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# taz.de -- Bedrohte Filmschule in Berlin: Noch fehlen 40.000 Euro
> An der privaten Filmschule Filmarche in Berlin entscheiden die
> Studierenden selbst, was sie lernen wollen und wer es ihnen beibringt –
> noch.
Bild: Sie planen immer etwas: Studierende der Filmarche
Berlin taz | Am Kai eines kleinen Hafenbeckens inmitten eines
Industriegebiets in Berlin-Neukölln steht ein Backsteingebäude. Auf der
anderen Seite des brackigen Wassers liegt ein Recyclinghof, davor ein
entladener Binnenfrachter. Ein paar Treppenstufen führen ins Hochparterre
des Backsteinhauses. Dort befindet sich die Filmarche. Große Fenster
trennen kleine Räume vom Flur ab, die Türen stehen offen. In einem der
Räume sitzen sich zwei junge Männer an Computern gegenüber und winken kurz,
als eine Frau in schlichtem T-Shirt, kurzer Jeanshose und Sneakern an ihnen
vorbeiläuft.
Victoria Bergmann ist 33 Jahre alt und studiert auf dieser Etage eines
ehemaligen Bürokomplexes seit vier Jahren Kamera. Seit zehn Jahren sind
hier keine Industriekaufleute mehr ansässig, sondern die Filmarche, eine
selbst organisierte Hochschule. Selbst organisiert heißt, dass die
Studierenden nicht nur ausgebildet werden, sondern auch als
Geschäftsführer, Pressevertreter oder Putzkräfte in der Schule tätig sind.
Doch damit die selbstverwaltete Filmhochschule weiterhin existieren kann,
müssen ihre Studierenden bis Oktober dieses Jahres 100.000 Euro auftreiben.
So viel kostet die Mitgliedschaft in der Vollgut-Genossenschaft, in deren
Räumlichkeiten die Filmarche bald einziehen soll.
Für das Stockwerk im Backsteingebäude, wo die Schule momentan untergebracht
ist, zahlt sie eine Staffelmiete. Binnen zehn Jahren ist der Mietpreis um
40 Prozent auf gut 5.000 Euro im Monat gestiegen. Zu viel für die
Filmarche, obwohl sie die Monatsbeiträge erhöht, das Budget für die Lehre
gekürzt und das für die technische Ausstattung sogar gestrichen hat. Es
blieben nur zwei Optionen: Schließung oder Umzug.
## Sie schaffen das
Bergmann und ihre 180 Kommiliton*innen waren sich einig: Die Filmarche
muss erhalten bleiben. „Klar, wir schaffen das“, sagt sie. 50.000 Euro hat
die Filmarche im Juni bereits überwiesen. Die zweite Hälfte der Summe wird
Ende Oktober fällig. Dann erwarten die Filmarche 99 Jahre Mietsicherheit in
der ehemaligen Kindl-Brauerei, die ebenfalls in Berlin-Neukölln liegt. Doch
woher das Geld kommen soll, ist immer noch völlig unklar.
Fest steht nur, dass es die Studierenden sind, die das Geld berappen
müssen. Denn die Filmarche ist keine gewöhnliche Hochschule, auch wenn sie
einiges mit anderen Schulen gemein hat. Die Studierenden belegen eines von
sechs Fächern, das auf einen Beruf in der Filmproduktion vorbereitet:
Regie, Drehbuch, Kamera, Produktion, Montage oder Dokumentarfilmregie. Das
Teilzeitstudium dauert drei Jahre mit der Option auf einen einjährigen
Master und folgt einem Curriculum.
Das Curriculum, also den Lehrplan, schreiben die Studierenden aber selbst.
Was sie wie intensiv lernen und wer es ihnen beibringt, entscheiden sie
auch. Und jede*r Studierende ist Teil eines Komitees, das organisatorische
Aufgaben erledigt. Dazu gehört neben der Geschäftsführung und der
Technikwartung etwa, neue Studierende im Bewerbungsprozess auszuwählen, die
Filmarche gegenüber der Presse zu vertreten, Events zu organisieren und den
angestrebten Umzug der Schule vorzubereiten.
