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# taz.de -- Berliner Verfassungsschutz: Wenn zwei sich streiten, freut sich der…
> Der Berliner Verfassungsschutz kannte die Identität eines mutmaßlichen
> Serientäters seit 2017. Die Polizei erfuhr davon lange nichts.
Bild: Altes Stadthaus in der Klosterstraße: Hier ist der Berliner Verfassungss…
BERLIN taz | Jahrelang zieht er durch Berlin. Er beschädigt Bilder in
Ausstellungen, die ihm politisch missfallen, hinterlässt Schmierereien in
Sitzungssälen der Bezirksparlamente oder an Bürotüren von
Kommunalpolitikern. Zerstört in einer öffentlichen Bibliothek Bücher, die
sich kritisch mit Rechtsextremismus auseinandersetzen, immer wieder. Seine
Tatorte markiert er mit einem Namen: Orden der Patrioten.
Einzeln betrachtet wiegen seine Straftaten nicht schwer, aber sie erzeugen
Verunsicherung, Angst: Wer verbirgt sich hinter diesem Orden? Und warum
fühlen sich der Täter oder die Täter so sicher, dass diese Serie über Jahre
nicht abreißt?
[1][Im November 2023 gibt die Berliner Staatsanwaltschaft bekannt, Anklage
zu erheben gegen einen Mann], der mutmaßlich hinter dem „Orden der
Patrioten“ steht. Doch Recherchen der taz legen nahe, dass man ihn viel
früher hätte stoppen können.
Wie interne Dokumente zeigen, war dem Verfassungsschutz schon 2017 bekannt,
wer der Verfasser von Flugblättern war, die im Namen des „Ordens“
verschickt wurden. Es war derselbe Mann, der nun, sechs Jahre später,
festgenommen wurde.
## Besonders eine Bibliothek muss leiden
Doch der Hinweis soll damals nicht an die Polizei weitergereicht worden
sein. Grund dafür waren offenbar Streitigkeiten und ein von Konkurrenz
geprägtes Verhältnis zwischen dem Berliner Verfassungsschutz und dem
polizeilichen Staatsschutz. Solche Rangeleien behindern immer wieder die
Zusammenarbeit der Berliner Behörden, auch bei der jahrelang verschleppten
Aufklärung der rechtsextremen Terrorserie in Berlin-Neukölln haben diese
eine Rolle gespielt.
Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich nach taz-Informationen um
Christian S. Er ist Autor zahlreicher in Kleinstverlagen veröffentlichter
Bücher, darunter Military-Fiction-Romane, in denen die kaiserlichen Truppen
im Ersten Weltkrieg verherrlicht werden. Zudem verfasste er Artikel für
geschichtsrevisionistische und monarchistische Publikationen sowie die
Parteizeitung der NPD, [2][heute Die Heimat]. Nachdem im Jahr 2021 bekannt
wurde, dass er auch Mitglied der Berliner AfD war, sah sich die Partei
gezwungen, ihn wegen seiner Kontakte zur NPD auszuschließen.
Mindestens 22 Sachbeschädigungen, teils zusammen mit Volksverhetzung oder
Diebstahl, soll S. laut Anklageschrift zwischen Herbst 2020 und Herbst 2022
begangen haben. [3][In einer Bibliothek im Berliner Bezirk
Tempelhof-Schöneberg finden Mitarbeiter:innen in dieser Zeit immer
wieder zerstörte Bücher vor], der Fall macht bundesweit Schlagzeilen.
Zerschnittene Seiten und Schmierereien wie „Orden der Patrioten pro
Kaiserreich“, „AfD über alles“ oder „Heil Putin“. Solche Sprüche fi…
sich damals auch im Rathaus und im Bezirksamt von Tempelhof-Schöneberg, wo
S. eine Europafahne entwendet und Toiletten mit Papier und Steinen
verstopft haben soll, um Wasserschäden zu verursachen.
Im Namen des „Ordens der Patrioten“ wurden in Berlin allerdings schon
deutlich früher Sachbeschädigungen verübt und Flugblätter mit
rechtsextremen Inhalten hinterlassen. In den Jahren 2013 und 2014 agitiert
der „Orden“ gegen die Benennung einer Straße in Schöneberg nach dem
Juristen Karl Heinrich Ulrichs, einem Vorkämpfer für die Rechte von
Homosexuellen. Eine Ausstellung zu Ulrichs im Rathaus Schöneberg wird
zerstört, die Türschlösser des von der Berliner Aidshilfe betriebenen Café
Ulrichs zugeklebt.
