – lässt sich hingegen auch hier
wiedergeben, etwa ein im netten Hamburg gar nicht so erwartbares „Ich
möchte ja im Laden kaufen, aber die Verkäufer*innen sind so
unfreundlich“ über ein „Mehr Fahrer aus Polen“ bis zum „Dass meine Pak…
schneller ankommen“.
## Deutsche mit einem Viertel Retouren europäische Spitze
Zusammengefasst soll das Business schneller, zuverlässiger, billiger und
bequemer werden bei gleichzeitiger Verbesserung der Arbeitsqualität für die
Menschen vom Logistikzentrum bis zum 5. Stock ohne Aufzug und allgemeiner
Kritik an wahllosem Konsum; die Deutschen sind mit einem Viertel Retouren
wenigstens einmal noch europäische Spitze.
Im abgrundtiefen Auseinanderklaffen zwischen Wunsch und Wirklichkeit
erinnert das an die Lebensmittelbranche, wo es ähnliche Fantasien gibt,
weiterhin [6][sehr viel, sehr billiges Fleisch zu essen], aber die lieben
Tierchen sollen bitte auf keinen Fall leiden!
Wie sehr einen das Paketbusiness emotional am Wickel hat, zeigen die alten
Kataloge aus den 1970ern und 80ern. Kindheitsträume vom Besitz wunderbarer
Stereo-Radio-Recorder drängen hier aus längst abgelegt geglaubten Schichten
mit Macht empor, haben haben haben, schreit es in mir.
## 31,5 Kilo dürfen Pakete derzeit wiegen
Und die Technologien der Branche waren immer nur damit beschäftigt, diesen
gierigen Impuls möglichst in Echtzeit in eine verbindliche Bestellung
münden zu lassen: So kamen wir beim 1-Click-Kauf an, bald wird uns der
Kaufimpuls direkt aus Hirn, Bauch oder tieferen Regionen abgesaugt werden.
Und dann, was man alles verpasst hat! Seitenweise „Revolver in
erstklassiger Qualität“, speziell „für Radfahrer, welche zu später Stunde
fahren“! Oder die großartigen „Hundebomben für Radfahrer und
Automobilisten, ganz besonders stark knallend“, alles im 1915er Katalog von
August Stukenbrock Einbeck, „Grösstes Versandhaus Deutschland“.
Wir Heutigen müssen uns mit dem trösten, was wir nicht müssen, ein
„Exoskelett für Lagerlogistiker*innen“ tragen zum Beispiel, elektrisch
motorisiert. 31,5 Kilo dürfen Pakete derzeit wiegen, „für die
Mitarbeitenden in der Lagerlogistik eine immense körperliche Anstrengung.
Die Exoskelette „können sie beim Heben entlasten“.
Ich musste an die Beschäftigten in den – ja, die heißen so – Lagern denke…
[7][die in Flaschen pinkeln], um den Ablauf nicht zu stören. Ob ein Paket
an unserer Wohnungstür weniger an solchen Verhältnissen etwas ändert, diese
Entscheidung schenkt uns mal wieder niemand.
3 Oct 2024
## LINKS
[1] https://www.shmh.de/ausstellungen/dein-paket-ist-da/
[2] /Roman-ueber-kindliche-Influencer/!5857570
[3] https://www.ottogroup.com/de/
[4] /Ab-ins-Billiglohnland/!5730846
[5] https://metropolregion.hamburg.de/natur-und-kultur-erleben/industriekultur-…
[6] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ernaehrungsreport-die-jugend-isst-wi…
[7] https://www.derstandard.de/story/2000078239421/amazon-mitarbeiter-sollen-au…
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
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