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# taz.de -- Die Emissionen der Autoindustrie: Das Problem mit dem Rückspiegel
> Manchmal ist Vergesslichkeit ein Segen. Unpraktisch nur, wenn das
> Langzeitgedächtnis sich noch gut an alte Versäumnisse beim Klimaschutz
> erinnert.
Bild: Es gibt kein Problem mit dem Rück- oder Seitenspiegel, sondern mit dem A…
Beim letzten Kneipenbesuch mit Freund R. waren wir schnell beim Jammern:
Rücken und Knie ächzen und knarren, die Blase führt ein Eigenleben, die
Augen brauchen Gleitsichtbrillen. „Altwerden ist nichts für Feiglinge“,
sagte er, das klingt gut, und wir fühlten uns an der Schwelle zum neuen
Jahrzehnt richtig tapfer.
Das Alter ist ja auch wirklich eine Zumutung: Superman war gestern, und
dann kommt noch die verbale Verwirrung dazu, dass „älter“ gefühlt jünger
ist als „alt“, obwohl es die Steigerung davon ist: „Ältere Menschen“ s…
fitter und längst nicht so abgeschrieben wie „alte Menschen“. Um das zu
verstehen, muss man wohl jünger sein.
Und dann noch diese Lücken in der Erinnerung: Wo habe ich die Schlüssel
hingelegt? Wie heißt noch mal der Kollege mit Nachnamen, den ich seit 15
Jahren kenne? Was früher Schusseligkeit war, fällt heute unter beginnende
Demenz. Aber vor allem vergisst man immer nur die falschen Sachen. Und
erinnert sich an Dinge, die man lieber vergessen würde.
So auch diese Woche, als ich las, wie der Chef des Autokonzerns Renault,
[1][Luca de Meo], vor „hunderten von Millionen Euro“ an Strafzahlungen
warnte. Denn die europäischen Hersteller halten ihre
EU-[2][Flottengrenzwerte] für [3][CO2] nicht ein. Ab nächstem Jahr drohen
hohe Strafen. Nicht schön für sie. Unschön für uns alle ist aber auch, dass
sie die Atmosphäre mit zu vielen Auspuffgasen verpesten, weil sie zu wenig
E-Autos verkaufen. Und dass diese Regeln seit fünf Jahren gelten.
Alte Menschen wie ich erinnern sich aber auch daran, dass es zu dieser
Regelung nur kam, weil die Autohersteller vor 20 Jahren ihre „freiwillige
Selbstverpflichtung“ zum Klimaschutz krachend verfehlt haben. Und
Tattergreise wie ich erahnen in den Nebeln der Vergangenheit sogar noch die
Zeiten, als solche Grenzwerte einfach als Gesetz verabschiedet wurden
(huch!).
## Die Selbstverpflichtung scheitert
Was wir nicht vergessen sollten: Die Matrix der Industrie zum Umgang mit
Grenzwerten, die uns alle vor Umwelt- und Klimagefahren schützen sollen,
sieht seit Jahrzehnten gleich aus: ein Gesetz? Lauter Protest. Jahre
vergehen, CO2 aus neuen Autos steigt in die Luft. Dann hurra: eine
Selbstverpflichtung mit Grenzwerten in einigen Jahren. Jahre vergehen, CO2
aus neuen Autos steigt in die Luft. Die Selbstverpflichtung scheitert, neue
Debatten. Jahre vergehen, CO2 aus neuen Autos steigt in die Luft. Eine
EU-Richtlinie schreibt Grenzwerte in fünf Jahren vor. Jahre vergehen, CO2
aus neuen Autos steigt in die Luft. EU-Grenzwerte nicht erreicht, es drohen
Strafen. Nur die Industrie beklagt ausufernde Bürokratie und wünscht sich,
dass noch ein paar Jahre vergehen.
Tut mir leid, wenn ich Sie als alter Mann mit meinen Erinnerungen
belästige. Man lebt einfacher und verkauft mehr Verbrennerautos für noch
ein paar Jahrzehnte, wenn man das Langzeitgedächtnis ausknipst. Und wie
Herr de Meo einfach nicht in den Rückspiegel schaut – ganz egal welche
Unfälle da hinten passieren und was da rasend schnell auf uns zukommt.
Ich hoffe auch oft auf das große Vergessen, wo ich still und zufrieden am
Fenster sitze und glücklich senil lächelnd in meiner Straße den
Sonnenuntergang zwischen den Abgaswolken betrachte. Ich fürchte nur, diese
Hoffnung ist trügerisch. Für mich und für uns alle. Schließlich sind wir
eine Gesellschaft, die immer älter wird. Und wenn dann bei uns noch was
funktioniert, ist es das Langzeitgedächtnis.
13 Sep 2024
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## AUTOREN
Bernhard Pötter
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