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# taz.de -- Söders Stegreifpopulismus: Kommissar Ex kläfft nur
> Unser Bildungssystem ist spitze, meint man in der Bayerischen
> Staatskanzlei. Und so kämpft Söder gegen die Abschaffung unangekündigter
> Tests in Schulen.
Bild: Markus Söder tut interessiert im Münchner Wittelsbacher Gymansium am 6.…
Für die Inhaber eines Berliner oder nordrhein-westfälischen Abiturs, die
sich bei der Erwähnung der Ex an alles Mögliche, aber nicht ihre Schulzeit
erinnert fühlen, muss man vielleicht noch mal etwas weiter ausholen, um zu
erklären, was da gerade in Bayern vor sich geht. Eine Ex, das ist die
Kurzform für das Extemporale (man beachte den Wechsel des Genus). Und das
wiederum ist zu Deutsch eine Stegreifaufgabe und meint einen
unangekündigten schriftlichen Test, der den Inhalt von bis zu zwei
vorangegangenen Schulstunden abfragt. Im eher bürokratisch angehauchten
Schuldeutsch gehört er zu den – horribile dictu – kleinen
Leistungsnachweisen.
Keine große Sache also. Möchte man meinen. Hierzulande jedoch gibt es darum
gerade ein Getöse, als ginge es um was wirklich Wichtiges, so etwas wie
Biergartenöffnungszeiten. Angefangen hatte es mit der Onlinepetition einer
Münchner Schülerin, die gefordert hatte, die Exen hierzulande – so wie in
den meisten anderen Bundesländern – abzuschaffen. Die Kultusministerin,
eine Freie Wählerin namens [1][Anna Stolz], schien zunächst ein offenes Ohr
für das Anliegen zu haben und kündigte eine Debatte darüber an.
Doch eine Frage solcher Tragweite geht im Verständnis des bayerischen
Ministerpräsidenten Markus Söder freilich weit über die Kompetenzen einer
Ministerin hinaus. Ex ist top, findet nämlich der und erhob das Thema
umgehend zur Chefsache:
[2][„Die Exen bleiben natürlich“,] stellte er klar. Ein unangekündigtes
Machtwort des Ministerpräsidenten, das für seine Kultusministerin ähnlich
motivierend gewirkt haben mag wie für eine Fünftklässlerin ein
unangekündigter Leistungsnachweis.
## Franz Josef Strauß nicht verstanden
Nun muss man wissen – und so mancher Norddeutsche hat es im Gespräch mit
bayerischen Zeitgenossen schon leidvoll erfahren dürfen –, dass der gemeine
Bayer [3][sehr stolz auf sein Bildungswesen] ist. Mit Sätzen wie „Wir
wollen kein bayerisches Abi auf Bremer Niveau!“ lässt sich’s hier noch
immer punkten, weshalb sie Markus Söder immer wieder gern raushaut.
Steckt doch in jedem von uns Bayern ein kleiner Franz Josef Strauß (und in
Markus Söder seiner Selbstwahrnehmung zufolge sogar ein ganz großer).
Strauß, der Metzgerbub aus der Münchner Maxvorstadt, ließ besonders gern
seine humanistische Bildung aufblitzen, indem er diesen oder jenen
lateinischen Satz zitierte, besonders gerne diesen: „Extra Bavariam non est
vita et si est vita non est ita“, was, liebe Bremer, ungefähr so viel heißt
wie: „Außerhalb von Bayern gibt’s kein Leben, und wenn doch, verdient es
den Namen nicht.“ Gibt’s inzwischen auch auf T-Shirts gedruckt. Sicher, man
könnte schon dieses und jenes abwägen, sich über die Pros und Contras der
Ex Gedanken machen. In der Tat suchen nun auch Menschen, die sich zwar im
Bildungswesen gut, im Politikbetrieb aber wohl nicht ganz so gut auskennen,
eine sachliche Diskussion und kritisieren Söder – etwa in einem [4][offenen
Brief von 40 Verbänden] – scharf, sprechen von einem völlig überholten
Leistungsverständnis.
Wissenschaftlich sei erwiesen, dass Exen keinen höheren Lernerfolg
brächten, so etwa die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und
Lehrerinnenverbandes, Simone Fleischmann. Und wenn nun Söder
basisdemokratische Bemühungen von Schülern schon im Ansatz mit einem
Machtwort auszuhebeln versuche, „dann können wir uns auch die ganze
Demokratiebildung an unseren Schulen sparen“.
Über all dies ließe sich diskutieren, auch über das Argument, Schüler
müssten befähigt werden, spontan und adäquat auf herausfordernde
Situationen zu reagieren, das sich die Kultusministerin nach dem lauten
Gebell ihres Chefs, des selbsternannten Kommissars Ex, schnell
zurechtlegte. Doch wer das tut, begeht einen Denkfehler. Sie oder er nimmt
an, beim Söder’schen Machtwort gehe es um Schulpolitik, gar um die Frage,
was das Beste für Bayerns Schüler sei.
## Gegen gendernde Veganer geht immer
Wer den Machtpolitiker Söder lang genug beobachtet, braucht aber nicht viel
Willen zur bösen Unterstellung, um ihm zu attestieren, dass es ihm bei
solchen Inszenierungen auf politischen Nebenschauplätzen nicht um die Sache
geht – sei es nun ein Kreuzerlass oder ein Feldzug gegen gendernde Veganer.
Was zählt, ist hier der vermutete Beifall der eigenen Wählerklientel.
Populismus nennt man das, kommt von lateinisch populus (einfachste
o-Deklination, hier kriegt selbst der Bremer noch den Ablativ hin). Es ist
genau das, wovor Strauß warnte: dem Volk nicht nur aufs Maul schauen,
sondern nach dem Mund reden.
In Wirklichkeit ist es ja ohnehin längst so: Ob an einer Schule in Bayern
Exen geschrieben werden oder nicht, darüber entscheidet aktuell weder
Kultusministerin noch Ministerpräsident. Die Schulen dürfen selbst
entscheiden. Und oft überlassen sie diese Entscheidung den einzelnen
Lehrkräften und diese richten sich manchmal sogar nach den Wünschen der
Schülerinnen und Schüler.
Ach ja, die Schüler, die gab’s ja auch noch.
Und sie könnten nun angesichts Söders plötzlichen Interesses am
Prüfungswesen befürchten, künftig auch noch unter der persönlichen
Beobachtung des Ministerpräsidenten zu stehen. Nein, liebe Schüler, seid
völlig unbesorgt: Für euch interessiert sich der Ministerpräsident nicht.
29 Sep 2024
## LINKS
[1] /Rettet-die-Lyrik/!5996483
[2] https://www.br.de/nachrichten/bayern/soeder-stellt-klar-exen-an-schulen-ble…
[3] /Aenderung-des-Ferienbeginns-in-Bayern/!5641065
[4] https://www.news4teachers.de/2024/09/40-verbaende-soeder-untergraebt-diskur…
## AUTOREN
Dominik Baur
## TAGS
Bildungspolitik
Freistaat Bayern
Markus Söder
Social-Auswahl
Schulden
Politischer Aschermittwoch
Bildungspolitik
Landtagswahl Bayern
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