## Verfassungsschutz hält sich bedeckt
Schon damals ist der „Orden“ Thema im Berliner Abgeordnetenhaus, die
Polizei gibt an, „keine validen Erkenntnisse“ über die Gruppe zu haben,
aber weiter zu ermitteln. Der Täter lässt sich davon offenbar nicht
beeindrucken, die Serie geht weiter: Eine weitere zerstörte Ausstellung,
Sachbeschädigungen und Schmierereien, später dann die zerstörten Bücher.
Zu den Vorwürfen, bereits 2017 Hinweise auf den Täter gehabt, aber diese
nicht an die Polizei weitergegeben zu haben, will der Verfassungsschutz auf
taz-Anfrage nichts sagen: Die Behörde äußere sich grundsätzlich „nicht zu
Einzelpersonen und personenbezogenen Informationsübermittlungen“. Auch die
Berliner Polizei gibt an, sich grundsätzlich nicht zu den Ermittlungen zu
äußern.
Probleme in der Zusammenarbeit zwischen dem Berliner Verfassungsschutz und
dem polizeilichen Staatsschutz sind auch aus anderen Fällen bekannt. Im
Untersuchungsausschuss zur rechtsterroristischen Anschlagsserie in Neukölln
nannte der heutige Leiter des Berliner Staatsschutzes die Zusammenarbeit
mit dem Verfassungsschutz eine der wichtigsten Schwachstellen in den
Ermittlungen zur Serie, für die bis heute niemand juristisch belangt werden
konnte.
Auch bei der Frage, warum der islamistische Anschlag auf dem Berliner
Breitscheidplatz 2016 nicht verhindert wurde, obwohl die Behörden den Täter
vorher bereits observiert hatten, spielten Mängel in der
Informationsweitergabe zwischen den Behörden eine Rolle. Insidern zufolge
sind diese Kommunikationsprobleme nicht nur auf die unterschiedlichen
Aufträge von Polizei und Verfassungsschutz, sondern vor allem auf ein
unproduktives Konkurrenzverhältnis zwischen den Behörden zurückzuführen.
## Ehemalige Bezirksbürgermeisterin entsetzt
Zu den Betroffenen der Serie des „Ordens der Patrioten“ gehört auch Monika
Herrmann, ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg,
die 2016 und 2017 im Fokus des „Ordens“ stand. Auf taz-Anfrage zeigt sie
sich empört über die Vorgänge: „Jetzt zu hören, dass der Täter schon dam…
hätte gestoppt werden können, macht mich wirklich sprachlos.“ Herrmann
erhielt damals persönliche Drohungen, außerdem wurden Gerüchte verbreitet,
sie selbst zeige Sympathien für den „Orden“, gestützt auf einen angeblich
von ihr verfassten Kommentar auf dessen Website. Herrmann ging damals
juristisch gegen die Verleumdung vor.
Das Verhalten des Verfassungsschutzes bezeichnet Herrmann als „Spiel mit
dem Feuer“. Dass es in all den Jahren bei Sachbeschädigungen und
Volksverhetzung geblieben und nicht zu Gewalt gegen Menschen gekommen ist,
sei reines Glück. „Von Behörden, die für unsere Sicherheit zuständig sind,
erwarte ich, dass sie sich um unsere Sicherheit kümmern, es kann nicht
sein, dass das durch solche Rangeleien beeinträchtigt wird.“
Hinweise auf Mittäter gibt es nach taz-Informationen bislang nicht. Nach
heutigen Erkenntnissen scheint es wahrscheinlich, dass es sich bei
Christian S. um einen Einzeltäter handelte. Auch wenn dieser tatsächlich
für alle Taten verantwortlich sein sollte, die dem „Orden der Patrioten“
zugerechnet werden, könnte er heute nicht mehr dafür belangt werden, da
Sachbeschädigung in der Regel nach fünf Jahren verjährt. Wann das Verfahren
gegen S. eröffnet werden soll, ist laut dem zuständigen Berliner
Amtsgericht noch unklar.
22 Oct 2024
## LINKS
[1] /!5967031/
[2] /Fraktion-von-AfD-und-Heimat/!6019016
[3] /Rechte-Angriffe-auf-Bibliothek-in-Berlin/!5850362
## AUTOREN
Malene Gürgen
## TAGS
Verfassungsschutz
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Kolumne Der rechte Rand
Antisemitismus
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