Außerdem zahlt jede*r einen Monatsbeitrag von 90 Euro, um die laufenden
Kosten zu decken. Staatliche Fördergelder erhält die Filmarche nämlich
nicht. „Man bekommt hier nichts auf dem Silbertablett. Wir halten die
Schule selbst am Laufen“, sagt Bergmanns Kommilitonin Fréhel Vince. Vince
ist 30 Jahre alt und studiert Regie an der Filmarche.
## Besonderes Klima
Dass alle in der Verantwortung stünden, erzeuge ein besonderes Lernklima,
sagt Bergmann und vergleicht ihre Studienerfahrungen. Wie Vince hat sie
schon ein sozialwissenschaftliches Studium hinter sich. „Die Arche ist mehr
als nur eine akademische Institution, die man durchläuft und dann hinter
sich lässt. Hier gibt es ein Wohnzimmergefühl, wir sind eine Gemeinschaft“,
führt Bergmann aus. Zwischen den Unterrichtsblöcken kochen die Studierenden
in der Gemeinschaftsküche, schauen auf abgewetzten Sofas gemeinsam Filme
und feiern am Wochenende so manche Party. Die meisten, die an der Schule
studiert hätten, blieben ihr danach noch jahrelang verbunden, sagt
Bergmann.
Als klar wurde, dass die Filmarche sich mit dem gegenwärtigen Modell nicht
mehr finanzieren kann, habe man gar nicht erst in Erwägung gezogen, die
Beiträge weiter zu erhöhen. „Wir wollen zugänglich bleiben und nicht zu
einer teuren Privatschule werden“, erklärt Bergmann.
Mit einer [1][Crowdfunding-Kampagne], Darlehen und Geldern, die die
Filmarche über Partys und Filmscreenings einnimmt, wurden die ersten 50.000
Euro berappt. Von der zweiten Hälfte fehlen noch 40.000 Euro.
Eine gewaltige Summe für die kleine Filmarche, zumal nur wenige Wochen
bleiben. Aktuell befinde sich die Kampagne zur Rettung der Schule im
Sommerloch und auch Bergmann und Vince sind erschöpft. „Es zieht schon viel
Kraft. Wir machen diese Kampagne schon seit sieben, acht Monaten und müssen
jetzt noch einen Endspurt hinlegen“, sagt Vince. „Im Oktober kommt zum
Glück eine neue Generation. Die müssen dann erst mal richtig anpacken“,
sagt Bergmann. Der Plan scheint alternativlos. „Wenn das scheitert, wäre
das wohl nach 25 Jahren das Ende der Arche“, sagt Bergman gefasst. So
richtig vorstellen können sich das beide nicht.
Wer Bergmann und Vince erlebt, lernt zwei Menschen kennen, die sich bewusst
für Studiengang und -form entschieden haben. Bergmann habe sich als
Aktivistin daran gestört, dass politische Gruppen medial oft
unprofessionell aufträten, „das geht viel besser“. Bewegungen unterstützen
zu können, ist für sie ein Ansporn, sich an der Filmarche ausbilden zu
lassen.
## Ein sinnstiftendes Studium
Vince hat Filme wissenschaftlich analysiert und sich an der theorielastigen
Arbeit gestört. Mit der Filmarche habe they sich dagegen sofort
identifizieren können. „Wenn jemand etwas gelernt hat, hat er es den
anderen gezeigt. Das hat sich viel sinnstiftender angefühlt als mein
Studium und mein Job davor“, sagt Vince. „Ich glaube an die Idee von
Selbstorganisierung und ich möchte dieses Gefühl allen, die noch kommen
werden, ermöglichen.“
Im Kampf um den Erhalt der Filmarche sind die beiden mittendrin. Das gilt
auch für ihren Abschlussfilm. Seit eineinhalb Jahren dokumentieren Bergmann
und Vince den Umzug. Wie so vieles an der Filmarche läuft auch der Dreh an
manchen Tagen eher unkonventionell ab. Bei den Treffen der Genossenschaft
sei es vorgekommen, dass Vince auf einmal Bergmann gefilmt habe, weil die
im Plenum eine [2][an die Filmarche gerichtete Frage] beantwortet hat.
