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# taz.de -- Kulturszene Sachsens nach Landtagswahl: Alert-sein gegen drohende A…
> Bereits vor der Landtagswahl war es ernst. Der sächsischen Kulturszene
> stehen durch den Stimmenzuwachs der AfD harte Zeiten bevor. Ein
> Augenschein.
Bild: Die Dresdner Brassband Banda Communale
Im Freistaat schwenken AfD-Aktivisten und Vertreter der Freien Sachsen
schon mal vor der Dresdner Semperoper weiß-grüne Landesfahnen und
weiß-blau-rote Russlandfahnen und versuchen, den Text einer einfältigen
Sachsenhymne auf die Melodie der von Putin wiederbelebten alten
bolschewistischen Hymne mitzumurmeln.
Unter dem Motto „Keine Steuergelder für linke Vereine!“ ging es bei diesem
Aufzug im April 2024 auch gegen angeblichen „linksgrünen Sumpf“ in der
Kultur. Konkret gegen die auf vielen Straßenfesten beliebte Brassband
[1][Banda Communale]. Der berüchtigte Blogger Max Schreiber der
rechtsextremen Freien Sachsen listete die Projektförderung der Band „für
Auftritte auf Antifademos“ auf und kündigte deren Austrocknung an, „wenn
die Freien Sachsen flächendeckend in Ämter auf allen Ebenen einziehen
werden“.
So weit ist es seit den Landtagswahlen am 1. September noch nicht gekommen.
Anders als in Thüringen verfehlte die AfD in Sachsen die Sperrminorität von
einem Drittel der Stimmen im Landtag. Was eine rechte Sperrminorität
bedeutet, hat die Landeshauptstadt Dresden vor dreieinhalb Jahren
allerdings bereits erfahren.
## Blockade mit Nadelstichen
AfD und Freie Wähler blockierten im Kulturausschuss die Freigabe des
Haushalts 2021/22, der bislang stets anstandslos verabschiedet worden war.
Ein Nadelstich gegen einige allzu freigeistige und an Grundwerten
orientierte Institutionen und Vereine, die auf den Förderlisten standen.
Erst durch einen erneuten Mehrheitsbeschluss des Stadtrats konnten die
Mittel fließen.
Dennoch, die Reaktionen auf die Landtagswahlergebnisse in Sachsen lassen
eher Besonnenheit als Panik erkennen. Zum jetzigen Zeitpunkt könne man
„noch keine fundierte Einschätzung“ erwartbarer Risiken geben, blickt der
stellvertretende Geschäftsführer des Landesverbandes Soziokultur, Tobias
Gaub, vor allem auf das unkalkulierbare Überraschungsei BSW. Als einzige
Gruppierung hatte die Wagenknecht-„Personenkultpartei“ (Wolf Biermann) die
Wahlprüfsteine der Landeskulturverbände unbeantwortet gelassen.
Gaub weiß aber sehr wohl, dass gerade unabhängige Soziokultur
Hauptzielscheibe von Rechten, Wählervereinigungen und Teilen der CDU ist.
Sie teilt dieses Schicksal mit Vereinen und Initiativen, die sich für
Demokratie und Menschenrechte einsetzen und nicht nur auf Heimattümelei
beschränken.
## Höckes Fantasie
Auf der 200. Pegida-Demonstration vor der Dresdner Frauenkirche im Februar
2020 hatte Björn Höcke schon angekündigt, womit sie im Fall einer
Machtübernahme durch die AfD zu rechnen haben: „Deswegen werden wir diese
sogenannte Zivilgesellschaft, die aus Steuergeldmillionen finanziert wird,
dann leider trockenlegen müssen!“
Der häufig in Medien zitierte Treibhaus e. V. im mittelsächsischen Döbeln
gibt ein Beispiel. Seit 2019 steht der städtische Anteil an der
Vereinsförderung immer wieder infrage und damit auch die Zuwendungen des
Kulturraums. 2022 diskreditierte AfD-Fraktionschef Dirk Munzig im Stadtrat
die Vereinsarbeit als „bezahltes Erinnern an den Holocaust“. Die
mitstimmende CDU störte sich an einem Plakat, das für „radikalen
Humanismus“ warb.
In der Geschäftsstelle des sächsischen Landesverbandes Soziokultur weist
Gaub den Generalverdacht eines getarnten Linksextremismus zurück.
„Grundsätzlich hat sich die Soziokultur sehr breit aufgestellt und deckt
viele Strömungen und Meinungen in der Gesellschaft ab. Wir sind nicht
einfach nur ein linker Laden, sondern Raumgeber, so dass Diskurs auf eine
gute Art und Weise stattfinden kann.“
## Förderbescheide kritisiert
Weit über Sachsen hinaus hat deshalb Mitte August ein Gutachten des Mainzer
Verfassungsrechtlers Friedhelm Hufen zum Neutralitätsgebot bei der
Vereinsförderung Beachtung gefunden. Die Dresdner Cellex-Stiftung hatte es
in Auftrag gegeben, nachdem der CDU-geführte Landesrechnungshof solche
Förderbescheide kritisiert hatte.