Andere Studierende waren nicht zugegen, aus der Filmerin wurde aus der Not
eine Akteurin im eigenen Streifen.
Zuerst habe Vince das gestört. So dreht man doch keinen Dokumentarfilm! Und
wer kommt überhaupt als Protagonist infrage, wenn mehrere Dutzend Personen
wechselnd wichtige Aufgaben übernehmen? Jetzt denke Vince sich: „Vielleicht
erzählt das ja mehr über die Arche, als es eine einzelne Person könnte. Es
geht hier um einen kollektiven Prozess.“ Einen Prozess, in dem viel Last
auf den Schultern derer ruht, die gerade da sind – und genug Leute sind
selten da, Doppelrollen dafür regelmäßig zu vergeben.
Dass die Existenzängste rund um die Filmarche trotz allem Optimismus der
Studierenden in den Köpfen der Schüler präsent sind, wird bei einem
Filmscreening deutlich. Das verantwortliche Komitee hat den Abend
organisiert, um Geld für die Rettung der Arche zu sammeln. Auf dem Hof der
Kindl-Brauerei, dem erhofften neuen Zuhause der Schule, haben sich vor
einem zusammengezimmerten Holzpavillon zwei Dutzend Menschen
zusammengefunden, um den [3][Film „Utopiekadaver“] des Berliner
Jungregisseurs Johannes Blume zu sehen. Auf einem Stück Bauzaun ist mit
Kabelbindern eine Plane befestigt. Darauf wird die Dokumentation
projiziert.
## Noch nicht verloren
Gezeigt wird der letztlich erfolglose Kampf gegen die eigene Räumung, dem
viele Berliner Hausprojekte während der Coronajahre ausgesetzt waren. Auf
eindrückliche Weise zeigt Blume das achtsame Miteinander unter den
Aktivisten. Zum Ende des Streifens sagt die Bewohnerin eines verdrängten
autonomen Jugendzentrums: „Dass es schwierig wird, war klar. Aber wie
schwierig es wird, haben wir erst gemerkt, als wir da tatsächlich drin
waren.“ Es ist ein Satz, den auch Bergmann oder Vince ausgesprochen haben
könnten. Nur, dass die Filmarche ihren Kampf noch nicht verloren hat.
Noch nicht? Vince und Bergmann, die an diesem Abend nicht dabei sind,
ziehen dennoch eine Parallele zu dem Film zum Thema Entmietung in der
Großstadt: Die Arche habe bereits 2014 aufgrund einer Mieterhöhung
Kreuzberg verlassen. Im neuerlichen Umzug „spiegelt sich die
fortschreitende Gentrifizierung der Stadt“ wider, wie die beiden sagen.
„Wir werden nicht zum ersten Mal verdrängt und sind ja auch nicht die
einzigen“, sagt Vince. Mit der Aussicht auf 99 Jahre Mietsicherheit bietet
sich der selbst organisierten Filmschule aber eine Perspektive, auf die
wohl auch das ein oder andere Hausprojekt mit aller Kraft hingearbeitet
hätte.
25 Sep 2024
## LINKS
[1] https://www.gofundme.com/f/filmArcheWeNeedToMoveIt
[2] https://www.filmarche.de/
[3] https://www.zdf.de/filme/das-kleine-fernsehspiel/berlin-utopiekadaver-100.h…
## AUTOREN
Malte Neumann
## TAGS
Filmemacher
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