„Die öffentliche Finanzierung privater Initiativen bedeutet nicht, dass
deren Äußerungen zu denen des Staates werden“, deckt der Gutachter indirekt
ein gestörtes Verhältnis der Konservativen zu Meinungsfreiheit und
Pluralismus auf. Und Bildungsarbeit könne gar nicht neutral sein, wenn es
um die Vermittlung von Grundrechten des Grundgesetzes und ethische Normen
geht.
Über Sachsen hinaus hatte Anfang Juli der Eingriff in eine [2][Inszenierung
der „Weißen Rose“] des Theaterpädagogischen Zentrums Burattino im
erzgebirgischen Stollberg Wellen geschlagen. Die promovierte Historikerin
und Kulturwissenschaftlerin Frauke Wetzel hat die nach den Vorstellungen
jeweils angesetzten Diskussionen mit den jugendlichen Besuchern der „Weißen
Rose“ moderiert.
## Hohes Gut Kunstfreiheit
„Wenn also zum Beispiel queere Themen in den Theatern, in den Galerien ins
Programm genommen werden, es daraufhin einen Shitstorm gibt, dann ist das
nicht nur ein Angriff auf diese kulturelle Einrichtung, sondern ein Angriff
auf die Community insgesamt“, kommentiert sie den Wahlausgang. Die bisher
gewährten Freiräume sollten Kulturschaffende unbedingt verteidigen und
„sich immer klarmachen, dass die Freiheit der Kunst eine der
meistgeschützten in unserem Land ist“.
Wie sehr um die Kunstfreiheit gerungen werden muss, zeigt auch ein bislang
verborgener Vorgang am [3][Winterstein-Theater Annaberg.] Intendant Moritz
Gogg hatte auf der Website unter der Überschrift „Wir haben das Glück“ ein
leidenschaftliches Statement platziert. Es mahnt, „dass wir in einem
demokratischen, weltoffenen, vielfältigen und toleranten Land leben, mit
einem nicht hoch genug zu achtenden Grundgesetz und einer Gesellschaft, die
divers und frei ist“.
Das Theater setze sich gegen jede Form gruppenbezogener
Menschenfeindlichkeit und gegen Verbreitung totalitärer Ideologien ein. Auf
Betreiben zweier AfD-Vertreter kam es daraufhin zu einem Gespräch bei
Landrat Rico Anton (CDU). Der Landrat erkannte Goggs Grundsätze allerdings
an, die AfD-Vertreter mussten dies schlucken. Das Statement ist unverändert
nachzulesen, und das Spielzeitmotto in Annaberg lautet „Werden wir wachsam
gewesen sein?“.
## Vorauseilender Gehorsam
Solche Erfolge sind nicht die Regel. Vorauseilender Gehorsam bestimmt die
Richtung, als sei die AfD bereits an der Regierung. Zur Dresdner
Großdemonstration eine Woche vor der Wahl sagten einige vorgesehene Redner
vor allem aus dem Bildungsbereich eingeschüchtert ab. Die Drohkulisse
genügt.
Zu vernehmen sind aber auch gelassene Stimmen. Es sei „mit einer gewissen
Kontinuität zu rechnen“, erwartet Intendant Dirk Löschner vom Theater
Plauen-Zwickau ein fortgesetztes Bemühen um den Erhalt der reichen
sächsischen Kulturlandschaft. Löschners Theater war beim
Jugendtheaterfestival „Wildwechsel“ im vorigen Herbst aber auch Objekt
rechter Attacken.
Bis heute bekräftigt die Bühne, dass die Inszenierung „Lecken“ des
queer-feministischen Berliner Performancekollektivs Chicks* nur wegen
kurzfristig ausbleibender Bundesfördergelder abgesagt wurde. Aber
Hasskommentare gegen den „Regenbogenkult“ und angebliche
„Schmutzdarbietungen“ und Aufrufe zur Störung der Aufführungen waren dem
vorausgegangen.
Die Landeskulturverbände wollten sich schon vor der Wahl durch Kenntnis-
und Kompetenzerwerb auf die erwartete Zunahme von Attacken vorbereiten.
„Wir wissen jetzt, woran wir sind“, sagt der besonders bei
Nachwuchsorchestern beliebte Dirigent und Präsident des Sächsischen
Musikrates, Milko Kersten. Für sich und andere konstatiert er „ein Defizit
im Umgang mit geschulter populistischer Rhetorik“.
Die nun einmal gewählten AfD-Vertreter will er aus ihrer Verantwortung
nicht entlassen. Er habe den festen Willen, „in allen Gremien zu den
Sachthemen Stellungnahmen abzufordern“. Denn die bisherige Erfahrung
zeige, dass Rechtsradikale meist durch Verweigerung auffielen, nur äußerst
selten aber durch konstruktive Vorschläge.
12 Sep 2024
## LINKS
[1] /Brassband-Banda-Communale-im-Osten/!6006427
[2] /Weisse-Rose-in-Stollberg/!6021316
[3] /AfD-im-Erzgebirge/!5978070
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Kulturszene
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